Naters | Kirchenstreit in der Fasnachtszeit
Perücke sorgt für rote Köpfe in der Bevölkerung
Wann überschreitet ein Pfarrer die Grenzen? Mit dieser Frage muss sich Jean-Pierre Brunner, Pfarrer in Naters und Mund, auseinandersetzen. Der Grund: eine Perücke.
In unserer Wahrnehmung tragen sie alle einen Heiligenschein. Wir glauben, was sie predigen. Wir sehen in ihnen Fachmänner für den christlichen Glauben und die christlichen Rituale. Die Pfarrer ihrerseits sehen das nicht immer so: Kürzlich schreibt ein deutschschweizer Pfarrer in einem Blog, er sei kein Heiliger, sondern ein Mensch mit seiner eigenen Geschichte, mit Stärken und mit Schwächen, also kein «Frömmigkeits-Inspektor». Die Pfarrer im Oberwallis sind unterschiedlich. Was der eine predigt, thematisiert der andere in der Kirche nicht. Und umgekehrt. Jean-Pierre Brunner, Pfarrer in den Pfarreien Naters und Mund, ist einer, der sich gerne volksnah zeigt. Hat er kürzlich den Bogen überspannt?
Christus verkünden
Vor der Fasnachtszeit nimmt Brunner eine Perücke mit in den Gottesdienst. Dadurch polarisiert er. Das passt in Naters nicht jedem. Deshalb wendet sich ein verärgerter Kirchengänger mit einer E-Mail an Brunner, was den Pfarrer veranlasst, die elektronische Post in der Kirche zu thematisieren. Auch dafür gibt es kritische Stimmen. Brunner will dazu nichts sagen. Die RZ fragt beim Generalvikar, Richard Lehner, nach. Ihm ist der Fall bekannt, kommentieren will er ihn nicht: «Zum konkreten Fall kann ich mich nicht sachlich äusseren, weil ich selbst an besagter Eucharistiefeier nicht anwesend war», sagt er. Und was meinen andere Priester? Für Paul Martone, Pfarrer in Steg und Gampel, steht fest, dass es in der Kompetenz jedes Pfarrers liegt, wie weit er gehen will. «Die Hauptsache ist, dass Christus verkündet wird, das sagt Paulus», meint Martone und zeigt Verständnis für die Perücken-Aktion seines Kollegen Brunner: «Jean-Pierre Brunner probiert etwas aus, das finde ich gut.» Dass es dabei Leute gibt, die eine solche Aktion verurteilen, gehöre dazu. Laut dem Generalvikar gilt grundsätzlich folgende Regelung: «Ein Pfarrer leitet die ihm anvertrauten Pfarreien nach bestem Wissen und Gewissen entsprechend der Lehre und nach den Weisungen der Kirche. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die liturgische Feier der verschiedenen Sakramente. Er tut dies nach den liturgischen Normen, die die Kirche vorgibt.» Selbstverständlich sei er frei, darüber zu entscheiden, in welcher Art und Weise er diese Aufgaben und diese Verantwortung wahrnehmen wolle, so Lehner.
Tiefgründiger Gottesdienst
Wie Brunner predigt Pfarrer Paul Martone vor zehn Tagen in einem Gottesdienst über die Fasnacht. Auch Martone polarisiert. In Brig führt er vor Jahren eine Rockmesse ein. Lockte er dadurch mehrere Leute in die Kirche? «Nein», sagt er. «Die meisten kamen zwei- dreimal, dann war die Anfangseuphorie verblasst.» Konrad Rieder ist Pfarrer in Saas-Fee und Saas-Almagell. Durch seine Authentizität hat er über das Saastal hinaus viele Sympathien gewonnen. Rieder legt grossen Wert darauf, «echt» zu sein. «Wenn ein Pfarrer am Schluss eines Gottesdienstes einmal eine Perücke aufsetz, wie es Brunner getan hat, und dies auch zu ihm passt, sehe ich darin kein Problem. Doch es darf keine Show sein», sagt er. Für Rieder ist klar: «Es ist langfristig nicht unser primäres Ziel, Leute in die Kirche zu holen.» Die Aussage des Pfarrers ist überraschend und simpel zugleich. Er erklärt: «Wenn wir eine Show im Gottesdienst inszenieren, haben wir kurzfristig mehr Leute in der Kirche, doch langfristig wollen die Leute einen tiefgründigen Gottesdienst feiern.» Für Rieder ist es wichtig, zwischendurch sich selbst zu hinterfragen.
