Standpunkt
Plädoyer für einen frühen Tod
Wir sind so gesund wie noch nie. Unsere Lebenserwartung steigt und steigt. Männer werden inzwischen im Schnitt 79,7 Jahre alt, die Frauen sogar 84,8 Jahre. Das zeigen die neuesten Zahlen des Walliser Gesundheitsobservatoriums. Und damit nicht genug, oh nein. Setzt sich die Entwicklung der Lebenserwartung fort, so wird die Hälfte der Kinder, die nach 2000 geboren wurde, über 100 Jahre alt werden. Hätte man das vor 50 Jahren jemandem erzählt, so hätte man das vermutlich als Humbug abgetan. Stellen Sie sich vor: 100 Jahre auf dieser Erde, das ist doch ein Grund zum Feiern. «Der Anstieg der Lebenserwartung ist wünschenswert, sofern die gewonnenen Lebensjahre eine positive Lebensqualität bieten und im geringstmöglichen Ausmass Krankheiten, Behinderungen und Abhängigkeiten mit sich bringen», heisst es denn auch im grossen Gesundheitsbericht des Kantons. Doch wird die zukünftige alte Generation diese Lebensqualität haben? Das scheint doch teilweise fraglich, denn der Bericht hält auch fest: «Obwohl die Bevölkerung länger und gesünder lebt, wird das Alter oft durch chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes oder Demenz begleitet. Diese Krankheiten werden in den kommenden Jahren den Pflegebedarf der Bevölkerung bestimmen.» Damit wir unser Risiko, im Alter zu erkranken, senken können, haben die Gesundheitsfachkräfte auch gleich ein paar Lösungen in Form von gesundheitlichen Evergreens parat. Man kennt sie bereits: mehr bewegen, weniger saufen und weniger rauchen. Und nicht fett werden, denn Fettleibigkeit wird auch in der Schweiz immer mehr zum Problem. Auf diese Nachricht hin genehmige ich mir erst einmal ein Steak mit Pommes, ein Bier und eine Zigarette. Denn ich will nicht uralt werden. 80 Jahre reichen mir, was an der künftigen Lebenserwartung gemessen ein früher Tod wäre. Der Staat spielt nämlich in der ganzen Gesundheitspolitik eine seltsame Doppelrolle. Einerseits will er, dass seine Bürger länger und gesünder leben, andererseits scheint es ihm nicht möglich, etwas gegen die explodierenden Kosten im Gesundheits- und Pflegewesen zu unternehmen. Wer von seinen Bürgern Verzicht und ein gesundes Leben fordert, darf die Menschen im Alter nicht hängen lassen, weil sie den Rat befolgt haben und immer älter werden. Doch das befürchte ich und möchte ich nicht miterleben.
Martin Meul
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