Reportage | Zu Besuch bei Martin Schmidt in Mainz
Martin Schmidt: So entzückt er die Liga des Weltmeisters
Er siegte gegen die Bayern. Er mischt die Liga des Weltmeisters auf. Er lässt eine Stadt von europäischen Nächten träumen. Martin Schmidt hat in Mainz voll eingeschlagen.
«Wir sind nur ein Karnevalsverein», tönt es aus den Boxen der Coface Arena, wo in wenigen Minuten das Bundesliga-Derby zwischen dem 1. FSV Mainz 05 und Darmstadt 98 steigt. Die Fans sind bestens gelaunt. Seit über einer Stunde feiern sie ihr Team, das erstmals nach dem sensationellen 2:1-Auswärtssieg bei Bayern München zu Hause antritt. Mittendrin: Martin Schmidt (48). Noch erklärt er auf «Sky», wie er heute spielen will. Bald schon gestikuliert er an der Seitenlinie und kommuniziert mit seinen Spielern. Man spürt es: Schmidt lebt den Fussball. Er atmet ihn. Später an der Pressekonferenz wird er den Journalisten erklären, weshalb er zufrieden ist mit dem Punktgewinn (0:0), in einem Spiel, das Mainz 30 Minuten lang mit einem Mann weniger gespielt hat. «Die Mentalität, die uns in der Vergangenheit ausgezeichnet hat, Spiele zu gewinnen, hat uns heute davor bewahrt zu verlieren», sagt er. Schmidt – seit 13 Monaten Trainer in der 1. Bundesliga – ist längst angekommen in Mainz. Dass er in der Liga des Weltmeisters jedoch gleich um einen Platz im europäischen Fussball spielt (Plätze 1 bis 6 in Deutschland), hat niemand erwartet. Mainz-Manager Christian Heidel zur RZ: «Das wäre vermessen gewesen. Was Martin derzeit aus dem Team herausholt, übertrifft all unsere Erwartungen.» Was macht er denn anders als sein Vorgänger Kasper Hjulmand? Heidel: «Hjulmand war kein schlechter Trainer, doch er versuchte dem Team eine andere Spielweise und Spielphilosophie einzuimpfen, das passte nicht.» Schmidt, der als langjähriger Assistent von Thomas Tuchel und Trainer der Mainzer U23 die Klubphilosophie bestens kennt und verinnerlicht hat, brachte deshalb den Erfolg auf Anhieb zurück.
Bayern-Erfolg und die Auswirkungen
Sein Erfolg ist kein Zufallsprodukt. Am Abend nach dem Remis gegen Darmstadt analysiert er das gesamte Spiel noch einmal. Gleich am nächsten Tag startet er die Vorbereitung fürs nächste Spiel in Dortmund. Es ist vorerst ein nasser Montag. Pünktlich um 8.30 Uhr trifft sich das Team wie immer zum Frühstück in der Kabine. Jeweils drei Spieler bereiten dies vor. Eine Art Teambildung. Das ist Mainz. So will es der Trainer. Schmidt schaut auf die Details. Neben dem Platz und vor allem auf dem Platz. Das musste Münchens Startrainer Josep «Pep» Guardiola vor Wochenfrist schmerzlich erfahren. Guardiola wurde von Schmidt taktisch zweimal überrascht. Als der Spanier – wie üblich – in der Halbzeit sein Team umstellte, stellte auch Schmidt taktisch um, weshalb die gewünschte Wirkung im Bayern-Spiel ausblieb. Später verstärkte Guardiola vehement die Offensive, um Mainz noch tiefer reinzudrängen. Was machte Schmidt? Er brachte einen zusätzlichen Stürmer. Und der erzielte das Siegestor zum 2:1. Schmidt dazu: «Das brauchte Mut, doch wir konnten München dadurch überraschen.» Trotzdem wertet der Oberwalliser den Triumph in München nicht als seinen wichtigsten und schönsten Sieg als Trainer in Mainz. Der Erfolg in seinem ersten Spiel in der 1. Bundesliga (im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt, die Red.) sowie der erste Sieg in der laufenden Saison (am zweiten Spieltag auswärts gegen Mönchengladbach, die Red.) seien wichtiger gewesen. Die Fans sehen es anders: Der Sieg gegen den Liga-Dino überstrahlt in diesen Tagen alles. Bei einem Rundgang am Rhein kommen Leute von verschiedenen Seiten und rufen Schmidt zu: «Danke für den Dreier gegen die Bayern.» Oder: «Ihr habt die Bayern weggehauen, Gratulation.» Schulkinder sammeln derweilen fleissig Autogramme. Das Bayern-Spiel hat Spuren hinterlassen. An den folgenden Tagen flogen Presseanfragen von mehreren europäischen Medienhäusern in die Kommunikationsabteilung. Die Fans feiern den Sieg noch Tage später. Zur Belohnung für die «Sensation von München» peitschten am vergangenen Sonntag 34 000 Fans die Mainzer im Derby nach vorne. Generell ist die Coface Arena seit Schmidt übernommen hat, gut gefüllt. Über 29 000 Fans kommen im Schnitt, das ist eine Auslastung von mehr als 85 Prozent. In einer Stadt, wo der Fussball zu Hause ist. Im Stadion gibt es einen Kinderhort. Im Fanshop ein Mainz eigenes Monopoly. Stunden vor Spielbeginn heizt ein klubeigener DJ vor dem Stadion richtig ein. Fussball ist hier Kult! Spiele sind ein Event. Siege werden zelebriert. Und der Natischer Schmidt hat Spass daran. Die Wahrnehmung und Aussendarstellung, mit der Öffentlichkeits- und Medienarbeit, habe sich seit Amtsantritt verändert, verrät er der RZ bei einem Besuch im Rheinland. Wann stösst er an seine Grenzen? «Nie», sagt er, um dann doch auszuführen: «Natürlich spüre ich nach einer englischen Woche eine Müdigkeit, manchmal auch mental, doch ich freue mich immer wieder auf die bevorstehende Aufgabe und darauf, mein Team auf das nächste Spiel bestmöglichst einzustellen.» Um kontinuierlich erfolgreich zu sein, setzen sich Schmidt und sein Team stets neue Prozess- und Handlungsziele. Nachdem Mainz die 40-Punkte-Grenze geknackt hat, will er nun in der Rückrunde die starke Vorrunde bestätigen, in der Mainz 24 Zähler sammelte. «Die Ziele werden uns nie ausgehen», sagt er.
