Frontal | Beat Anthamatten, Hotelier und Provokateur, im Gespräch

«Ich darf sagen, was andere denken und nicht aussprechen»

Beat Anthamatten: «Der Hammerdeal ist eine fragwürdige Marketingaktion.»
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Beat Anthamatten: «Der Hammerdeal ist eine fragwürdige Marketingaktion.»
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Beat Anthamatten: «Die Nachhaltigkeit, sprich Enkeltauglichkeit, liegt mir am Herzen.»
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Beat Anthamatten: «Die Nachhaltigkeit, sprich Enkeltauglichkeit, liegt mir am Herzen.»
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Er ist Hotelier, Autor und sieht sich in der Rolle als Tourismusprovokateur. Beat Anthamatten (59) über die geplante «Last Christmas»-Skulptur, den Hammerdeal der Saastal Bergbahnen AG und die Tourismuszukunft im Oberwallis.

Herr Anthamatten, was haben Sie im November 1984 gemacht?
Damals hat mich ein Produzent angerufen, der einen Ferienort suchte, um das Video zum Song «Last Christmas» zu drehen. Vorgesehen war eigentlich Gstaad, aber weil dort kein Schnee lag, sind sie auf Saas-Fee ausgewichen. Wir hatten damals rund zehn Zentimeter Neuschnee.

Mit anderen Worten, Sie waren der eigentliche Türöffner für den Videodreh?
Genau. Als die ganze Crew in Saas-Fee angekommen ist, musste ich für den Videodreh in der «Wildi» eine Durchfahrtsbewilligung für die grossen Trucks einholen. Das ging dann auch völlig problemlos und unbürokratisch.

Kannten Sie die britische Popband «Wham»?
Nein. Damals war «Wham» noch kein Begriff. Ich habe einzig zugesagt, weil ich mir dachte, ein solcher Videodreh ist doch beste Werbung für einen Tourismusort wie Saas-Fee. Dass der Song mit George Michael und Andrew Ridgeley später einen solchen Durchbruch schaffen würde, war nicht vorhersehbar.

Jetzt wollen Sie in Saas-Fee dem legendären Weihnachtssong eine Skulptur widmen. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Die Idee dazu lieferte mir eine Journalistin der «SonntagsZeitung», die eine Reportage über diesen kultigen Weihnachtssong gemacht hat. Das hat mich auf die Idee gebracht, eine Skulptur vor dem Hotel Ferienart aufzustellen. Jedes Jahr im November melden sich mehrere Journalisten bei mir, um über dieses Weihnachtslied und den Drehort Saas-Fee zu berichten. Dazu muss man sagen, dass «Last Christmas» der meistgehörte Einzelsong aller Zeiten ist und bekannter als «Stille Nacht». Das ist fast epochales Kulturgut. Erst letzte Woche war ein Journalist aus Kanada vor Ort, der sich über die Skulptur erkundigt hat. Diese wurde vom einheimischen Künstler Urs Supersaxo gestaltet.

Sie waren lange Jahre aktiv im Tourismus tätig und haben das Hotel Ferienart geführt, bevor Sie vor fünf Jahren wegen Ihrer bipolaren Erkrankung und eines Burn-outs kürzertreten mussten. Wie geht es Ihnen heute?
Mittlerweile geht es mir wieder gut. Aber es war eine sehr schwierige Zeit, die ich durchgemacht habe. Das Hotel Ferienart war im eigentlichen Sinne «mein Kind». Ich habe das Hotel aufgebaut und zu einem der nachhaltigsten Betriebe entwickelt. Die Diagnose der Krankheit traf mich denn auch wie ein Schlag. Ich musste zuerst lernen, meine Krankheit zu akzeptieren, und habe neben der Schulmedizin auch alternative Heilungsmethoden in Anspruch genommen.

