Lötschental | Meinungen gehen auseinander
Haben die Tschäggättä ihren «Schrecken» verloren?
Die Frage, ob die Lötschentaler Tschäggättä zu zahm geworden sind, polarisiert. Ja, finden unsere Leser und ein passionierter Larvenschnitzer. Nein, sagt hingegen der Kulturwissenschaftler.
Für den Wiler Maskenschnitzer Heinrich Rieder ist klar: Die Tradition der Tschäggättä im Lötschental ist auf Abwegen. «Das Tschäggättu hatte ursprünglich keinen touristischen Hintergrund», erklärte Rieder vergangene Woche im grossen Interview mit der RZ. Ganz besonders stört sich Rieder am bei Einheimischen und Touristen beliebten «Tschäggättu-Loif». «Der Umzug an sich ist für mich eine reine Kommerzveranstaltung», erklärte der Larvenschnitzer. «Viele Männer, Frauen und Kinder laufen als Tschäggättä verkleidet durchs Tal und die Vereine bereichern sich daran.» Mit dem eigentlichen Brauchtum habe das nicht mehr viel zu tun, so Rieder. Man spürt: Der passionierte Verfechter der Lötschentaler Tradition wünscht sich die alten, wilden und auch manchmal groben Tschäggättä zurück. Unterstützung gibt es dabei von den Leserinnen und Lesern der RZ. In einer nicht repräsentativen Umfrage auf Facebook gab eine grosse Mehrheit der Teilnehmer an, es ähnlich zu sehen wie Maskenschnitzer Heinrich Rieder, der in Wiler einen Maskenkeller betreibt. Rund drei Viertel erklärten, die Tschäggättä sollten zur Tradition zurückkehren, nur eine Minderheit fand, dass auch die wilden Gestalten aus dem Lötschental sich den Gegebenheiten der Zeit, konkret den touristischen Bedürfnissen, anpassen müssten.
«Brauchtum verändert sich»
Das sieht Kulturwissenschaftler Werner Bellwald aus Blatten indes anders. «Ein Brauchtum verändert sich, wie es auch die Sprache tut», sagt er. Dies betreffe nicht nur die Lötschentaler Tschäggättä. Als Beispiel nennt Bellwald die «Silvesterchläuse» im Appenzell. «Diese waren früher ebenfalls teilweise gewalttätig, hin und wieder gab es einen ‹Hosenlupf›», so Werner Bellwald. «Heute ist dies nicht mehr der Fall, das Brauchtum hat sich verändert.» Gehe man davon aus, dass die Fasnacht früher auch eine Möglichkeit darstellte, versteckt hinter einer Maske eine Rechnung zu begleichen, was aber heute natürlich verpönt sei, so könne man durchaus behaupten, dass das Brauchtum der Tschäggättä «verweichlicht» worden sei, erklärt der Kulturwissenschaftler. «Ich finde dies aber nicht schade», führt Bellwald aus, «ich finde es einfach anders.»
Mehr Qualität
Positiv an dieser natürlichen Entwicklung sei beispielsweise, dass sich wieder viele junge Menschen und auch Touristen für den Brauch der Tschäggättä begeistern würden, dass Larvenkeller entstanden seien und dass heute eine schöne Larve, die handwerkliche Qualität oder die Raffinesse der «Allegättu» im Vordergrund stünden, was früher nicht der Fall gewesen sei. «Statt von einer Verweichlichung des Brauchtums zu sprechen, könnte man auch sagen, dass die Tschäggättä zivilisierter geworden sind», so Kulturwissenschaftler Werner Bellwald abschliessend.
Martin MeulWalter Bellwald
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Kommentare
Arthur Heinzmann, Visp - ↑3↓0
Zum Thema "Schrecken", der wird heute von anderer Seite zur Genüge gewirkt. Da kommen die Tschäggättä recht harmlos daher. Nicht desto Trotz gefallen mir diese Masken und ich fahre auch immer mal wieder gerne an die Orte des Geschehens.
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