Nächster Halt Schalke 04?
Unabhängig davon, ob Mainz in der nächsten Saison auf europäischer Bühne spielt oder nicht, wird es Ende Saison eine Herausforderung sein, erneut einen konkurrenzfähigen Kader zusammenzustellen. Mainz spielt finanziell in der untersten Liga sämtlicher Erstligisten mit. Der Transfer von Fabian Frei (3,5 Millionen Euro) von Basel war der bisher teuerste. Deshalb ist auch eine Verpflichtung von Sittens Fernandes und Konaté kein Thema. Mainz bäckt (finanziell) kleine Brötchen. Anders als manch anderer Erstligist. Schmidt ist wohl auch der einzige 1.-Liga-Trainer, der (noch) keinen Berater hat. Doch die Mainzer Philosophie ist erfolgreich. Dank eines Trainers, den sie in Fussball-Deutschland Video-Junkie nennen. Im positiven Sinn. Das hat auch Klubpräsident Harald Strutz längst registriert: «Martin ist ein äusserst akribischer Arbeiter, der die Sprache der Spieler spricht, das zeichnet ihn aus.» Strutz ist zudem aufgefallen, mit wie viel Selbstvertrauen die Mainzer antreten, seit Schmidt an der Seitenlinie steht. Über den FC Raron, Thuns U21 sowie die Mainzer U23 ist der ehemalige NLB-Spieler des FC Naters als Trainer in der Bundesliga gelandet. Mauro Lustrinelli, Sven Christ, Johann Vogel oder Raphael Wickey, die als Spieler national und international Karriere gemacht haben, schauen zum Oberwalliser hoch und besuchen ihn demnächst in Mainz, um mehr über den Bundesliga-Alltag eines Trainers zu erfahren. Christian Heidel hat Schmidt im Februar 2015 zum Chef-Trainer gemacht. Er verlässt den Klub nach 24 (!) Jahren am Ende der Saison und wechselt zum FC Schalke 04. Stimmen wurden laut, wobei Heidel einst auch Schmidt zu den «Königsblauen» locken könnte. In Mainz folgte darauf ein heftiges Dementi: «Hören Sie auf, da machen wir uns wirklich gar keine Gedanken. Martin weiss sehr wohl, was er an diesem Verein hat und Heidel wird unseren Verein nicht durcheinanderbringen, indem er Schmidt von uns weglockt», sagt Strutz. Heidel lacht, als ihn die RZ darauf anspricht: «Das hat mich noch keiner gefragt. Ich habe ihm selber einen Vertrag in Mainz bis 2018 gegeben, deshalb ist daran nicht zu denken.» Im Februar hat Mainz Schalke zu Hause 2:1 geschlagen. Das war einer von mehreren Siegen gegen einen der Grossen in der Liga. Das Team befindet sich auf der Überholspur. In der abgelaufenen englischen Woche holten die 05er sieben von neun möglichen Zählern. Gegner waren Bayer Leverkusen, Bayern München und Darmstadt 98. Mainz beeindruckt derzeit die Liga und seine Gegner. Und ist mehr als ein Karnevalsverein.
Simon Kalbermatten
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Kommentare
jürgen von känel - ↑3↓7
Und meines wissens war Martin auch nie Assistent von Tuchel!
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martin - ↑21↓2
Mit Pauken und Trompeten, Schmeichelnde Berichte/Kommentare, Schulterklopfer hier, Schulterklopfer dort, aber was wenn Martins Erfolge ausbleiben. Sepp Blatters Zitat" am Schluss bleibt nur noch eine Handvoll wenn überhaupt deren Freunde übrig.
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Jean-Claude Abgottspon - ↑18↓27
Der Liga-Dino ist Hamburg und nicht Bayern München. Der Leserlichtkeit des Textes hätten ein paar Abschnitte und ein roter Faden im übrigen auch nicht geschadet.
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