Kommentar | Zur Abstimmung über den Vaterschaftsurlaub

Der Vaterschaftsurlaub ist schlecht für die Privatheit der Familien

Der Vaterschaftsurlaub soll die Beziehung zwischen Vater und Kind verbessern. Gestritten wird über Kosten und Nutzen.
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Der Vaterschaftsurlaub soll die Beziehung zwischen Vater und Kind verbessern. Gestritten wird über Kosten und Nutzen.
Foto: Symbolbild Unsplash.com

Quelle: RZ 0

In der Diskussion um einen möglichen Vaterschaftsurlaub geht es weniger um die Frage nach nötig oder unnötig. Es geht darum, wie viel Privatheit der Familie man für eine Annehmlichkeit opfern will. Eine Einschätzung.

Das Referendum über den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ist zustande gekommen. Das Stimmvolk wird also entscheiden, ob Väter in den ersten sechs Monaten nach der Geburt eines Kindes 14 Tage zu Hause bleiben dürfen, um sich der Erziehung des Nachwuchses zu widmen und die Kindsmutter zu entlasten. Schon jetzt zeichnet sich ab: Es wird ein hitziger und emotionaler Abstimmungskampf. Denn wo Kinder im Spiel sind, gehen die Wogen auch bei den Erwachsenen hoch.

Kosten, aber Nutzen

Inhaltlich wird der Abstimmungskampf von der Diskussion um Kosten und Nutzen geprägt sein. Der Bund geht davon aus, dass ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub in der Schweiz jährlich mit etwa 220 Millionen Franken zu Buche schlagen wird. Um diese Kosten hereinzuholen, sollen ­Abgaben von 0,06 zusätzlichen Lohnprozenten erhoben werden, zu tragen je hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. So viel zu den Kosten. Was den Nutzen angeht, so präsentiert sich die Sachlage um einiges konfuser und undurchsichtiger, sowohl bei Befürwortern wie Gegnern der Vorlage. Als Pro-Argument wird dabei vor allem die Beziehung zwischen Vater und Kind angeführt. Diese würde sich, so die Ansicht der Befürworter, stark verbessern, wenn der Vater die Möglichkeit hat, in den ersten Monaten nach der Geburt intensiv Zeit mit dem Kind zu verbringen. Zudem hinke die Schweiz anderen Ländern, welche eine Elternzeit schon länger kennen würden, in diesem Punkt hinterher. Der Nutzen für die Familien sei also durchaus da, die Einforderung zusätzlicher (finanzieller) Solidarität innerhalb der Gesellschaft gerechtfertigt.

Kein Nutzen, nur Kosten

Die Gegner sehen dies freilich anders. Bei ihnen überwiegt das Kostenargument, sprich rechtfertigt der Nutzen die zu erwartenden Kosten nicht. «Gratisferien für Papis» sei der Vaterschaftsurlaub, solidarisch finanziert von allen, die Möglichkeit zu profitieren aber nur einigen wenigen vorbehalten. Zudem würden KMU zusätzlich belastet, das Arbeitsplatzargument als Totschläger. Im Argumentarium der Gegner wird zudem
ein perfider Plan grosser, finanzkräftiger Unternehmen geortet. Diese hätten, da man es sich leisten könne, vielerorts einen Vaterschaftsurlaub eingeführt. Mit der Vorlage eröffne sich nun die Möglichkeit, diese Kosten auf die Sozialwerke, zumindest teilweise, abzuwälzen. Die Linke sei in diesem Fall also Wasserträger der sonst so gerne und innig kritisierten Grosskonzerne.

