Frontal | RWO-Geschäftsleiter Roger Michlig redet Klartext
«Wir müssen qualifizierte Arbeitskräfte ins Oberwallis locken»
Wie steht es um die Oberwalliser Wirtschaft? Wo liegt ihre grösste Herausforderung? Roger Michlig, Geschäftsleiter des Regions- und Wirtschaftszentrums Oberwallis, erklärt.
Roger Michlig, wie schätzen Sie den Wirtschaftsstandort Oberwallis ein?
Ich stelle fest, dass der Wirtschaftsstandort im Oberwallis vor einem grossen Umbruch steht. Wer beobachtet, wie sich die Wirtschaft weiterentwickelt, stellt fest, dass wir vor grossen Herausforderungen stehen. Das alles erinnert mich daran, dass man den Wald nicht wachsen hört. Man hört zwar die Bäume, die gefällt werden, nicht jedoch diejenigen, die wachsen.
Wie meinen Sie das?
Wir reden zu oft über die negativen Entwicklungen. All das, was sich im Oberwallis positiv entwickelt, nehmen wir viel zu wenig wahr.
Was entwickelt sich denn alles positiv?
Die Lonza investiert fast eine Milliarde Franken in den Standort Visp, die Scintilla baut ihr Werk aus, es entsteht ein neues Spital im Oberwallis, ein neuer Bahnhof in Brig, ein ÖV-Hub in Fiesch, ein neuer Campus der Fernstudien in Brig oder ein nordisches Zentrum im Goms. Unsere Herausforderung besteht nun darin, genügend qualifizierte Arbeitskräfte ins Wallis zu holen, um die neu geschaffenen Arbeitsplätze zu besetzen.
Gibt es im Wallis denn nicht genügend qualifiziertes Personal?
Nein. Allein das Spitalzentrum wird in den nächsten Jahren einen Grossteil seines Personals auswechseln müssen. Und auch Lonza braucht zahlreiche neue Arbeitskräfte, die sich im Wallis nicht finden lassen.
Stichwort Lonza: Welche Auswirkungen werden die Investitionen von Lonza auf den Wirtschafts- und Lebensraum Oberwallis haben?
Ich denke, was zurzeit mit Lonza passiert, wird sämtliche Lebensbereiche im Oberwallis beeinflussen. Wir stehen dahin gehend vor kulturellen Herausforderungen. Denn wir müssen bereit sein, diese Leute bei uns zu integrieren. Dazu braucht es die Offenheit der Einheimischen.
Warum sollte eine hoch qualifizierte Arbeitskraft ins Oberwallis wechseln?
In den Gesprächen mit Lonza fällt auf, dass die Arbeitskräfte immer wieder mit der Nähe zur Natur gewonnen werden können.
Ach ja?
Die Natur bietet uns eine grosse Chance. Ich nenne dazu ein Beispiel: Ein Berliner erzählte mir, dass er von seinem Wohnort aus eine Stunde fahren müsse, bis er in der Natur sei. Hier geniessen wir all das direkt vor der Haustür. Diese Outdoor-Kompetenzen schätzen viele Leute sehr.
Der Wirtschaftsraum Oberwallis ist eingebettet in einen französisch sprechenden Teil im Unterwallis, einen italienisch sprechenden Richtung Domodossola und einen interkantonalen im Berner Oberland. Ist das mehr Fluch oder Segen?
Ich finde, das ist mehr Segen als Fluch. Für das Goms ist die Achse zu Sawiris im Kanton Uri ebenfalls sehr wichtig, der Oberwalliser orientiert sich jedoch grundsätzlich auch stark in Richtung Thun und Bern oder auch Zürich. Die Pendlerströme haben in beide Richtungen stark zugenommen. Das ist – nicht zuletzt wegen der Mehrsprachigkeit – eine grosse Chance für uns. Zentral dabei ist, dass es gute Verkehrsverbindungen gibt.
Die RWO unterstützt Start-ups. Die Zahl der Start-ups ist im Vergleich zum Vorjahr im Wallis um 17 Prozent gesunken. Wo sehen Sie die Gründe?
