Randa | Frontalinterview mit Luzius Kuster, Hüttenwart der Weisshornhütte

«Als Hüttenwart ist man ein unverbesserlicher Idealist»

Luzius Kuster ist seit 50 Jahren Hüttenwart der Weisshornhütte.
1/1

Luzius Kuster ist seit 50 Jahren Hüttenwart der Weisshornhütte.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Seit 50 Jahren wacht er über die Weisshornhütte und bietet den Alpinisten Schutz bei Wind und Wetter. Luzius Kuster (70) kam als Feriengast und ist geblieben – bis heute.

Sie sind seit 50 Jahren Hüttenwart in der Weisshornhütte. Ein Grund zum Feiern?
Ich freue mich, dass ich seit 50 Jahren als Hüttenwart tätig bin. Aber eine Feier im eigentlichen Sinne ist nicht geplant.

Was bedeutet Ihnen die Zahl 50?
Die Zahl 50 im Zusammenhang mit meiner Arbeit als Hüttenwart beinhaltet viele interessante Begegnungen. Und, ganz ehrlich, ich bin erstaunt über mich selber, dass ich 50 Jahre dieser Arbeit nachgegangen bin.

Sie haben 1967 als Hüttenwart angefangen, obwohl Sie das Wallis nur als Feriengast kannten?
Ich bin in Basel aufgewachsen, aber ich bin kein Basler. Mein Vater war Ostschweizer und meine Mutter eine gebürtige Italienerin, die in Lugano aufgewachsen ist. Wir sind seit 1955 jeden Sommer ins Wallis gefahren, genauer gesagt nach Randa, um hier die Ferien zu verbringen. Natürlich haben wir auch viele Wanderungen unternommen. So bin ich als 8-Jähriger schon auf dem Breithorn (4164 m ü. M.) gestanden und drei Jahre später auf dem Alphubel (4206 m ü. M.). Mit 15 Jahren bin ich dann der Jugendorganisation Sektion Basel des Schweizer Alpen-Clubs beigetreten.

Wie schwierig war es für Sie, Kontakt zu den einheimischen Kindern in Randa zu knüpfen?
Ich hatte keine Probleme, mich zu integrieren und auch mit dem Dialekt war ich schnell vertraut. Ich habe sogar mit den Randäer Buben Geissen gehütet.

Sie haben die Lehre als Tiefbauzeichner absolviert und später als 20-Jähriger die Stelle als Hüttenwart übernommen. Was hat den Ausschlag dazu gegeben?
Wie gesagt, ich war schon als kleiner Bub mit der Bergwelt vertraut. Als mein Vorgänger Kamil Summermatter 1966 als Hüttenwart der Weisshornhütte aufgehört hatte, suchte die SACSektion Basel, der die Hütte gehört, einen Nachfolger für Kamil. Weil sich auf die Ausschreibung niemand meldete, habe ich diese Herausforderung schliesslich angenommen. Eigentlich wollte ich nur einen Sommer lang bleiben, jetzt sind es 50 Jahre geworden.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Jahr als Hüttenwart?
Es war eine neue Welt. Das erste Jahr musste ich das ganze Material zu Fuss in die Hütte tragen, das heisst, ich musste mehrmals den langen Weg von Randa zur Weisshornhütte (ca. viereinhalb Stunden Aufstieg, 1500 Meter Höhendifferenz) unter die Füsse nehmen. Vom Teebeutel bis zur Gasflasche habe ich alles mit hochgeschleppt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich hatte aber das Glück, dass ich die Bauseilbahn der Grande Dixence benutzen durfte. Das hat mir rund einen Drittel des Weges erspart. 1968 haben wir dann den Hüttenproviant erstmals mit einem Helikopter zur Hütte geflogen. Das war eine grosse Erleichterung.

Nach den ersten zwei Jahren sind Sie als Hüttenwart ein bisschen kürzergetreten?
Der Grund war der, dass ich eine Ganzjahresstelle als Bauzeichner in einem Ingenieurbüro in Zermatt angenommen hatte. Die folgenden fünf Jahre habe ich die Weisshornhütte nur am Wochenende und während meinen Ferien betreut. Ein Bergführer aus Randa hat mich dabei unterstützt.

