Amt für Kindesschutz | Auf der Suche nach interessierten Familien
Im Oberwallis mangelt es chronisch an Pflegefamilien
Das Amt für Kindesschutz ist auf der Suche nach Pflegefamilien. Die Herausforderung besteht darin, die passende familiäre Situation für die Bedürfnisse der Kinder zu finden.
Im letzten Jahr wurden im Oberwallis 35 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien betreut. 36 Pflegefamilien standen dem Amt für Kindesschutz dafür zur Verfügung. «Derzeit haben wir neun freie Familien, die bereit wären, ein Kind aufzunehmen», sagt Nicole König, Bereichsleiterin Pflegefamilien beim Amt für Kindesschutz. Dennoch ist das Amt auf der Suche nach weiteren Pflegefamilien, denn die Zahlen täuschen darüber hinweg, dass es im Oberwallis an Pflegefamilien mangelt. «Pflegefamilie ist nicht gleich Pflegefamilie», erklärt König. «Nicht jede Familie steht für das gleiche Betreuungsangebot zur Verfügung, es gibt die unterschiedlichsten Präferenzen.» So kann eine Pflegefamilie angeben, welches Alter die zu betreuenden Kinder haben sollen, ob man für eine Betreuung über Monate oder Jahre hinweg zur Verfügung steht, dem Kind nur am Wochenende ein Zuhause bietet oder nur notfallmässig für ein paar Tage einspringen kann. «Das heisst, dass auch, wenn wir freie Familien haben, noch lange nicht garantiert ist, dass wir unter diesen auch das Angebot finden, welches wir im Moment für das betroffene Kind suchen», erklärt König. «Darum ist es für uns besonders wichtig, dass wir auf einen möglichst grossen Pool an Pflegefamilien zurückgreifen können.»
Die Familien entscheiden
Denn bei der Platzierung von Pflegekindern ist das Amt für Kindesschutz in der Rolle des Bittstellers. «Wir fragen die Familien an, ob sie bereit sind, ein Pflegekind aufzunehmen», erklärt Michael Kreuzer, Leiter des Oberwalliser Amts für Kindesschutz. «Schlussendlich entscheidet aber die Familie dann, ob sie das Kind aufnimmt oder nicht.» So kann es sein, dass eine Familie zwar grundsätzlich als Pflegefamilie registriert ist, jedoch die Aufnahme eines oder mehrere Kinder über einen längeren Zeitraum hinweg ablehnt. «Es kann Situationen geben, in denen es einer Pflegefamilie nicht möglich ist, ein Kind aufzunehmen, zum Beispiel weil sie gerade ein weiteres eigenes Kind bekommt. Schliesslich geht man eine grosse Verpflichtung ein.» Auch deshalb sei es von Vorteil, auf deutlich mehr gemeldete Pflegefamilien zurückgreifen zu können, als man Kinder platzieren muss, «was momentan jedoch chronisch nicht der Fall ist», sagt Kreuzer weiter. Kommt hinzu, dass auch Örtlichkeiten eine grosse Rolle spielen können. «Wenn ein Kind beispielsweise schulpflichtig ist, macht es vielleicht wenig Sinn, es aus seiner gewohnten Umgebung herauszureissen und in eine andere Schule zu schicken», erklärt Bereichsleiterin Nicole König. «Das erhöht den Bedarf an Familien zusätzlich.» Findet sich keine passende Pflegefamilie, so müssen andere Lösungen her. «Ab einem gewissen Alter können Kinder beispielsweise in einer Wohnheimstruktur platziert werden», sagt Michael Kreuzer. «Allerdings sind Heime, wie das ‹Mattini› in Brig meistens schon gut belegt und es stehen nicht immer freie Plätze zur Verfügung.» Im schlimmsten Fall müssen die Kinder dann ausserkantonal platziert werden, was, so Kreuzer, «nicht die bevorzugte Variante ist.»
