Coronavirus | WB-Verleger Fredy Bayard spricht Klartext und nennt Zahlen
«Jetzt rollt die Lawine immer weiter»
Fredy Bayard hat das Modehaus Bayard gemeinsam mit seiner Frau Silvia aufgebaut. Seit 2018 ist er Verleger von Mengis Druck und Verlag. Unter seiner Führung wurden die Druckereien Valmedia und Mengis fusioniert. Im Interview erklärt er, wie die Corona-Krise auch kerngesunde Unternehmen gefährdet.
Fredy Bayard, man hat den Eindruck, dass viele im Oberwallis noch nicht begriffen haben, welche wirtschaftlichen Folgen die Krise hat. Ist die Corona-Krise vergleichbar mit der Erdölkrise oder der Finanzkrise?
«Leider nein. Der ETH-Ökonom Hans Gersbach hat sich sein Leben lang mit Krisen und deren Folgen beschäftigt. Gersbach schreibt in der ‹NZZ am Sonntag› von gestern, dass diese Krise aus wirtschaftlicher Sicht beinahe mit dem Ausbruch eines Krieges vergleichbar sei. Viele Branchen kommen zum Erliegen. In vielen Branchen ist Konsum gar nicht mehr möglich. Für Gersbach bedeutet diese Krise, wenn der Staat nicht handelt, die Gefährdung des gesamten Wirtschaftssystems Schweiz. Das muss nicht sein. Der Bund hat viel finanziellen Spielraum nach oben.»
Alle reden davon, dass es den Tourismus hart trifft. Aber es gibt auch viele andere Branchen. Wen trifft die Krise hier im Oberwallis noch besonders hart?
«Der Tourismus und die Eventbranche waren die Ersten, die es traf. Faktisch macht man in diesen beiden Branchen keinen Franken Umsatz mehr. Dies trifft das Oberwallis besonders hart, weil der Tourismus für das Oberwallis am meisten Menschen beschäftigt. Jetzt rollt die Lawine immer weiter.»
Was sind die konkreten Auswirkungen für die Unternehmen?
«Es macht keinen Sinn, wenn alle um den heissen Brei herumreden. Das liegt weder im Interesse der Angestellten noch der Unternehmen. mengis media verliert im Werbebereich auf den Kanälen ‹Walliser Bote›, ‹Rhone Zeitung›, ‹Radio Rottu› und den Online-Portalen ab dem Monat April mindestens 80 Prozent des Umsatzes, also jeden Monat 600000 bis 700000 Franken. Bei der Valmedia Druckerei rechnen wir ebenfalls mit einem Einbruch von über 80 Prozent. Hier bewegt sich der monatliche Fehlbetrag zwischen 400000 und 500000 Franken.»
Wie sieht es bei Mode Bayard aus?
«Bei Mode Bayard bricht der Umsatz komplett weg. Hier mussten alle Filialen geschlossen werden. Da fehlen monatlich zwischen neun und zehn Millionen Franken. Diese drei Beispiele zeigen auf, dass es sehr viele Branchen hart trifft. Das Dümmste, was wir jetzt machen könnten, wäre, einen Wirtschaftszweig gegen den andern auszuspielen. Weil hinter jedem Unternehmen Mitarbeitende und Unternehmer stehen. Also Menschen, die um ihren Arbeitsplatz und ihr Unternehmen bangen. Und die unverschuldet in diese Situation kamen.»
Der Bund hat seine Hilfsmassnahmen vorgestellt. Genügt das?
«Die Hilfsmassnahmen des Bundes gehen in die richtige Richtung. Entscheidend wird sein, dass all diejenigen, die Beiträge in die Arbeitslosenkasse einbezahlt haben, nun auch von den Leistungen profitieren können. Die Kurzarbeitsentschädigung sollte auf 100 Prozent erhöht werden und ab dem ersten Tag gelten. Hier muss der Bundesrat nur noch wenig nachbessern. Im Weiteren braucht es Liquiditätshilfen für jene Unternehmen, die unter der Krise leiden. Diese Darlehen müssten nur teilweise oder voll zurückbezahlt werden, wenn sich auf der Basis der Steuerrechnungen der letzten Jahre herausstellt, dass der Einbruch kleiner ist als erwartet. Somit würde den Richtigen geholfen und Missbrauch verhindert werden.»