Die Hütte war damals recht spartanisch eingerichtet. Gekocht, gegessen und geschlafen wurde im selben Raum…
Damals war die Hütte viel kleiner als heute und konnte gerade mal zwanzig Alpinisten beherbergen. Nachdem die SAC Sektion Basel 1973 beschlossen hat, die Hütte zu vergrössern, haben wir ein Jahr später mit dem Ausbau begonnen. Die Bauarbeiten sind aber nicht planmässig vorangekommen. Ich erinnere mich noch gut, dass in der Nacht vom 24. auf den 25. September 1974 bei der Weisshornhütte ein Meter Neuschnee gefallen ist. Erst im darauffolgenden Frühjahr konnten wir die Arbeiten fortsetzen. Im Herbst 1975 konnte dann der Umbau mit 30 Schlafplätzen, einer Küche und einem Aufenthaltsraum feierlich eingeweiht werden. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich dann voll und ganz meiner Arbeit als Hüttenwart gewidmet.

Als Hüttenwart ist man Gastgeber und Unterhalter zugleich. Wie sind Sie mit dieser Doppelrolle klargekommen?
Das hat sich mit der Zeit so ergeben. Ich lege noch heute Wert darauf, dass ich in erster Linie nicht Hüttenwirt, sondern Hüttenwart bin. Generell geht mir die Entwicklung der SAC-Hütten ein bisschen zu weit. Wir brauchen im Alpenraum keine Fünfsternehotels. Ein Dach über dem Kopf, eine zweckmässige Einrichtung und eine gutbürgerliche Küche für die Alpinisten reichen vollkommen aus.

Mit anderen Worten, die «Komfortzone» im Alpenraum geht Ihnen gegen den Strich?
Im hochalpinen Gelände braucht man Schutz vor Wind und Wetter und keine Wellness-Oase. Das entspricht auch den damaligen Richtlinien des Schweizer Alpen-Clubs. Heute steht bei den meisten Hütten leider der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund.

Wie modern ist denn die Weisshornhütte heute eingerichtet?
Die Hütte wurde im Jahr 2000 umgebaut und kann den Alpinisten eine gute Infrastruktur bieten. Wir haben neue Fenster eingebaut, der Boden in der Küche wurde neu verlegt, die Küche ist modern eingerichtet und das Wasser ist im Haus. Gekocht wird mit Gas und das Licht funktioniert über Solarzellen.

Auch nach 50 Jahren sind Sie immer noch als Hüttenwart tätig. Ist es Ihnen nie verleidet, auf fast 3000 Meter über Meer die Alpinisten zu bewirtschaften?
Nein. Ich bin mit Leib und Seele als Hüttenwart tätig. Natürlich gibt es bessere und schlechtere Tage. Auch was die Übernachtungszahlen angeht. Anfang der 90er-Jahre setzte ein eigentlicher Run im Alpenraum ein. Viele Alpinisten machten sich auf, um die 4000er zu bezwingen. Pro Saison konnten wir an die 1000 Übernachtungen registrieren. Heute zählen wir im Schnitt rund 600 Übernachtungen pro Saison. Vor drei Jahren waren es sogar nur 184 Übernachtungen. Das hängt natürlich auch mit dem Wetter zusammen. Bei einer längeren Schlechtwetterphase bleiben die Gäste aus. Da gibt es schon mal Tage, an denen man den Aufwand und die Arbeit hinterfragt.

Wie erklären Sie sich die rückläufigen Zahlen?
Meiner Meinung nach ist das Freizeitangebot sehr gross. Neben Sportklettern sind auch Can­yoning, Gleitschirmfliegen oder Mountain­biken hoch im Kurs. Das spricht die jüngere Generation mehr an, als lange Touren auf sich zu nehmen. Darum fehlen uns zum Teil die 20- bis 40-jährigen Alpinisten.

