Analyse | Kampagne gegen häusliche Gewalt
Der grosse Schockeffekt fehlt
Der Kanton hat eine neue Kampagne gegen häusliche Gewalt lanciert. Diese soll schockieren, doch ein wichtiges Schockelement fehlt. Das ist schade. Eine Analyse.
Die Zahlen, die der Kanton vergangene Woche präsentierte, werfen kein gutes Licht auf das, was hinter Walliser Türen geschieht. Vor allem nicht darauf, was Männer hinter diesen Türen so alles treiben. 469 Angeklagte wegen häuslicher Gewalt verzeichnete die Walliser Kantonspolizei im letzten Jahr. Das sind über 1,3 Anklagen pro Tag. Hinzu kommen erschreckende 513 weitere Opfer, die sich bei den Opferberatungsstellen gemeldet haben. 306 der Opfer waren dabei Frauen. Des Weiteren ist auch noch von einer Dunkelziffer auszugehen. «Häusliche Gewalt ist eines der häufigsten Delikte», betonte denn auch der Kommandant der Kantonspolizei, Christian Varone.
«Tabus brechen»
Richtigerweise befassen sich Politik und Behörden mit dem Thema. Verbessert werden soll die Lage mit einer neuen Sensibilisierungskampagne. Kernpunkt der Kampagne ist es, Betroffene dazu zu ermutigen, sich im Falle von häuslicher Gewalt vermehrt an die Opferberatungsstellen oder die Behörden zu wenden, also die Tabus und das Schweigen brechen. Auf der neu lancierten Homepage «haeuslichegewalt-vs.ch» können sich Opfer, aber auch Täter über Anlaufstellen informieren und finden Tipps zum Umgang mit risikobehafteten Situationen im Alltag. Transportiert werden diese Botschaften der Kampagne durch Plakate, auf denen Models zu sehen sind, die T-Shirts mit Sprüchen wie «Du machst, was ich dir sage – auch im Bett» oder «Nicht einmal den Haushalt kriegst du hin, du Schlampe» tragen. Dies Schockbotschaften sollen dazu führen, dass potenziell Betroffene sich die Frage stelle, ob sie von häuslicher Gewalt betroffen sind», erklärte Isabelle Darbellay Métrailler, Chefin des kantonalen Amts für Gleichstellung und Familie.
Schocken, aber richtig!
Grundsätzlich ist die Intention der Kampagne durchaus richtig. Doch gibt es gleich zwei Probleme. Auf der einen Seite dürfte das erklärte Ziel nämlich verfehlt werden. «Wir hoffen, dass durch unsere Kampagne die Fälle von häuslicher Gewalt in den nächsten Jahren nicht weiter steigen, sondern sinken», sagte Darbellay Métrailler. Dazu müsste man sich aber neben den Personen, die bereits Opfer geworden sind, auch auf die zukünftigen möglichen Betroffenen konzentrieren, ähnlich wie man es bei anderen Präventionskampagnen tut. Der beste Schutz davor, Opfer häuslicher Gewalt zu werden, ist nämlich der, sich nicht den falschen Partner zu suchen oder zumindest beim kleinsten Verdacht darauf, dass die Situation eines Tages eskalieren könnte, schnellstmöglich die Reissleine zu ziehen. Darum wäre es vielleicht zielführender, mit Sprüchen wie «Ist dein möglicher Traumprinz nicht eigentlich ein Arschloch?» oder «Die rosarote Brille kann zu blauen Augen führen» zu werben, will man wirklich in Zukunft weniger Fälle von häuslicher Gewalt haben. Andererseits ist der «Schockeffekt» in der aktuellen Kampagne auch sehr human. Das Wort «Schlampe» gehört, gerade bei jungen Männern wie auch Frauen, schon fast zum guten Ton und «schockt» sicher kaum noch jemanden. Schocken könnte man hingegen vielleicht mit den Konsequenzen, die eine gewalterfüllte Partnerschaft haben kann, nach dem Motto «Lieber verarmt und allein als tot». Dass das nicht einmal übertrieben wäre, zeigt ein Blick zu unserem nördlichen Nachbarn. In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet.
Martin Meul
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar