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«Ein bürokratischer Leerlauf»
Beat Rieder (53) ist gegen die Durchsetzungsinitiative. «Diese Vorlage ist ein bürokratischer Leerlauf, der nicht ein einziges Problem löst, sondern neue schafft», ist der CVP-Ständerat überzeugt.
Herr Rieder, mit der Durchsetzungsinitiative will die SVP dem Volkswillen Nachdruck verleihen, weil der Initiativtext der Ausschaffungsinitiative nicht konsequent umgesetzt worden sei. Ein legitimes Anliegen?
Nein. Die Behauptungen der SVP sind schlichtweg falsch. Bereits beim aktuell geltenden Recht können die Ausschaffungen wie vom Volk gewollt vorgenommen werden. Zudem legen die Gerichte die nötige Härte an den Tag. Das Bundesgericht hat gerade erst im Dezember 2015 einen Mazedonier für ein Raserdelikt nach Mazedonien ausgeschafft, der in der Schweiz geboren worden ist und nie in Mazedonien gelebt hat. Einen Eingriff in die Gewaltentrennung, wie es die Durchsetzungsinitiative will, braucht es nicht.
Machen Sie es sich bei Ihrer Argumentation nicht zu einfach: Schliesslich wurde bei der Umsetzung der Ausschaffungsgesetzgebung die sogenannte Härtefallklausel eingeführt. Insofern wird der Volkswille ja tatsächlich missachtet.
Was wollte und will das Volk? Es will, dass kriminelle Ausländerinnen und Ausländer ausgeschafft werden. Die Grundlagen hierfür bieten zum einen die geltende Gesetzgebung, zum anderen die Ausschaffungsinitiative. Dieser Volkswille wird – wie auch das Beispiel des Mazedoniers zeigt – in der Schweiz beachtet. Die Durchsetzungsinitiative geht nun aber nochmals einen Schritt weiter. Sie will verhindern, dass jeder Täter individuell beurteilt wird, was zu rechtsstaatlich bedenklichen Entscheiden führen kann. Die Gerechtigkeit im Einzelfall ist weg!
Die Befürworter argumentieren, dass die Initiative nur Ausländer betreffe, die gegen die Rechtsordnung verstossen. Was spricht dagegen, gewisse Spielregeln für das Bleiberecht in unserem Land einzuführen?
Nichts. Wer bei uns in der Schweiz lebt, hat sich unserer Kultur und unseren Gepflogenheiten anzupassen. Dazu gehört auch, dass man sich nicht strafbar verhält. Wer also schwere Straftaten begeht, wird richtigerweise ausgeschafft. Nur, ich wiederhole mich gerne, braucht es hierzu keine Durchsetzungsinitiative. Die Richter, welche übrigens aus allen Parteien stammen, machen ihre Arbeit.
Trotzdem: Es ist wohl kaum von der Hand zu weisen, dass die direkte Bestrafung eine präventive Wirkung zur Folge hätte?
Die präventive Wirkung von strafrechtlichen Sanktionen ist unbestritten. Sowohl die Drohung mit Gefängnisaufenthalten wie auch die Gefahr der Ausschaffung sollen von der Verübung von Straftaten abhalten. Die Durchsetzungsinitiative verstärkt die präventive Wirkung gegenüber der geltenden Gesetzgebung nicht. Sie führt aber mit ihrem ausschweifenden Tatbestandskatalog zu bedenklichen Entscheiden. Nehmen Sie beispielsweise den in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen holländischen Arzt Ruben, der mit neunzehn wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand verurteilt wurde und neun Jahre später während der Fasnacht in eine Schlägerei verwickelt und deshalb mit allen Beteiligten wegen Raufhandels mit einer Busse bestraft wurde. Er müsste ausgeschafft werden. Ich bezweifle, ob dieser Fall tatsächlich dem Volkswillen entspricht. Solche Fallkonstellationen gibt es viele.
Bei einem Ja zur Durchsetzungsinitiative würden hohe Kosten entstehen, weil der Staat mehr Verteidiger für Ausländer bezahlen müsste. Die SVP argumentiert, dass ausländische Wiederholungstäter viel höhere Kosten verursachen würden.
Straftäter verursachen immer hohe Kosten, nicht nur wenn sie ausländischer Herkunft sind. Für mich sind jedoch nicht die Kosten der Durchsetzungsinitiative entscheidend, sondern die Vollzugsproblematik, die keinen Ermessensspielraum mehr bietet. Die SVP stellt neuerlich eine Idee auf, deren Vollzug mehr als schwierig werden wird. Selbst SVP-Exponenten wollten im Nachhinein den Geltungskreis der Initiative begrenzen und den Begriff des Ausländers einengen.
Bundesrat und Parlament empfehlen, die Initiative abzulehnen. Keine Angst, dass die Bevölkerung mit einem Ja der Politik eins auswischen will, weil man sich nicht um den Volkswillen kümmert?
Ich glaube nicht, dass das Volk der Politik eins auswischen will. Vielmehr gründet die Zustimmung zur Initiative teilweise auf der Angst vor kriminellen Ausländern, wobei dabei primär an Mörder, Vergewaltiger und andere schwere Straftäter und nicht an den Verkehrssünder und Betäubungsmittelkonsumenten gedacht wird. Diese nehme ich ernst. Ich bin aber überzeugt, dass das Schweizervolk schlussendlich erkennt, dass die Durchsetzungsinitiative ein bürokratischer Leerlauf ist, der nicht ein einziges Problem löst, sondern neue Probleme schafft.
Sind Sie zuversichtlich, dass die Durchsetzungsinitiative am 28. Februar vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt wird?
Ja, weil ich überzeugt bin, dass die Schweizerinnen und Schweizer trotz der vorhandenen Ängste erkennen werden, dass die Durchsetzungsinitiative keine Lösung darstellt und neben der bereits erwähnten unnötigen Bürokratie für alle rechtschaffenen Ausländer, welche in der Schweiz wohnen, ein Klima der Rechtsunsicherheit schafft.
Was, wenn nicht?
Dann werden Bund und Parlament die schwierige Aufgabe haben, mit der Durchsetzungsinitiative neuerlich eine SVP-Vorlage umsetzen zu müssen, die so eigentlich nicht umsetzbar ist.
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