Glosse | Smartphones im Schwimmbad
Hässlich für die Ewigkeit
Fotografieren im Schwimmbad ist umstritten. Schliesslich können so die eigenen körperlichen Makel unfreiwillig für alle Zeit im Internet landen. Ein Abgesang auf flüchtige Eindrücke aus der «Badi», die uns zeigen, wie wir Menschen wirklich «gebaut» sind.
Im Schwimmbad zeigt sich die Wahrheit, ungeschminkt, ungefiltert, in ihrer ganzen Schönheit oder auch nicht. In Zeiten von bearbeiteten Bildern und bildlich aufgemotzten Körpern ist der Besuch im Bad eine Konfrontation mit der Realität. Das Kilo zu viel auf den Hüften kann man hier nicht verstecken, die Orangenhaut nicht mit einem Fotofilter kaschieren. Maquillage gibt es hier kaum. Wer sich den beobachtenden Blicken und vielfach auch der Bewertung durch die anderen Gäste der Badeanstalt nicht aussetzen will, der bleibt besser zu Hause. Ja, das Schwimmbad ist etwas für Selbstbewusste.
Die flüchtige Realität
Doch das Schwimmbad ist auch ein Ort der Flüchtigkeit. Flüchtig sind die Blicke, wenig bleibend die Eindrücke, die man hier von der Körperlichkeit der Menschen mitnehmen kann. Das ist gut so, denn so ist die Existenz – schnelllebig und vergänglich. Und so braucht es nicht ganz so viel Mut, sich und seine vermeintlichen körperlichen Makel den anderen zu präsentieren, immerhin ist da das Wissen darum, dass der Schock für die anderen Gäste von zeitlich begrenzter Dauer ist, wenn der Bauch nicht wie gemeisselt aussieht, sondern mehr oder weniger schlaff über den Bund der Badehose hängt. Flüchtigkeit als Segen sozusagen.
Für immer im Netz
Doch die Flüchtigkeit der Anblicke im Schwimmbad ist bedroht. Ihr Feind ist klein, stylish und immer häufiger wasserdicht. Das Smartphone hat auf den bislang vergänglichen Kontakt mit dem menschlichen Makel im Schwimmbad den gleichen Effekt wie eine Fliegenfalle auf die Plagegeister – es bleibt etwas kleben. Die Lust der Menschen, den schönen Augenblick im Bad auf Bildern festzuhalten und mit der digitalen Welt zu teilen, führt zunehmend dazu, dass man sich immer weniger darauf verlassen kann, dass das Gegenüber den Anblick des eigenen behaarten Rückens schnell wieder vergisst. Unfreiwillig wird die eigene Unvollkommenheit von anderen für die Ewigkeit im Netz festgehalten, geteilt und immer wieder betrachtet. Gedacht wird sich dabei in der Regel nichts Böses, das Leben findet heutzutage auf Instagram und Co. statt. Warum sollte man also nicht auch am Beckenrand des alpinen Thermalbads Fotos von sich und anderen schiessen? Es ist hier doch «so schön», und was nicht fotografiert wurde, ist auch nicht passiert.
Pragmatischer Umgang
Ein paar Schwimmbäder im Unterwallis haben indes vor drei Jahren den digitalen Beweisfotos den Kampf angesagt. In den Bädern von Siders und Sitten herrscht seitdem Fotografierverbot. Schliesslich hatte auch der kantonale Datenschützer davor gewarnt, dass Schnappschüsse in Schwimmbädern unabsehbare Konsequenzen haben könnten. Seitdem muss man sich im Mittelwallis das Gesehene wieder selbst einprägen, wenn man nach dem Schwimmbadbesuch über die Figur der Nachbarin lästern will, denn die Bilder aus den Bädern sind wieder flüchtig geworden. Und im Oberwallis? Wer sich hier daran stört, dass er möglicherweise im Hintergrund eines Instagram-Bildes auftaucht, muss selbst aktiv werden. Das Ganze ist sozusagen ein Antragsdelikt. Allerdings sei das Problem nicht wirklich gross, sagt beispielsweise der Geschäftsführer des Thermalbads Brigerbad, Olivier Foro. «Im Wellness- und Spa-Bereich ist fotografieren verboten», sagt er. «Im Aussenbereich hingegen gab es bis jetzt keine Probleme.» Sollte sich jedoch jemand beschweren, so werde man darauf eingehen und eine Lösung finden, so Foro. «Unser Ansatz mit dem Thema ist pragmatisch und wir fahren damit bisher sehr gut.» Vielleicht ist es tatsächlich das, was die Thematik braucht: Pragmatismus. Schliesslich werden wir in diesen Tagen dauernd gefilmt und fotografiert, ob wir wollen oder nicht. Und ein bisschen mehr körperlicher Realismus in der gefilterten und aufgemotzten Fotowelt der sozialen Medien schadet vielleicht auch nicht. Immerhin sollen Bilder doch die Welt zeigen, wie sie ist. Und die Welt ist oftmals haarig, fettleibig oder schrumpelig. Das weiss niemand besser als ein Schwimmbadbesucher.
Martin Meul
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