Je mehr Geld bereitsteht, desto mehr Firmen wollen an den Topf. Wer garantiert, dass das Geld auch bei den Richtigen ankommt?
«Als Messlatte für die À-fonds-perdu-Beiträge muss man wohl die Steuererklärungen der letzten Jahre nehmen. Die Gefahr, dass Unternehmen absichtlich in den letzten Jahren zu viel versteuert haben, hält sich in Grenzen…»
Werden Firmen überhaupt einen rückzahlbaren Überbrückungskredit beantragen?
«Je nach Lage besteht die Gefahr, dass ein Unternehmen lieber den Weg in die Insolvenz wählt, als sich für die nächsten Jahre zu überschulden. Dies würde eine Bankenkrise auslösen.»
Was sind für Sie aktuell die grössten Herausforderungen?
«Die grösste Herausforderung sind die laufenden Kosten wie Lohn, Mietzins und die übrigen Aufwendungen. Diese können ohne Umsatz nicht gedeckt werden. Daher war das rasche und unbürokratische Handeln des Bundesrats unerlässlich.»
Müssen Sie Mitarbeitende entlassen bzw. was passiert in dieser Zeit mit den Mitarbeitenden?
«mengis media, valmedia und Mode Bayard beschäftigen zusammen mehr als 800 Menschen. Alle diese Betriebe haben Gesuche für Kurzarbeit eingereicht. Entlassungen sind bisher keine geplant. Hoffen wir, dass es dabei bleibt.»
Was erwarten Sie von der Walliser Regierung und den eidgenössischen Parlamentariern?
«Wir sitzen alle im gleichen Boot und müssen deshalb gemeinsam handeln. Das vom Bundesrat beschlossene Paket geht in die richtige Richtung. Jetzt müssten sich eigentlich die Verbände der Unternehmer und der Gewerkschaften darauf einigen, dass nur jene Unternehmen die Liquiditätshilfen zurückzahlen müssen, die erlittene Verluste wettmachen können. Und dass dies aufgrund der Steuererklärungen im Nachgang hart kontrolliert wird. Missbrauch darf man nicht dulden.»
Haben Sie Vertrauen in die Politik?
«Ich vertraue darauf, dass die Walliser Regierung und unsere Parlamentarier alles unternehmen, damit diese Weiche im Interesse aller Walliserinnen und Walliser richtig gestellt wird. Wir sind im Krieg, aber wir können und werden diesen Krieg gewinnen, wenn wir gemeinsam handeln. Damit alle begreifen, wie spät es ist, habe ich hier etwas unschweizerisch alle Zahlen auf den Tisch gelegt.»
Interview: Herold Bieler
Auch rro hat mit Verleger Fredy Bayard ein Interview geführt:
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Kommentare
Zehnder Damian, Zermatt - ↑3↓0
In der Schweiz werden die reichen die Krise perfekt überstehen.
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Gerfriede Bunkenstedt, Kalpetran - ↑14↓12
Lasset uns rechnen:
Das Infektionsrisiko liegt bei ca. 60-70%, davon müssen 2..3% intensiv behandelt werden, da sie sonst keine Überlebenschance haben.
Die Schweiz hat 8,5 Mio Einwohner. Davon 60% (best case) ergibt 5,1 Mio. Davon 2% (best case) sind 102.000, worst case (3% von 70%) ergibt dann knapp 180.000.
Für jeden von diesen, für den kein freies (!) Intensivbett zur Verfügung steht, bedeutet dies ein qualvoller Erstickungstod -> Triage
Mal nur auf's Oberwallis gerechnet:
81.685 * 0,6 * 0,02 = 980, also knapp eintausend, die Intensivbehandlung brauchen werden.
Wieviele Intensivbetten hat das Oberwallis (Visp + Brig) insgesamt? 16? 20? Wieviele sind davon derzeitig noch frei? 8? 12?