Die eine Seite der Medaille…

Beiden Argumentarien ist dabei gemein, dass sie das Problem wenig ganzheitlich angehen, bewusst und unbewusst. Den Befürwortern des Vaterschaftsurlaubs muss vorgehalten werden, dass es ihnen an entwicklungspsychologischen Argumenten fehlt, einen zusätzlichen «220-Millionen-Franken-Apparat» im Schweizer Sozialwesen zu etablieren. Bislang ist vollkommen offen, ob und wie sich eine zweiwöchige «Anwesenheit» des Vaters positiv auf die Entwicklung eines Kindes auswirkt. Für Langzeitstudien sind entsprechende Systeme in anderen Ländern noch nicht lange genug in Kraft, der Wille, eine neutrale Auswertung vorzunehmen, darf ohnehin bezweifelt werden. Zudem hinkt das Argument, da von den Befürwortern gerne im gleichen Atemzug mit dem Vaterschaftsurlaub ein Ausbau der externen Kinderbetreuung, auch für Kleinstkinder, gefordert wird, was an sich ein Widerspruch ist. Zumal es keine Möglichkeit der Kontrolle gibt, wie ein Vaterschaftsurlaub de facto genutzt wird, sprich, ob man sich tatsächlich mit dem Kind abgibt oder lieber die Spiele der Fussball-WM schaut, während der Nachwuchs sein Schläfchen hält.

… hüben wie drüben

Bei den Gegnern des Vaterschaftsurlaubs hingegen dominiert der Irrglaube, dass eine zusätzliche Belastung der Gesamtheit der Schweizer Wirtschaft um 110 Millionen Franken pro Jahr die Unternehmen an den Rand des Ruins treiben würde. Ein Anstieg der Lohnsumme um 0,03 Prozent ist praktisch gesehen ein Klacks. Firmen respektive KMU, die solch einen Anstieg nicht verkraften, sind ohnehin dem Untergang geweiht. Dass Grosskonzerne ihre «Sozialprogramme» auf die Allgemeinheit abwälzen könnten, ist dabei ebenfalls im Bereich der Mythen anzusiedeln. Der Grund dafür liegt in der Natur des Vaterschaftsurlaubs respektive dessen Finanzierung. Anders als bei Renten gibt es für die Vaterschaft, zumindest gesellschaftlich gesehen, ein Ablaufdatum. Dieses ist naturgemäss in der ersten Lebenshälfte angesiedelt, Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Entwicklung der Löhne allerdings läuft der des Kinderkriegens entgegen. Wer Vater wird, hat tendenziell den Höhepunkt seines Einkommens nicht erreicht. Da aber die entsprechenden Abgaben erwerbslebenslang bezahlt werden müssen und die Topverdiener der Grosskonzerne in der Regel jenseits der 50 angesiedelt sind, würden die Grosskonzerne dank ihrer alternden Spitzenverdiener auch weiterhin einen Grossteil der nötigen finanziellen Mittel für einen Vaterschaftsurlaub zahlen. Ganz im Gegensatz zum Argumentarium der Gegner müssten die Grosskonzerne daher eigentlich daran interessiert sein, keine politische Regelung aufs Auge gedrückt zu bekommen.

Das Ende der Privatheit

Wenig beachtet bleibt in der ganzen Diskussion allerdings die Signalwirkung, die dieser weitere Anlauf, die Familie zu verstaatlichen, hat. Durch die zunehmende solidarisch finanzierte Unterstützung der Familien verlieren diese immer mehr an Deutungshoheit über ihre eigenen Lebensentwürfe. Es ist wie bei allen anderen Dingen auch, in denen auf die Solidarität der Gesellschaft gesetzt wird. Wer Geld von anderen für sich beansprucht, der muss sich gefallen lassen, dass einem in die vermeintlich «eigenen» Angelegenheiten reingeredet wird. Die Diskussionen um die Sozialhilfe oder die Unterstützung von Flüchtlingen zeigen dies in aller Deutlichkeit. Mit jedem finanziellen Zugeständnis an die Familien werden aber auch diese immer mehr in ein staatliches und gesellschaftliches Abhängigkeitsverhältnis gedrängt. Die Familie wird immer mehr zum öffentlichen Gegenstand, den man nach Herzenslust kritisieren kann, schliesslich bezahlt man ja auch dafür. Deshalb gilt es, auch wenn ein Vaterschaftsurlaub verlockend tönt, dem «geschenkten» Gaul genau ins Maul zu schauen. Schlussendlich geht es um nichts weniger als um die Frage, ob die Privatheit der Familie ein weiteres Stück auf dem Altar einer kurzfristigen Annehmlichkeit geopfert werden soll. Es droht das Ende der Privatheit, und das kann eigentlich nur ein sehr ungutes Gefühl zurücklassen.

Martin Meul

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