Agarn | Junge Malermeisterin unterwegs in einer Männerdomäne
Frauenpower auf dem Bau
Sie ist die erste Malermeisterin im Oberwallis. Noemie Fussen zeigt, wie viel Energie sie in den körperlich anspruchsvollen Beruf steckt und mit welchen Klischees sie sich auseinandersetzen muss.
Wer sich im Umfeld der bald 27-jährigen Agarnerin umhört, kommt zum Schluss, dass sie ein echtes Energiebündel ist – Malerin auf dem Bau, Posaunistin in der Dorfmusik, Tambourmajorin in der Guggenmusik sowie Mittelfeldspielerin bei der Damenmannschaft des FC Agarn. «Vom Naturell her bin ich immer gerne in Bewegung», so Noemie Fussen. Aufgewachsen und bis zur sechsten Primarstufe zur Schule gegangen ist die junge Oberwalliserin wie ihr Bruder in ihrem Heimatdorf Agarn. Anschliessend absolvierte sie die Orientierungsschule in Leuk, in welcher bald einmal die Berufswahl ein Thema wurde. «Für mich war damals schon Malerin der Traumberuf, aber ich wollte mich nicht zu früh festlegen und habe auch in anderen Berufen geschnuppert», sagt Fussen. Das Kreative stand im Vordergrund und so schnupperte sie unter anderem als Grafikerin und Werbegestalterin. Am Ende der Sekundarstufe war es für sie dennoch zu früh, sich beruflich festzulegen, sodass sie ein zehntes Schuljahr in Sitten absolvierte.
Berufswahl
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Auch während ihres Welschlandjahres, bei dem sie ihre Französischkenntnisse aufpolieren konnte, liess sie der Gedanke nicht los, eines Tages Malerin zu werden. «Meine Mutter war sehr skeptisch, als sie von meinem Berufswunsch erfuhr», sagt die Agarnerin. Ihr Vater, selbst gelernter Malermeister, stand der Idee grundsätzlich offen gegenüber. Nach einem erneuten Schnuppern war für Noemie Fussen klar, dass sie den Beruf der Malerin erlernen möchte. In einem Gespräch mit ihren Eltern offenbarte sie ihnen die Entscheidung, was vor allem den Vater vor Freude sprachlos machte. Bei der Mutter war die Angst vorhanden, dass sie als junge Frau auf dem Bau «unter die Räder kommt».
Frau auf dem Bau
Einen Männerberuf zu erlernen ist für ihr bisheriges Leben auch wiederum typisch. Schon vor ihrer Lehre war sie viel in Umfeldern mit einem hohen männlichen Anteil unterwegs. So half sie auf Baustellen ihres Vaters beim Malen mit oder spielte bei den Knaben im Juniorenfussball in der Region rund um Leuk. «Ich habe früh gelernt, mich in der Männerwelt durchzusetzen, und wenn es sein muss, auch mal die Ellbogen auszufahren», sagt Fussen mit einem selbstbewussten Lachen. Auch auf der Baustelle machte sie während der Lehre erste Erfahrungen im Umgang mit ihr als Frau. Sprüche gab und gibt es immer wieder, doch sie wäre nicht sie, wenn sie nicht auch selbst mit einem Spruch, aber auch mit Leistung darauf antworten würde. «Von Berufskollegen wurde ich anfänglich als körperlich zu schwach belächelt», erklärt sie. Bei den Kunden wie auch bei anderen Berufsleuten weckte sie nach einer anfänglichen Überraschung grosses Interesse an ihrer Berufswahl, was sie natürlich sehr anspornte, um weiter ihren Berufswunsch zu verwirklichen.
«Sprechende Fassade»
Ihr Vater ist zumindest im malerischen Bereich ein Vorbild für sie. Bereits nach Abschluss ihrer drei Jahre dauernden Lehre als Malerin hat sich die junge Frau Gedanken darüber gemacht, wie sie ihren unbändigen Wissensdurst weiter stillen kann. «Da mein Vater bereits Malermeister war, wollte ich ihm unbedingt nacheifern und die Weiterbildung in Angriff nehmen», sagt Fussen. Gesagt, getan. Nach zweijähriger Praxiserfahrung begann Noemie Fussen ihre Weiterbildung zur eidgenössisch diplomierten Malermeisterin in Zürich. Als jüngste Teilnehmerin und zugleich als Frau wurde ihr nichts geschenkt. Unterschwellig bekam sie von Dozenten sogar zu verstehen, dass sie noch zu jung sei, um sich als Malermeisterin weiterzubilden. Dies spornte sie umso mehr an, die Strapazen der Arbeit auf der Baustelle, des Pendelns nach Zürich sowie des Lernens für die Meisterprüfung auf sich zu nehmen. Den Abschluss ihrer Meisterausbildung wollte sie unbedingt mit etwas Praktischem realisieren. «Bei der Projekteingabe habe ich das von meinen Eltern in Leuk gekaufte Haus zu meiner Diplomarbeit gemacht», betont Fussen. Dabei hat sie die Fassade des unscheinbar wirkenden Hauses im Dorfzentrum renoviert und mit walliserdeutschen Wörtern geschmückt. Heute zählt der neu renovierte Bau auch zu den Sehenswürdigkeiten bei den geführten Dorfrundgängen in Leuk. «Die Idee der ‹sprechenden Fassade› ist es, die vorbeilaufenden Leute auf das alte Gebäude aufmerksam zu machen und die Leute zu Diskussionen rund um die Wörter anzuregen», wie die Malerin präzisiert. Selbst noch jung wünscht sie sich, dass vermehrt junge Frauen den Beruf der Malerin erlernen. Trotz körperlich strenger Arbeit gibt er ihr viel zurück. «Es ist für mich etwas vom Schönsten, wenn ich nach Feierabend sehe, was ich mit meiner Arbeit den ganzen Tag durch geleistet habe», schwärmt Fussen. Diese Begeisterung versucht sie auch als Expertin bei den Lehrabschlussprüfungen in Sitten weiterzugeben, für die sie sich seit letztem Jahr einsetzt.
Thomas Allet
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