Sie sprechen offen über Ihre Krankheit. Wie schwierig war es für Sie, damit im Alltag klarzukommen?
Sagen wir es so, es war nicht einfach. Nachdem ich überzeugt werden musste, dass ich den Hotelbetrieb nicht weiter führen darf, versuchte ich mich als Hausmann, um meiner Frau, die selber berufstätig ist, unter die Arme zu greifen. Aber das hat nicht funktioniert. Ganz einfach deshalb, weil ich ein kreativer Kopf und ein Macher bin. Ich bin Ideenfischer, Visionär und habe unternehmerische Gene. Darum habe ich dann die Firma «Actfar.ch» gegründet…

…und ein Büroseum eröffnet.
Ich hatte Zeit und Musse, mein Büropuff mit 190 Ordnern, 1400 Büchern und 380 Gegenständen zu ordnen. Zusätzlich gehören auch viele Kristalle dazu. Mein Vater war Strahler und ich sah mich als Sherpa, der sich zu wenig um die Mineralien gekümmert hat. Da kam mir die Idee, ein sogenanntes Büroseum zu eröffnen. Ich habe alles fein säuberlich geordnet und aufgeräumt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das war ein Teil meiner Krankheitsaufarbeitung. Daneben mache ich auch Beratungen in Nachhaltigkeit. Vor wenigen Wochen habe ich für eine grosse Schweizer Stadt ein Projekt für eine Weihnachtsbeleuchtung eingegeben. Ich bezeichne mich selber gerne auch als Tourismusprovokateur. Darum habe ich diesen Sommer in Saas-Fee ein Kuba-Camp eröffnet. Die Leute konnten auf meinem Grundstück gratis grillieren, campieren und zelten, nur die Getränke mussten sie bezahlen. Ich habe ein Billigangebot ins Leben gerufen, um vor Ort zu zeigen, wie sich das auf das Umfeld auswirkt.

Die Frage sei erlaubt: Warum provozieren Sie?
Ich will die Leute dazu animieren, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Wie es der Name schon sagt, sind Provokateure nicht gern gesehen. Das Wort ist mit negativen Assoziationen verbunden. Allerdings vergessen die meisten dabei, dass Provokationen auch helfen, sich zu hinterfragen und zu verbessern. Mein Leitsatz lautet denn auch: «Das Gute ist der Feind des Besseren.»

Ist eine Rückkehr ins Hotelgeschäft eine Option für Sie?
Ich könnte mir durchaus vorstellen, auf strategischer Ebene in Verwaltungsräten von Hotels zu wirken. Ich mag Menschen und fühle mich unter meinesgleichen wohl. Darum habe ich auch das Kuba-Camp eröffnet und werde einen Degustationsshop eröffnen. Ich brauche Leute um mich, sonst vereinsame ich. Ich bin weder Jurist noch Finanzchef. Ich sehe meine Rolle eher als Hofnarr und darf sagen, was andere denken und nicht aussprechen. Dadurch ecke ich manchmal auch an.

Sie waren dieses Jahr neun­einhalb Wochen in Südamerika unterwegs, um der Nachhaltigkeit im Tourismus nachzugehen. Wieso das?
Die Nachhaltigkeit, sprich Enkeltauglichkeit, liegt mir am Herzen. Darum habe ich zu diesem Thema in sieben Ländern verschiedene Vorträge gehalten. Nachhaltigkeit heisst in erster Linie soziale Verantwortung, regionale Einbettung und Ökologie. Die Schweiz war mal führend in Sachen Nachhaltigkeit. Mittlerweile sind wir noch unter den besten sieben der Welt. Das gibt mir zu denken.

Sie sind bekannt für Ihre markigen Worte und scheuen sich auch nicht, den hiesigen Tourismus zu kritisieren. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch?
Wir haben keine klare Vision und Strategie. Viele Destinationen meinen, sie müssen externe Macher verpflichten, um sich zu positionieren. Das ist grundlegend falsch. Wir haben viele gute Leute, die sich touristisch auskennen und unsere Region gut vermarkten können. Was fehlt, ist vielerorts eine konstruktive Zusammenarbeit. Ein Musterbeispiel ist Grächen. Die Destination wird meiner Meinung nach sehr gut geführt. Die Leute, die unser Produkt gestalten, müssen Freude daran haben und unsere Region verkaufen. Wir haben immer mehr ausländische Arbeitskräfte, die sich kaum verständigen können. Früher war das anders. Wir hatten Bergführer, Skilehrer und einheimische Arbeitskräfte im Gastgewerbe, die stolz auf das Produkt waren und dafür eingestanden sind und unsere Region mit Begeisterung verkauft haben. Wir müssen wieder lernen, mit den Gästen zu kommunizieren und als Botschafter für den Tourismus aufzutreten. Das geht leider verloren.