An Liturgische Richtlinien halten
«Man muss selbstkritisch sein und die Frage in den Raum stellen, ob es einem gelungen ist, die christliche Botschaft im Gottesdienst zu verkünden», weiss Rieder. Schlussendlich gehe es genau um diese Botschaft und nicht um den Pfarrer, der sie verkünde. Auch Martone sieht dies so: «Die Kirche und die Gottesdienste sind eine Begegnung mit Jesus Christus – dafür gehen wir in die Kirche. Das müssen wir uns bewusst sein.» Den Grundsatz, dafür – wie Brunner – auch neue Wege zu gehen, findet Lehner richtig: «Jeder Priester wird bemüht sein, liturgische Feiern zeitgemäss vorzubereiten und zu gestalten und so die verschiedenen Gruppierungen in seiner Pfarrei anzusprechen. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange die liturgischen Richtlinien eingehalten werden.»
Artikel
Kommentare
Jean-Pierre Brunner, Naters - ↑18↓6
Halbwahrheiten - sind halbe Wahrheiten ... Wahr ist, dass ich am 12. Februar mit einer Clown-Marionette auf dem Arm gepredigt habe und eine Email vorlas, in welcher mir vorgeworfen wurde, ich würde zu sehr den "Clown" spielen. Die Marionette zeigte in der Predigt auf, dass jeder Christ berufen ist, seine Freude am Glauben an den Tag zu legen - wie es in Nehemia heisst: "Die Freude an Gott ist unsere Stärke!" (Neu 8,10).
Eine Perücke, auch eine rote habe ich NICHT getragen. Mails habe ich nicht nach der Predigt, sondern davor bekommen. Wer die Predigt gern lesen würde darf sie bei mir bestellen! Wichtig wäre noch: zu Beginn jener Messfeier habe ich gesagt: "Ich bin vom Evangelium heute überfordert, wo Jesus verlangt: 'Wenn du mit deinem Opfer zum Altar kommst, und Dir dabei einfällt, dass jemand etwas gegen dich hat, dann gehe - versöhne dich zuerst und erst dann komm und opfere!' ... das gestehe ich vor meiner Pfarrei und vor Gott ein - ich bin überfordert von den Forderungen Jesu - aber ich feiere Messe, um die Kraft zu finden, es immer wieder zu versuchen - den Glauben zu leben - in Freude (aber ohne rote Perücke)."
Eine echte Recherche hätte diesem Artikel journalistisch gut getan. Eigentlich biete ich als Pfarrer genug echten Stoff für Schreiberlinge - da müsste man nicht noch Dinge erfinden, die gar nicht vorgekommen sind. Aber vielleicht ist's jetzt eine Idee für eine kommende Predigt - wer weiss?
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Bruno Escher, Naters - ↑19↓3
Pfarrer Brunner hat seinen Auftrag als Seelsorger unserer Pfarrei von Anfang an klar erkannt und wahrgenommen. Dass er zur Kommunikation mit seiner Pfarrgemeinde und zu seinen Kirchgängern manchmal zu unkonventionellen Mitteln greift, spricht meiner Ansicht nach für ihn und sollte ihm nicht verübelt werden. Seien wir doch froh, einen solchen Kilchherrn zu haben. Und was die Liturgie betrifft, können ihm keine Verfehlungen angelastet werden. An diesen Normen hält er fest. Auf alle Fälle sind die Kinder und Jugendlichen in meinem Umfeld von seiner Art und Weise der Seelsorge überzeugt und erfreut. Diese jungen Leute sind die Zukunft unserer Kirche und diese gilt es, am Puls unseres Glaubens zu halten. Das sollte Grund genug sein, unseren Pfarrer zu unterstützen, anstatt ihm auf irgend eine Art und Weise Steine in den Weg zu legen.
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