Offenheit entscheidend
Interessiert sich derweil eine Familie dafür sich als Pflegefamilie zur Verfügung zu stellen, muss sie eine Bewilligung beantragen. Das gilt auch, wenn Verwandte Kinder von Angehörigen über eine längere Zeit bei sich aufnehmen. «Die sich bewerbenden Familien müssen einen sauberen Strafregisterauszug vorweisen und werden auf ihre finanzielle Situation, den verfügbaren Platz, die zeitlichen Ressourcen und dergleichen hin überprüft», erklärt Michael Kreuzer. «Dann gibt es ein definitives Okay und man ist als Pflegefamilie registriert.» Doch nicht nur die formellen Angelegenheiten sind entscheidend, sagt Nicole König. «Die ganze Familie muss hinter dem Entscheid stehen, Pflegefamilie zu werden. Sind zum Beispiel die eigenen Kinder dagegen, kann dies gegen ein Engagement als Pflegefamilie sprechen.» Eigene Kinder sind zwar nicht zwingend Voraussetzung, um Pflegekinder aufzunehmen, «Erfahrung mit Kindern, zum Beispiel auch beruflicher Natur, ist jedoch von Vorteil», so König. Die wichtigste Eigenschaft, die eine Pflegefamilie mitbringen muss, ist jedoch Offenheit. «Die Kinder haben die unterschiedlichsten Vorgeschichten, wurden vielleicht geschlagen oder stammen aus Familien, in denen Drogen konsumiert wurden», sagt die Bereichsleiterin Pflegefamilien. «Eine Pflegefamilie sollte diesen Vorgeschichten vorurteilsfrei begegnen können.»
«Nicht immer einfach»
Denn die Vorgeschichten der Pflegekinder können zu Konflikten mit den «neuen» Familien führen. «Natürlich spielt das Alter der Kinder eine grosse Rolle», sagt Nicole König. «Oft erleben wir jedoch, dass die Eingliederung der Kinder in die Pflegefamilie in drei Phasen abläuft.» So reagieren die Kinder und Jugendlichen auf das neue Umfeld zunächst mit einer übermässigen Anpassung. «Alles ist neu, die Kinder wissen nicht, wie die Abläufe in der Familie sind und passen sich daher stark an und wollen gefallen», erklärt König. «Dann beginnen sie jedoch zu testen, wie weit sie gehen können, loten die Grenzen in der neuen Familie aus und vergleichen die Reaktionen mit dem, was sie bis anhin kannten. Das ist nicht immer einfach für die Pflegefamilien.» So seien manche Kinder damit überfordert, wenn die Pflegefamilie ihnen plötzlich Aufmerksamkeit, zum Beispiel bei der Erledigung der Hausaufgaben, widme. «Gerade Kinder, die mit Vernachlässigung konfrontiert waren, empfinden dies teilweise als Kontrolle, was zu Konflikten führen kann», sagt König. «Daher braucht es von den Pflegefamilien eine gewisse Krisenresistenz. Allerdings folgt nach dieser rebellischen Phase meistens dann die Phase der Akzeptanz.» Eine Familie, die ein Pflegekind aufnehme, müsse sich aber auch immer bewusst sein, dass die Möglichkeit besteht, dass das Kind eines Tages wieder zurück zu seiner eigenen Familie kommt. «Wir versuchen grundsätzlich, Verbesserungen der Situationen herbeizuführen, damit die Kinder mit der eigenen Familie leben können», sagt Michael Kreuzer. «Können Eltern zum Beispiel sich von ihrer Drogenabhängigkeit loslösen, kann das Kind wieder Zeit bei seiner Familie verbringen, bis es wenn möglich wieder vollständig bei seinen Eltern lebt.» Auch diese Trennungen seien für die Pflegefamilien nicht immer einfach. «Man versucht aber durch die schrittweise Wiedereingliederung des Kindes in seine Familie die Umstellung für alle Beteiligten so leicht wie möglich zu machen.»
Jederzeit Hilfe verfügbar
«Natürlich kann die Betreuung eines Pflegekindes immer mal wieder zu Situationen führen, die die Pflegefamilien an ihre Grenzen bringen», sagt Nicole König. «Es ist wichtig, dass die Pflegefamilien sich frühzeitig melden, damit die nötige Unterstützung rechtzeitig erfolgen kann, nicht erst, wenn es brennt.» So stehen den Familien der Beistand oder die Beiständin der Kinder als Ansprechperson zur Seite. Dieses Mandat wird im Normalfall von einer Fachperson vom Amt für Kindesschutz ausgeübt. «Es besteht auch die Möglichkeit, Beratungen beim Zentrum für Entwicklung und Therapie (ZET) in Anspruch zu nehmen», sagt König. Zudem wurde im letzten Jahr der Verein Pflegefamilien Oberwallis gegründet, der beabsichtigt die Pflegeeltern in ihrer Arbeit mit Austauschtreffen, Weiterbildungen und so weiter zu unterstützen.
Martin Meul
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