Aber Saas-Fee hat mit dem Hammerdeal ja vorgemacht, wie man die Gäste wieder zurück auf die Piste bekommt…
Das ist für mich eine fragwürdige Marketingaktion und eine «Aldisierung des Schneesports». Die Schweiz ist ein Hochpreisland und muss sich zu entsprechenden Preisen verkaufen. Wenn man billig ist, kann man nicht top sein und zieht eine entsprechende Kundschaft an. Noch vor Jahren hatte Saas-Fee eines der teuersten Ski-Abos in Europa. Und jetzt auf einmal sind wir das billigste Skigebiet. Da stimmt doch etwas nicht. Dadurch fühlen sich viele Gäste, die vor dieser Aktion im Gletscherdorf waren, über den Tisch gezogen. Wir müssten das Gegenteil machen. Der Schweizer Tourismus muss sich mit Qualität und einem entsprechenden Preis/-Leistungsverhältnis verkaufen. Es kann nicht das Ziel sein, nur billiger zu sein als die Konkurrenz.

Aber zumindest hat diese Preispolitik in der Tourismusbranche einiges bewirkt…
Die positive Auswirkung dieser Aktion war, dass man darüber gesprochen hat und mehr Gäste das Saastal besucht haben. Mit solchen Aktionen können wir zwar kurzfristiges Wachstum generieren, aber auf längere Sicht bewirken wir damit genau das Gegenteil. Wir werden Mühe haben, aus dieser negativen Preisspirale herauszukommen. Wenn nächstes Jahr ein Anbieter noch billiger am Markt auftritt als Saas-Fee, dann zieht die Karawane weiter und die Gäste verbringen ihre Skiferien dort. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben nicht nur Verantwortung gegenüber uns selber, sondern auch gegenüber den Mitbewerbern und unserer Branche.

Der Umweltverband Pro Natura Oberwallis hat die Arbeiten am Feegletscher kritisiert, bei denen Gletscherspalten mit Schnee aufgefüllt wurden, um das Sommerskifahren zu gewährleisten. Dadurch werde das Abschmelzen des Eises beschleunigt. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?
Ein solches Verhalten ist weltfremd. Zum Vergleich: Jedes Kreuzfahrtschiff, das auf den Weltmeeren verkehrt, schadet der Umwelt viel mehr als die Arbeit in einem Skigebiet. Zudem sind die grössten Umweltprobleme im Tourismus nicht die Arbeiten im Skigebiet, sondern die An- und Abreise der Gäste. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir in erster Linie die soziale Verantwortung wahren müssen. Dazu gehören auch die Arbeitsplätze, die der Tourismus generiert.

Vor einem Jahr haben Sie sechs Flüchtlinge in Ihrem Mitarbeiterhaus einquartiert. Wie sind die Erfahrungen?
Anfangs war eine grosse Skepsis im Dorf spürbar und ich habe Drohungen bekommen. Mittlerweile stört sich niemand mehr daran. Die meisten der Flüchtlinge gehen einer geregelten Arbeit nach. Unter den Flüchtlingen ist auch ein Mann aus Ceylon, der in Singapur eine IT-Firma hat. Er musste aber flüchten, weil er um sein Leben fürchten muss, weil zwei seiner Geschwister geköpft wurden. Ich habe denn auch grössten Respekt für die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und die Arbeit von Italien als Erstaufnahmeland.

Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich möchte interessante Projekte begleiten, ein Buch schreiben, mehr reisen, meinen Degustationsshop eröffnen und in der Branche verankert bleiben.

Walter Bellwald

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Infos

Vorname Beat
Name Anthamatten
Geburtsdatum 16. Oktober 1958
Familie getrennt, vier Kinder
Beruf Hotelier
Funktion Tourismusprovokateur
Hobbies Reisen, Wein, Zigarren, Lesen
«Last Christmas» ist der schönste Weihnachtssong. Nein
Ich verbringe meine Ferien ausschliesslich in der Schweiz. Nein
Ich bin für die Austragung der
Olympischen Winterspiele «Sion 2026».
Joker
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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