Coronavirus | Das Leben in Gondo befindet sich im Schlummermodus – niemand weiss, für wie lange
Einsame Grenzgänge
Die Situation in Gondo ist in Zeiten von Corona ähnlich, aber doch anders als in anderen Bergdörfern. Als Grenzgemeinde liegt Zwischbergen in unmittelbarer Nähe zur Lombardei, jene Region in Norditalien, die vom Coronavirus besonders hart betroffen ist. Aus diesem Grund muss die Gemeindebehörde derzeit tagtäglich Rapport beim Kanton machen, ob im Ort Verdachtsfälle aufgetreten sind.
Gondo ist wie leer gefegt. Zumindest auf den ersten Blick. Die Schaufenster der Geschäftslokale sind dunkel. Die drei Tankstellen, die Geschäfte, der Coffee-to-go-Shop, das Bellevue, die Wechselstube, alle haben sie geschlossen. Von den 72 Personen, die in Gondo ihre Papiere haben, ist aktuell nur ein Teil vor Ort. Zahlreiche Einwohner befinden sich in ihrer Zweitwohnung im Talgrund. Andere sind in ihre Alphütte geflüchtet. Man ist vorsichtig. Als Grenzdorf zu Italien liegt mit der Lombardei eine Corona-Hochburg bloss eine zügige Autofahrtstunde entfernt. Jeden Tag muss die Gemeinde dem Kanton in einem kurzen Lagebericht mitteilen, ob bei einem Einwohner Krankheitssymptome aufgetaucht sind und folglich ein Verdachtsfall besteht. «Aktuell gibt es in Gondo noch keinen einzigen Corona-Fall», betont Gemeindepräsident Roland Squaratti.
Die Menschen sind vorbereitet. Nicht aus Angst oder Paranoia. Doch in Gondo weiss man – wie sonst kaum irgendwo in der so wohlbehüteten Schweiz – wie schnell das Leben aus den Fugen geraten kann. Von einer Sekunde auf die nächste. Wie damals am 14. Oktober 2000, als ein Erdrutsch ein Drittel des Dorfes zerstörte und 13 Menschen das Leben kostete.
Oder in weitaus geringerem Mass auch in den vielen Wintern, in denen das Dorf aufgrund von lang anhaltenden Schneefällen schon mal kurzzeitig von der Aussenwelt abgeschnitten ist. Deswegen füllen die Einwohner ihre Fächer im grossem Kühlraum der Gemeinde jeweils vor dem Winter auf. Und mit der gleichen Weitsicht haben viele von ihnen den zur Neige gehenden Vorrat nun erneut aufgefrischt.
Gemeinschaft lebt
Ein zweiter Blick zeigt, dass Gondo aber nach wie vor lebt. Einfach auf Sparflamme. In den lichtlosen Fenstern rascheln Vorhänge. Neugierige Blicke, in Zeiten, in denen die Tage länger erscheinen, als sie es sonst zu dieser Jahreszeit tun. Kein gemeinsames Kaffee oder Bier. Keine Messe. Und kaum Durchgangsverkehr auf der sonst so stark befahrenen Simplonroute.
Ein paar Fixpunkte aber sind geblieben. Im Hintergrund quert Pfarrer Frank Sommerhoff die Strasse. Gemeindearbeiter Simon Squaratti erledigt Aufräumarbeiten. Das scheidende Wirtepaar Patric Zenklusen und Fabienne Kämpfen im Hotel Stockalperschloss befindet sich mitten in den Ausräumungsarbeiten. Und vor dem ehemaligen Schulhaus reihen sich die parkierten Autos auf. Die dazugehörigen Arbeiter sind mit der Sanierung des Wasserkraftwerks Tannuwald im Zwischbergental beschäftigt, die im Sommer abgeschlossen sein soll.
Auch unten beim Häuschen der Grenzwacht geht es derzeit geschäftig zu und her. Statt Bürozeiten werden hier neuerdings die ganzen 24 Stunden abgedeckt. Ein Zollmitarbeiter verlässt das Häuschen. Sein grimmiger Blick sagt: Mit ihm ist nicht zu scherzen. Er ist offensichtlich neu hier. Squaratti stellt sich vor und empfiehlt sich, sollten Fragen aufkommen. Man unterstützt sich im Dorf. Wer Hilfe benötigt oder Fragen hat, kann sich auch auf der Kanzlei bei der neuen Gemeindeschreiberin Bettina Zimmermann melden. Wer Lebensmittel braucht, wählt die Nummer von Anton Jordan, der dann kurzerhand seinen Tankstellen-Shop öffnet. Und wer frisches Brot oder andere Frischwaren möchte, bestellt dies bei der Bäckerei Arnold, die von Simplon Dorf bis an die Haustür liefert.
Leidendes Gewerbe
Trotz der schwierigen Situation sei die Stimmung im Dorf ganz passabel, hält Gemeindearbeiter Simon Squaratti im Gespräch fest. «Die ist nicht schlechter als sonst.» Die Leute würden sich an die Auflagen des Kantons halten. Das sieht Rolf Gruber, der zufällig dazustösst, ähnlich. Für sich selbst zieht Gruber dann aber ein etwas anderes Fazit: «Als Selbstständiger macht man sich derzeit schon Sorgen.» Gruber ist Wanderleiter und hat sich mit Goldwasch-Exkursionen einen Namen gemacht. Wegen der Massnahmen, mit denen der Bundesrat die Ausbreitung des Coronavirus einschränken will, musste er zuletzt mehrere Schneeschuhwanderungen absagen. Zu tun habe er derzeit noch genug, sagt er: «Ich hole aktuell Arbeiten nach, die auf der Strecke geblieben sind. Je nachdem, wie lange die Situation aber anhält, kriege ich ein Problem. Aktuell habe ich null Einnahmen.» Er erhält altersbedingt zwar eine Rente. Mit den Fixkosten komme er damit jedoch nirgends hin. «Die Massnahmen sind mit Blick auf die Gesundheit sicher richtig. Werden sie aber nicht langsam wieder aufgeweicht, gehen daran viele Selbstständige zugrunde», so seine Prognose.
Das Gewerbe leidet. Auch in Gondo. Das Wirtepaar vom Hotel Stockalperturm hätte vor dem Wechsel noch eine Gruppe von 150 Personen zu beherbergen gehabt. Einnahmen, die weg sind. Und nun müssen die bestellten Lebensmittel wieder abtransportiert werden. Dazu verzögert das Coronavirus auch die Nachfolgelösung für das Hotel. «Eigentlich hätten im Mai die Betreiber der Gelateria Vorrei in Brig übernehmen sollen», erzählt Roland Squaratti. Wann und wie es weitergeht, bleibt nun bis auf Weiteres offen.
Grenze soll offen bleiben
Definitiv offen bleiben soll gemäss Roland Squaratti aktuell auch die Grenze. «Es gibt zahlreiche Unternehmen im Wallis, die auf die Grenzgänger angewiesen sind», sagt der Gemeindepräsident. Da im Tourismus und Gastgewerbe eh Stillstand herrscht, ist die Zahl der Grenzgänger sowieso deutlich zurückgegangen. Sollte sich die Situation nicht verschlechtern, erachtet Squaratti die verschärften Kontrollen als richtiger Weg. Zahlen über die Entwicklung des Grenzverkehrs rückt die Eidgenössische Zollverwaltung auf Nachfrage keine heraus. Die Antwort: «Grundsätzlich stellt die EZV an allen Grenzübergängen seit der Einführung der Einreisebeschränkungen gesamtschweizerisch eine deutliche Reduktion des grenzüberschreitenden Personenverkehrs fest.» Sollte der Grenzübergang in Gondo doch noch zugehen, sollen einige Grenzgänger im Bellevue untergebracht werden, so der Plan.
Gondos wortwörtlichen Goldgräberzeiten liegen lange zurück. Wer hier Gewerbe betreibt, hat aber Ausdauer und Zähheit bewiesen. Eigenschaften, die in der gegenwärtigen Situation gefragt sind. Auch, damit Gondo nicht wie leer gefegt bleibt.
Martin Schmidt
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