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“Sterbehilfe hat ihre Berechtigung”

Ursula Abgottspon: «Für This war es eine grosse Erleichterung, dass er bis zum Schluss im Spital bleiben und dort auch sterben durfte.»
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Ursula Abgottspon: «Für This war es eine grosse Erleichterung, dass er bis zum Schluss im Spital bleiben und dort auch sterben durfte.»
Foto: zvg

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Zermatt/Oberwallis | Zermatt/Region / Letzten November schied Ex-Ständerat This Jenny mit Hilfe von «Exit» aus dem Leben. Seine Partnerin Ursula Abgottspon blickt auf die vergangenen Monate zurück.

«This Jenny liebte das Leben», sagt Ursula Abgottspon und blickt gedankenverloren in die Ferne. Die Zermatterin war während der letzten fünf Jahre die Frau an der Seite des Glarner Politikers und Bauunternehmers. Drei Monate sind nun vergangen, seit der unheilbar kranke This Jenny seinem Leben, wie er es selber angekündigt hatte, ein Ende setzte. Dabei nahm er die Hilfe der Sterbehilfeorganisation Exit in Anspruch. Der kernige Ex-Ständerat blieb geradlinig bis zum Schluss und erntete für sein Handeln schweizweit viel Respekt. Im Oberwallis hingegen bemerkte Ursula Abgottspon grosse Vorbehalte: «Manche sagten mir während der Krank­heitszeit, ich solle This seine Absichten ausreden und ihn bekehren. Ich habe denen manchmal gesagt, das können sie gerne selber versuchen.»

Ressentiments im Oberwallis

Aus christlicher Sicht hat das Selbstbestimmungsrecht des Menschen seine Grenzen, wenn es um Leben und Tod geht. «Das Leben ist ein Geschenk, dessen Anfang und Ende wir nicht selber bestimmen dürfen», schrieb Paul Martone im «Walliser Bote». Und auch wenn der ehemalige Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, in einem Vortrag im Josefsheim in Steg betont: «Wir dürfen nie eine Person verurteilen, die Suizid begeht» – im katholisch geprägten Oberwallis ist der Freitod bei vielen immer noch ein Tabuthema, Selbstmord ein Sakrileg. Abgottspon spürt immer wieder, dass Leute die Tat ihres Lebenspartners missbilligen so im Sinne von «Dem Herrgott ins Handwerk gepfuscht»: «Derartige Verurteilungen machen mich wütend, jeder Mensch soll selber entscheiden dürfen. Der freie Wille des Menschen ist das höchste Gut.» Und sie erinnert an ein indianisches Sprichwort: «Urteile nie über einen anderen, in dessen Mokassins du nicht einen Mond lang gelaufen bist.» Jenny sei ein grosser Kämpfer gewesen, der alles getan hätte, ein Jahr noch im Spital geblieben wäre, wenn es irgendwelche Perspektiven gegeben hätte. Noch in den letzten Wochen vor seinem Tod habe man eine deutsche Klinik kontaktiert. Doch die Hoffnung, dank eines neuen Behandlungskonzepts zusätzliche Lebenszeit in akzeptabler Qualität gewinnen zu können, war vergebens. «Wenn es keine Hoffnung mehr gibt, der Entscheid, dass der Mensch sterben muss schon fest steht – was willst Du noch kämpfen, wenn Du schon so viel gelitten hast?», sagt Abgottspon. «Ich bin Christin und hatte früher selber Vorbehalte gegenüber der Sterbehilfe. Durch mein hautnahes Miterleben bin ich jetzt zur Erkenntnis gekommen: Sterbehilfe hat ihre Berechtigung.» Körper und Geist seien miteinander verheiratet. Die moderne Medizin behält den Körper oft da, obwohl der Geist schon längst gehen möchte. Auch der oft gehörte Verweis auf die Palliativmedizin, die heutzutage praktisch jedem grosses Leiden ersparen und die letzten Wochen und Tage erträglich gestalten könne, sei trügerisch. Am Ende konnte Jenny nicht mehr schlucken. Er litt unter Bauchfellkrebs, der sehr schwierig palliativ zu behandeln ist. «Der begleitete Freitod war schliesslich eine Erlösung.»

Im Spital gestorben

«Es ist schon sehr speziell zu wissen, dass an diesem einen vorbestimmten Tag der Tod zur Türe hereinkommt,» errinnert sich Abgottspon. Aber sie rate jedem dabei zu sein: «Es gab eine Zeit, da hatte ich Angst, was mich an jenem besagten Tag wohl erwarten würde, aber im Nachhinein bin ich dankbar, dabeigewesen zu sein. This Jenny durfte im Kantonsspital Glarus sterben. «Ich habe erlebt, was das für eine grosse Erleichterung für ihn und seine Angehörigen bedeutete», sagt Abgottspon. Die Schweizer Akutspitäler dulden Sterbehilfe in ihren Räumen nur ausnahmsweise. Spitäler sollten auf Wunsch des Patienten den Sterbehilfeorganisationen den Zugang erleichtern, fordert sie deshalb. Gerade in Randregionen mit mitunter grossen Distanzen zwischen Wohnort und Spital sei es doch bedenklich, schwerkranken Menschen den letzten Wunsch zu erschweren und zuzumuten, zum Sterben nach Hause gehen zu müssen.

Tabuthema thematisieren

«Der Tod ist in unseren Breitengraden immer noch ein Schreckgespenst, über den nicht geredet wird», bedauert Abgottspon. «Wir geben Millionen für Präventionsprogramme aus, doch im Umgang mit dem Tod haben wir Mühe.» Viele Menschen wüssten nicht, wie sie auf jemanden zugehen sollen, der einen geliebten Menschen verloren hat. Andere ignorieren einen Todesfall einfach. «Dabei», so Abgottspon, «hilft jedes tröstende Wort».

Regelung im Wallis noch offen

Gemäss einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2006 haben alle Personen das Recht, über ihren Tod zu bestimmen. Im Oberwallis wurden in den vergangenen Jahren nur ganz selten die Dienste von Sterbehilfeorganisation in Anspruch genommen. Damian König, Chef Rechtsdienst und Ethik vom Spital Wallis, weiss von keinem einzigen Fall, wo der begleitete Freitod in Räumlichkeiten eines Walliser Spitals stattgefunden hat: «Meines Wissens gingen die Menschen in jenen Fällen nach Hause.» Eine offizielle Richtlinie, wie in Walliser Spitälern mit dem Thema Sterbehilfe umgegangen werden soll, fehlt bislang. Noch in diesem Frühjahr soll deshalb ein gemäss den Kriterien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften zusammengesetzter Klinischer Ethikrat für das Spital Wallis gegründet werden. Dieser wird sich mit der «Ethik am Bett des Patienten» beschäftigen, wozu auch die Sterbehilfe gehört und entsprechende Regelungen ausarbeiten.

Frank O. Salzgeber

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