Region
«Schneekanonen stoppen den Klimawandel nicht»
Der Klimawandel bedroht den Skitourismus im Alpenraum. Viele Wintersportdestinationen treten die Flucht nach vorne an und investieren kräftig in Beschneiungsanlagen. Langfristig überleben werden aber wohl längst nicht alle.
«Bis Ende des Jahrhunderts dürfte der Schnee in den Alpen um 70 Prozent zurückgehen», schreibt Christoph Marty in einer Studie. Der Klimatologe vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos glaubt, dass in 40 Jahren nur noch in Lagen über 2000 Meter genug Naturschnee zum Skifahren fallen wird. Wegen der Klimaerwärmung steigt die Schneefallgrenze immer mehr an. In immer höheren Lagen wird der Niederschlag als Regen und nicht mehr als Schnee fallen. Um diesem Trend entgegenzutreten, investieren praktisch alle Wintersportorte kräftig in die künstliche oder besser gesagt technische Beschneiung. Heute schon sind viele Skigebiete ohne den Einsatz von Schneekanonen und Schneelanzen nicht mehr schneesicher. Knapp die Hälfte aller präparierten Skipisten der Schweiz werden mittlerweile künstlich beschneit. Der finanzielle und logistische Aufwand für diese technische Beschneiung ist immens. Laut den Berechnungen von Seilbahnen Schweiz erfordert ein Kilometer Beschneiungsanlage Investitionskosten von plus/minus einer Million Schweizer Franken. Hinzu kommen jährlich Unterhalts- und Betriebskosten für die technische Beschneiung von mehreren Zehntausend Franken pro Pistenkilometer. Das für die technische Beschneiung der Schweizer Skipisten benötigte Wasser entspricht mengenmässig dem jährlichen Wasserverbrauch der Stadt Bern. Um diesen Wasserbedarf zu decken, werden Speicherseen gebaut. So existieren 2015 schweizweit mindestens 80 Speicherseen, welche für die künstliche Beschneiung genutzt werden. Weitere befinden sich im Bau oder sind in Planung. Beispiele im Oberwallis sind der kürzlich fertiggestellte Speichersee auf Torrent, der sich im Bau befindende «Schneene Bodu» in Goppisberg oder der geplante Speichersee im Moosalpgebiet. Umweltorganisationen wie Mountain Wilderness stehen dem Bau solcher Speicherseen kritisch gegenüber. Sie fürchten, dass die Vegetationsdecke Schaden nimmt, das Landschaftsbild leidet und durch die Wasserentnahme der Wasserhaushalt des Gebietes langfristig negativ verändert wird. Laura Schmid, Geschäftsführerin WWF Oberwallis steht dem Ausbau der Beschneiungsanlagen skeptisch gegenüber. Denn neben den baulichen Eingriffen in die Natur verbraucht die künstliche Beschneiung viel Energie und Wasser. Aber Speicherseen an sich sind für sie nicht unbedingt problematisch, sofern sie nicht an sensiblen Orten erstellt werden: «Ein Speichersee kann ökologisch auch Sinn machen, damit man das Wasser nicht aus den Bächen nehmen muss, wo im Winter ohnehin schon weniger Wasser fliesst.» Auch wenn sich Schmid bewusst ist, dass eine gute Skisportinfrastruktur für viele Orte ein wichtiger Wirtschaftspfeiler ist, glaubt die WWF-Geschäftsführerin des Oberwallis nicht, dass der Bau von immer mehr Beschneiungsanlagen langfristig von Erfolg gekrönt sein wird: «Mit Schneekanonen kann der Klimawandel nicht gestoppt werden.» Wegen der höheren Temperaturen kann künftig vielerorts auch kein technischer Schnee mehr produziert werden. Ins gleiche Horn bläst der bekannte deutsche Alpenforscher Werner Bätzing, der dem klassischen Ski-Wintertourismus im Alpenraum noch rund 20 Jahre gibt, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtete: Mit grossem Aufwand werde künstlich beschneit. Das könne vielleicht 15 Jahre bei immer höheren Kosten noch gut gehen, aber in 20 Jahren kaum mehr. Da Schweizer Skigebiete im Schnitt höher liegen als ihre Konkurrenten in Deutschland oder Österreich, verbessert sich die Marktposition der Schweiz möglicherweise vorübergehend. Langfristig würden aber auch hierzulande nicht alle Skiorte überleben, ist Schmid überzeugt. Auch das Interesse am Skifahren nehme ab. Deshalb sei es nicht nachhaltig und mache wenig Sinn, wenn alle überall noch mehr Infrastruktur in die Natur bauen. Die Millionenbeträge in künstliche Beschneiungsanlagen könnte man
anderweitig investieren. Bätzing wie Schmid fordern deshalb ein Umdenken: «Man sollte sich im Winter nach Alternativen zum klassischen Skitourismus umsehen.»
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