Kolumne | Diese Woche zum Thema:
Der fassungslose Verfassungsrat
Der ehemalige SP-Schweiz-Präsident und Hotelier Peter Bodenmann und Alt-Staatsrat und Schriftsteller Oskar Freysinger im Wortgefecht.
Peter Bodenmann, ehemaliger SP-Schweiz-Präsident und Hotelier
Immer nur kritisieren bringt nichts und nervt
Was bringt eine neue Verfassung einem Kanton wie dem Wallis? Ich war lange Zeit immer etwas skeptisch. In den meisten Kantonen endete alles mit der Festschreibung des jeweils kleinsten politischen Nenners. Bewegungen fanden in der Regel nur hinter dem Komma statt. Im Wallis scheint alles etwas anders zu sein. Das deutete sich schon bei den Wahlen zum Verfassungsrat vorab im Unterwallis an. Viele, die bisher mit der Politik wenig bis nichts am Hut hatten, begannen sich zu interessieren. Es fand ein politischer Erdrutsch Richtung Öffnung des Wallis statt.Die Oberwalliser Chefredaktionen nahmen dies nicht zur Kenntnis. Und glaubten, der Vormarsch der SP, der Grünen und der Unabhängigen sei nur ein Betriebsunfall gewesen. Genauso wie der Einbruch der SVP.
Falsch: Bei den Nationalratswahlen wiederholte sich dieses Erdbeben. SP, Grüne und Umfeld verpassten den 3. Sitz nur arschknapp. Im Unterwallis ist die SVP so schwach wie die SP und die Grünen im Oberwallis zusammen. Der Wahlkampfleiter der SVP brachte nicht, was sich Rösti von ihm versprochen hatte.Und jetzt geht das rechte Gejammer weiter, weil sich im Verfassungsrat auf verschiedenen Feldern halbwegs fortschrittliche Mehrheiten abzeichnen. Und dies für einen Spottpreis. Der Verfassungsrat kostet uns so viel wie zwei Staatsräte, die vom Volk vorzeitig in Pension geschickt werden und deren Frauen 95 Jahre alt werden. Die rechten Oberwalliser Verfassungsrätinnen und Verfassungsräte beginnen zu begreifen, dass auch in Zukunft im Wallis das Prinzip gelten wird: ein Mann eine Stimme, eine Frau auch eine Stimme. Unabhängig davon, ob jemand im Oberwallis, im Mittelwallis oder im Unterwallis wohnt. Die vom «Walliser Boten» unterstützte Kampagne für 34 garantierte Oberwalliser Grossratssitze ist chancenlos. Und das ist gut so. Vielleicht bringt uns die neue Verfassung sogar eine weitgehende Trennung von Staat und Kirche. Und die Anerkennung von Minderheiten. Bleibt zu hoffen, dass der Verfassungsrat endlich den Ausgleich zwischen reichen Berggemeinden mit Wasserkraft und armen Berggemeinden ohne Wasserkraft schafft.
Auf meiner Wunschliste stehen zwei weitere Themen:
Erstens: Das Wallis kann und muss bis 2030 klimaneutral werden. Wir haben dank der Kraft der Sonne die besten Voraussetzungen in der Schweiz.
Zweitens: Niemand sollte im Wallis mehr als zehn Prozent seines Haushaltseinkommens für Krankenkassenprämien bezahlen müssen. Wir brauchen dazu auf Schweizer Ebene die Annahme der SP-Initiative. Und im Kanton endlich intelligente Globalbudgets.
Immer nur kritisieren bringt nichts und nervt. Lassen wir uns überraschen.
Oskar Freysinger, ehemaliger SVP-Staatsrat und Schriftsteller
Fassungsloser Verfassungsrat
Als genüsslicher Einstieg hier ein Mailaustausch zwischen zwei Mitgliedern des Verfassungsrates, der von sich behauptet, im Gegensatz zum Parlament (sic!) die «Zivilgesellschaft» zu repräsentieren:
Haben sich für Brig mehr Teilnehmer (für die Informationsversammlung) angemeldet (als hier im Welschwallis)?
Momentan sind es sieben für Brig… Es ist wirklich bedenklich. Ich habe wieder über 400 Mails verschickt, kommt nichts… Ihr müsst wirklich in eurem Umfeld mobilisieren und die Leute quasi zwingen, teilzunehmen, sonst gibt es ein Debakel.
Und für die Ateliers? Haben sich da mehr eingeschrieben?
Nein, überall weniger als zehn. Es hebt einfach nicht ab…
So weit zur Begeisterung, welche die «partizipative Strategie» des Verfassungsrates in der Bevölkerung auslöst. Sogar Nötigung wird in Erwägung gezogen, um die Leute zu ihrem Glück zu zwingen!
Seit einem Jahr werkelt der Verfassungsrat nun schon an der Formulierung einer neuen Verfassung herum. Bisher fanden für teures Geld – ausser geschlechtergerechter Sprachklitterung und einem politischen Hickhack um Pöstchen – ebenso zahlreiche wie endlose Anhörungen statt. Da die meisten Mitglieder keine politische Erfahrung haben, muss gewissermassen Nachholunterricht erteilt werden. Dies unter Beschwörung des unpolitischen Charakters des Verfassungsrates. Doch wie steht es damit? Sind die sechzehn Mitglieder des «Appel Citoyen» politisch wirklich neutral? Ersten Stellungnahmen dieser Gruppierung zufolge sind sie resolut links angesiedelt. Der Verfassungsrat ist somit weitaus linker als das offizielle Parlament und die immer wieder bemühte «Zivilgesellschaft», es sei denn, man zähle alles, was rechts der Mitte ist, nicht dazu.
Für die vierjährige Übung erweisen sich nun auch die während der Kampagne artikulierten vier Millionen Franken als zu gering und das Budget musste auf 6,2 Millionen erhöht werden. Wetten, dass es am Ende annähernd zehn Millionen sein werden? Nicht besonders «unpolitisch» mutet zudem an, dass die zweitstärkste politische Kraft des Kantons in der Redaktionskommission überhaupt nicht vertreten ist. Nun wird, damit dieser Umstand weniger ins Gewicht fällt, die Rolle der Kommission heruntergespielt. Wenn man aber weiss, wie stark ein Komma den Sinn eines Gesetzestextes verändern kann, ist hier Vorsicht geboten. In einer Verfassung zählt jedes Wort, denn je nachdem lässt der Interpretationsspielraum allerhand Spielchen zu. Hoffentlich zeigt sich die «Zivilgesellschaft» in dieser Hinsicht wachsamer, als sie partizipativ ist.
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