RZ-Standpunkt
Wie viel ist uns Sicherheit wert?
Während des Ersten Weltkriegs wurde von der deutschen Armee 1915 erstmals Chlorgas militärisch eingesetzt. Wird es eingeatmet, so verätzt es Hals und Lunge, was zum Tod durch Atemstillstand führt. Tausende Soldaten sind so elendig verreckt. Heute bildet Chlor ein wichtiger Bestandteil für die Produktion von Agrochemikalien, Pharmazeutika, Desinfektions- und Konservierungsstoffe. Allein die Lonza benötigt jährlich 15 000 Tonnen davon. Da die Herstellungskosten hierzulande drei- bis viermal teurer sind als im Ausland, rechnet sich die Eigenproduktion für die Lonza nicht. Sämtliches Chlor wird importiert. So rollen täglich Kesselwagen gefüllt mit flüssigem Chlorgas durch dicht besiedeltes Gebiet von Genf ins Wallis. Ein kleinerer Teil kommt durch den Simplontunnel aus Italien. Es handelt sich um die gefährlichsten Transporte, die auf Schweizer Schienen unterwegs sind (siehe Artikel auf Seite 8). Selbstverständlich eigentlich, dass wirklich alles für eine grösstmögliche Sicherheit getan wird. Transportiert wird das Chlorgas in speziell entwickelten, gepufferten Kesselwagen. Damit diese bei einem Unfall möglichst nicht aus den Gleisen geworfen werden, ist die Höchstgeschwindigkeit neuerdings auf 40 km/h limitiert. Zusätzlich plante der Bund, die SBB und der Verband der chemischen Industrie, rund 430 Hindernisse entlang der Gleisstrecke zu entfernen. Sollte nämlich bei einem Unfall ein Kesselwagen trotzdem entgleisen, so könnten sich die Hindernisse, Betonsockel zum Beispiel, als Todesfallen erweisen. Der umgekippte Waggon könnte aufgeschlitzt werden und Chlorgas entweichen. Es käme unweigerlich zur Chemiekatastrophe. 6,5 Millionen Franken hätte es gekostet, um diese Hindernisse zu beseitigen. Diese Kosten hätten Chemiefirmen wie Syngenta und Lonza tragen müssen. Jetzt wurde die ganze Übung abgeblasen. Die Hindernisse bleiben. Das Risiko würde nur geringfügig gesenkt werden, heisst es, die Massnahme sei somit nicht verhältnismässig. 6,5 Millionen Franken eingespart – hoffentlich bedauern wir dies nie.
Frank O. Salzgeber
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Kommentare
Arthur Heinzmann, Visp - ↑0↓0
Wenn Grossfirmen eine übermässig hohe und stetig steigende Rendite verzeichnen, so geschieht das nicht selten auf dem Rücken von Einschränkungen im Sozial- oder Sicherheitsbereich. Diese Einschränkungen bekommen - falls was schief läuft - nie die Verursacher, sondern immer die "Kleinen" zu spüren. In beschriebenem Fall wird das Leben von Tausenden als Spieleinsatz gesetzt, in einem Spiel, das nur von einer Seite gewonnen werden kann.
Wenn ich als "Normalsterblicher" auf der Strasse eine dicke Lippe riskiere, so wird das sofort als rassistisch, sexistisch, erniedrigend, diskriminierend usw usw gedeutet und vielleicht sogar rechtlich verfolgt. Spielen aber Grossunternehmen mit dem Leben der gesamten Bevölkerung, so zählt bloss die damit erzielte Rendite. ... seltsame Perspektive ...
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