Das Leben als Hüttenwart ist alles andere als romantisch. Eine spartanische Unterkunft, enge Platzverhältnisse, viel improvisieren und früh aufstehen. Wie kommen Sie damit klar?
Wer als Hüttenwart arbeitet, muss sich damit arrangieren. Aber es gibt auch die schönen Momente auf der Hütte. Ich denke an die wunderbare Aussicht, die Natur, die Tiere in unmittelbarer Nähe der Hütte usw. Das entschädigt für alles. Klar, es ist eine eigene Welt im hochalpinen Gebirge. Als Hüttenwart ist man ein unverbesserlicher Idealist. Aber die Natur, die Stille und die wunderbare Aussicht sind mit nichts zu vergleichen.

"Im Alpenraum braucht es keine Fünfsternhotels"

Muss man ein Eigenbrötler sein, um 50 Jahre als Hüttenwart zu arbeiten?
Das ist jeder Hüttenwart. Aber das gibt es in anderen Berufen auch.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Alles. Kein Sommer ist wie der andere. Einerseits was das Wetter angeht, andererseits die Gäste und die damit verbundenen Herausforderungen. Das macht meine Arbeit so spannend.

Ihr schönstes Erlebnis in 50 Jahren als Hüttenwart?
Es gibt nicht das schönste Erlebnis. Für mich ist jeder Sommer in der Weisshornhütte ein Erlebnis an sich. Jeder Tag ist speziell und bringt viele Überraschungen. Es ist schön, wenn man viel zu tun hat und etwas läuft. Genauso kann es auch mal wohltuend sein, sich ein wenig zurückzuziehen und vom Alltagsstress Abstand zu nehmen.

An was erinnern Sie sich weniger gerne zurück?
Ich habe keine schlechten Erinnerungen. Das ist wie beim Militär: Schlussendlich erinnert man sich nur an die schönen Begebenheiten. Natürlich ist es traurig und bedauerlich, wenn ein Alpinist, der in der Hütte übernachtet hat, nicht mehr von einer Bergtour heimkehrt. Aber das sind zum Glück eher Ausnahmen.

In der Weisshornhütte gehen viele Berg­steiger ein und aus. Bleibt da Zeit, um persönliche Kontakte zu knüpfen?
Die persönlichen Kontakte halten sich in Grenzen. So weit es die Zeit erlaubt, unterhalten wir uns gerne mit den Gästen oder trinken etwas zusammen.

Ihre beiden erwachsenen Töchter Andrea und Katharina gehen Ihnen bei Ihrer Arbeit in der Weisshornhütte fleissig zur Hand. Haben Sie Ihnen die «Hüttengene» eingeimpft?
Ohne Familie und Freundeskreis ist es schwierig, einen solchen Betrieb am Leben zu erhalten. Meine drei Kinder waren schon von klein auf in der Weisshornhütte und haben schon früh gelernt, mit anzupacken. Auch heute noch helfen meine beiden Töchter tatkräftig mit und sind jeden Sommer auf der Hütte, obwohl sie beruflich anderweitig tätig sind. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Sie mussten in der Vergangenheit gesundheitlich ein bisschen kürzertreten. Wie geht es Ihnen heute?
Es geht mir den Umständen entsprechend gut.

Also wird Luzius Kuster auch dieses Jahr die Gäste in der Weisshornhütte begrüssen?
Ja, ich werde auch diesen Sommer wieder die Alpinisten in der Weisshornhütte persönlich begrüssen. Am 15. Juli gehts los. Darauf freue ich mich riesig.

Walter Bellwald

Artikel

Infos

Zur Person

Vorname Luzius
Name Kuster
Geburtsdatum ein Sohn, zwei Töchter
Funktion Hüttenwart der Weisshornhütte
Hobbies Briefmarken, Reisen, Gartenarbeit

Nachgehakt

Das Weisshorn ist schöner als das Matterhorn. Ja
Ich bin mehr Walliser als Basler. Ja
Riz Casimir ist mir verleidet. Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

Artikel

Kommentare

Noch kein Kommentar

Kommentar

schreiben

Loggen Sie sich ein, um Kommentare schreiben zu können.

zum Login

Sitemap

Impressum

MENGIS GRUPPE

Pomonastrasse 12
3930 Visp
Tel. +41 (0)27 948 30 30
Fax. +41 (0)27 948 30 31