Einen wichtigen Grund sehe ich in der Arbeitslosigkeit. Ist die Arbeitslosigkeit höher, so
steigt auch die Zahl für Start-ups. Die Arbeitslosigkeit im Oberwallis ist fast bei null, so
dass bei uns derzeit weniger neue Unternehmen gegründet werden. Obwohl die RWO
Kurse für potenzielle Jungunternehmer anbietet, gibt es keine proaktiven Aktivitäten von unserer Seite aus.
Ist die Finanzierung der häufigste Grund für ein Scheitern von potenziellen Start-ups?
Nein, das finde ich überhaupt nicht. Im Gegenteil: So viel Geld, wie zurzeit im Umlauf ist, gab es schon lange nicht mehr. Natürlich ist es wichtig zu wissen, wie man an die Finanzierung gelangt. In den zehn Jahren bei der RWO habe ich jedoch noch nie erlebt, dass eine gute Geschäftsidee wegen dem Geld nicht zustande gekommen ist. Durchdachte und fundiert aufbereitete Projekte finden immer Geldgeber.
Was ist denn der häufigste Grund für ein Scheitern?
Die fehlende Liquidität. Cash is King. Vielen Start-ups geht das Geld aus, obwohl ihre Idee eigentlich erfolgreich wäre. Viele Start-ups scheitern, weil sie schlicht die Rechnungen nicht mehr bezahlen können; plötzlich ist das Geld der Geldgeber aufgebraucht.
In welchen Geschäftsbereich würde es sich zurzeit lohnen, zu investieren?
Es gibt drei Bereiche, die künftig relevant sein werden: einerseits alles rund um die Lonza. Dort wird es viel Platz geben für kleine Unternehmen. Zudem ist da das ganze Gesundheitswesen: Der Bau des neuen Spitals verlangt die Auseinandersetzung mit Themen wie Robotik. Das bietet Platz für neue Firmen. Und dann ist da noch die ganze Digitalisierung: Eine Studie hat aufgezeigt, dass wir bezüglich Informatik unterentwickelt sind, jedoch sind wir eine starke Tourismusregion, die auf die ganze Digitalisierung aufgestiegen ist. Es ist naheliegend, dass darin grosse Chancen für neue Unternehmen entstehen werden.
Wo liegen in all diesen anstehenden Veränderungen die grössten Herausforderungen für das RWO?
Wir wollen helfen, die angesprochenen Herausforderungen zu bewältigen. Also konkret heisst das: Als Kompetenzzentrum für Projektmanagement wollen wir der Region helfen, sich weiterzuentwickeln und die anstehenden Herausforderungen zu meistern.
Eine Weiterentwicklung steht für manch eine Gemeinde auch bezüglich Fusion an. Gibt es zu viele Gemeinden im Oberwallis?
Eher ja. Mit den Strukturen werden die kleinen Gemeinden langfristig nicht mehr Schritt halten können. Zudem ist davon auszugehen, dass die Herausforderungen für kleinere Gemeinden immer komplexer werden. Davon bin ich überzeugt. Auch bezüglich politischem Personal werden die Oberwalliser Gemeinden gezwungen sein, Fusionen einzugehen. Diesbezüglich gilt auch zu sagen, dass ich mich an keine Gemeinde erinnern kann, die ihre Fusion je rückgängig machen wollte. Denn Authentizität, Kultur oder Vereinsleben bleiben ja trotz Fusion bestehen.
Was ist der wichtigste Grund für eine Fusion?
Der wichtigste Grund ist, Schritt zu halten: Es reicht nicht mehr, nur zu verwalten oder gar stehen zu bleiben. Auch im Zusammenhang mit der ganzen Digitalisierung sind Kleinstrukturen von kleineren Gemeinden nicht mehr zeitgemäss. Es ist wichtig, diesbezüglich professionelle Strukturen zu schaffen.
Was sind eigentlich die wichtigsten Themen für das RWO in den nächsten Jahren?
Ganz klar die Digitalisierung und die Bewältigung des Wirtschaftswachstums bzw. des Fachkräftemangels.
Wie können wir dem entgegenwirken?
Es braucht digitale Reisebegleiter für den Tourismus. Wir arbeiten daran, ein Digital-Impact-Network aufzubauen. Lonza, Scintilla, MGBahn, das Gewerbe oder das ganze Gesundheitswesen brauchen zudem neue Fachkräfte. Allein das neue Spitalzentrum muss 70 Prozent seiner Arbeitskräfte austauschen.
Simon Kalbermatten
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