Kolumne | Diese Woche zum Thema: «Sozialismus in Europa - ein Auslaufmodell?»

Schlagabtausch zwischen Peter Bodenmann und Oskar Freysinger

Peter Bodenmann und Oskar Freysinger schreiben ab sofort in der Rhonezeitung.
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Peter Bodenmann und Oskar Freysinger schreiben ab sofort in der Rhonezeitung.
Foto: Mengis Media

Quelle: RZ 0

Der ehemalige SP-Schweiz-Präsident und Hotelier Peter Bodenmann und Alt-Staatsrat und Schriftsteller Oskar Freysinger duellieren sich jeden Donnerstag in der RZ Oberwallis. Diese Woche zum Thema: «Sozialismus in Europa - ein Auslaufmodell?»

Peter Bodenmann, ehemaliger SP-Schweiz-Präsident und Hotelier

Die sieben Todsünden der Sozialdemokratie

Die europäische Sozialdemokratie ist in Ländern wie Italien, Frankreich und Deutschland im freien Fall. Umgekehrt begeistern alte Männer wie Jeremy Corbyn in Grossbritannien und Bernie Sanders in den USA die Massen und vorab die Jugend. Andrea Nahles, Jeremy Corbyn und Bernie Sanders sind keine Sozialisten, sondern ­Sozialdemokraten, die im Rahmen des Kapitalismus mehr oder weniger Reformen durchsetzen wollen.

Andrea Nahles verliert dramatisch Stimmen, weil sie zu wenig links, zu wenig umweltfreundlich und zu ­wenig offen ist. Gehen wir die Todsünden der rechten Sozialdemokraten am Beispiel Deutschland durch.

Todsünde 1: Die Hartz-Reformen waren neoliberal. Millionen von Menschen arbeiten auf Abruf. In vielen Bereichen der deutschen Wirtschaft gibt es keine Gesamtarbeitsverträge. Umso wichtiger wäre ein anständiger gesetzlicher Mindestlohn. Die SPD ist nicht bereit, einen Mindestlohn von 12,50 Euro zu fordern und durchzusetzen.

Todsünde 2: Viele Menschen in Deutschland erhalten eine zu tiefe Rente. Weil sie nicht immer genug in den Rentenkassen einzahlen konnten. Es fehlt eine soziale AHV samt Ergänzungsleistungen.

Todsünde 3: In Deutschlands ­Städten sind die Mieten zu hoch. Wegen der Bodenspekulation. Und weil der soziale Wohnungsbau vernachlässigt wurde.

Todsünde 4: Deutschland führt seit zehn Jahren einen absolut erfolglosen Krieg in Afghanistan. Die Mehrheit der Deutschen will das nicht. Anstatt das Militär zurückzuziehen, ist die SPD bereit, unter dem Druck von Donald Trump die Militäraus­gaben zu erhöhen.

Todsünde 5: In Deutschland wurden und werden die Reichen und Superreichen immer reicher. Anstatt eine Vermögenssteuer einzuführen, soll jetzt die deutsche Reichensteuer – der Soli – abgeschafft werden.

Todsünde 6: Deutschland produziert viel mehr alternativen Strom als die Schweiz. Trotzdem muss es einen Gang zulegen. Andrea Nahles verteidigt die Braunkohle statt den ökologischen Umbau.

«Sozialdemokratie muss links politisieren»

Todsünde 7: In immer mehr Ländern der Welt setzt sich die Erkenntnis durch, dass Repression in Sachen Drogenpolitik kläglich gescheitert ist. In Colorado blüht der Tourismus dank der Freigabe von Cannabis.

Die deutschen Sozialdemokraten haben nicht begriffen, dass sie ihre Politik inhaltlich ändern müssen. Und dass sie neu wieder glaubwürdige Exponenten brauchen.

Wenn heute Wahlen in der Schweiz wären, würde die Linke – im Gegensatz zur SVP – etwas Stimmen dazugewinnen. Warum? Weil die SVP gegen mehr Lohnschutz ist und nichts gegen den Klimawandel macht. Und weil die Zuwanderung sich halbiert hat. Je sozialer, je umweltfreundlicher, je liberaler und je angriffiger die SP politisiert, desto mehr Stimmen wird sie machen. Das gilt übrigens auch für das Oberwallis.


Oskar Freysinger, ehemaliger SVP-Staatsrat und Schriftsteller

«Eine Sardelle ist ein Wal, der alle Phasen des sozialistischen Aufbaus durchlaufen hat»

(Autor unbekannt)

Was ist mit den einst so gefürchteten Kameraden in Europa los? In Frankreich sind sie nur mehr eine Randnotiz. In Italien und Schweden eine Rumpfpartei. In Deutschland ein schwindender Juniorpartner. Und jetzt noch das Wahldebakel in Bayern, wo die SPD die Hälfte der Wählerschaft verloren hat und noch auf 9,7 Prozent kommt.

Nun, wer nur durch hochgespielte Gesellschaftsprobleme wie Gender, MeToo, Feminismus und positive Diskriminierung von den echten sozialen und wirtschaftlichen Problemen ablenken will, landet bald einmal im Strassengraben. Wer die Welt retten will, um nicht vor der eigenen Tür wischen zu müssen, dem droht der Gang in die Bedeutungslosigkeit. Wer im Namen von Materialismus und Nihilismus alle Werte relativiert und zugleich eine der Inquisition in nichts nachstehende Dogmatik durchsetzen will, wer Schlägertrupps unterhält und dabei die Nazi-Keule schwingt, wer auf schizophrene Art alle Verbote untersagen und zugleich den Andersdenkenden den Mund verbieten will, der endet auf der Müllhalde der Geschichte.

Statt sich jedoch selbst infrage zu stellen, machen die Kameraden in ihrer Realitätsferne die Wirklichkeit für ihre Misserfolge verantwortlich. Zudem täuscht ihr intellektuelles Getue nicht mehr darüber hinweg, dass sie Wasser predigen und Wein trinken.

Eigentlich ist der Sozialismus ein Opfer des eigenen Erfolgs geworden und hat seine proletarische Basis durch seinen hemmungslosen Internationalismus und den massenhaften Import billiger Arbeitskräfte vergrault. Ohne es zu merken, ist die SP dabei zum nützlichen Idioten des globalen Kapitals geworden.

Während das Gutmenschen-Zen­trum die Thesen des Sozialismus aufgesogen hat und den Kollektivismus im Dienst der Globalisierung gesellschaftlich verträglich ausgestaltet, werden die Parteisozialisten zu Opfern ihrer zur Pose erstarrten permanenten Revolution. Als Beweis für den Linksdrall der Bürgerlichen diene, dass sich früher nur Sozis hätten leisten können, was sich neuerdings gewisse CVP-Herren im sittlichen ­Bereich herausnehmen. Und wenn man feststellen muss, dass im Gegenzug dazu die Kameraden im Oberwallis nunmehr eine CVP-Bundesratskandidatin unterstützen, dann ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass die SP-Thesen von den christlich-demokratischen Weichspülern erfolgreich abgekupfert wurden und als bürgerliches Gedankengut verkauft werden. Kein Zweifel, der Sozialismus ist am Ende. Er ist zugunsten der Bourgeoisie und des Kapitals untergegangen und kann bald in Frieden ruhen.

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