Momentan sollten wir uns primär auf's nackte Überleben konzentrieren, zusehen, dass die Infektionsrate so niedrig wie irgendmöglich bleibt, und wir das Gesundheitssystem nicht unvorsichtigerweise zusätzlich belasten.
Da liegt meines Erachtens nach akut die höchste, wenn nicht gar einzige Priorität.
Und wenn ich von unserem Dorf und den Menschen hier ausgehe, klappt das im Grossen und Ganzen auch hervorragend. (Lob!)
Aktuell muss kompromisslos alle Power dem Gesundheitssystem zur Verfügung stehen, unseren ÄrztInnen, Schwestern und PflegerInnen, damit die Todesrate so niedrig, wie möglich bleibt.
Sonst können wir in einem halben Jahr in Naters ein weiteres Gebeinhaus bauen.
Dass die Wirtschaft schwer den Bach runtergeht, ist sicher auch ein ernstes Problem, und undiskutabel müssen dafür auch Lösungen gefunden werden - ich bin mir sicher, dass dafür welche gefunden werden.
Doch da sollte derzeit nicht die Priorität unserer Anstrengungen liegen.
Nicht alle Firmen werden die Krise überleben, aber es wird auch nicht unsere ganze Wirtschaft kaputt gehen, dafür ist dieses Land einfach zu reich, stabil und solide.
Wenn die Krise vorbei sein wird, werden zwei wirtschaftliche Aspekte Wirkung zeigen, die derzeitig noch nicht Alle auf dem Schirm haben:
Kaufkraftverlust durch Tote (sollte man vielleicht daher auch aus künftigen wirtschaftlichen Interessen gering halten).
Nachholbedarf nach der Krise - wer dann liefern kann, kann wirtschaftlich die Nase nach vorne ziehen.
Wie es immer so platt heisst:
"In jeder Krise steckt auch eine Chance" und hinterher wird wieder viel von Flexibilität und Anpassungsfähigkeit geredet werden.
Die Situation wurde ja nicht herbeigeführt, bzw. man hat aus wirtschaftlichen Interessen nicht schon früher strengere Massnahmen erlassen, sondern dies gilt im Versicherungsjargon als 'höhere Gewalt'.
Man kann sich in so einer Situation nicht an den bisherigen status quo klammern - verständlich, nachvollziehbar, aber nicht gut.
Deswegen haben gerade schwere Krisen immer auch gesellschaftliche Revolutionen bedeutet, die letztendlich dann auch zu Fortschritt geführt haben.
Vielleicht sollte man die Zeit, in der unsere Gesellschaft genötigt ist, ein wenig innezuhalten, zu entschleunigen und auch dazu nutzen, sich Gedanken darüber zu machen, was verändert werden muss, kann, sollte und wie. Da zeichnen sich ja teilweise ganz gute Ideen ab, wie u.a. auch von den Mengis-Medien organisierte Nachbarschaftshilfen etc.
Denn auch wenn es derzeitig ausserhalb der Medienaufmerksamkeit liegt:
Der drohende Klimawandel ist massiv akut, und muss auch gelöst werden. Was uns da droht, ist mit Corona nicht ansatzweise vergleichbar.
Und im Gegensatz zu Corona können wir diese Krise verhindern.
Also:
Weniger jammern "wie können wir schnellstmöglich zum alten status quo zurück?", sondern realisieren: Es gibt kein Zurück.
Den Blick in die Zukunft richten! Die Energie, die wir derzeitig dem Gesundheitssystem entbehren können, besser in Richtung Entwicklung neuer Ideen und Konzepte lenken, statt ins Jammern und Rufen nach staatlicher Hilfen zu stecken.
Apropos Triage:
Ich kann nur hoffen, dass kein schweizer Medium den Bullshit veröffentlichen wird, der im Fall einer Triage dann dem ein oder anderen Hohlschädel aus der leeren Birne fallen wird: "Schweizer vor Ausländern!"
Bitte jetzt schon dran denken, dass ein nicht ganz unwesentlicher Teil des medizinischen und Pflegepersonals Ausländer sind.
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