Frontal | Klimaforscher Markus Stoffel zu den Folgen in den Berggebieten

«Wir müssen mit Dürren und Wasserknappheit rechnen»

Markus Stoffel: "Wir werden tendenziell wärmere Winter erleben."
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Markus Stoffel: "Wir werden tendenziell wärmere Winter erleben."
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Stoffel ist Umweltwissenschaftler und Professor an der Uni Genf.
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Stoffel ist Umweltwissenschaftler und Professor an der Uni Genf.
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Der Klimawandel hat für Berggebiete wie das Wallis besonders gravierende Folgen. Der Visper Klimaforscher Markus Stoffel (43) geht aber auch mit Politikern hart ins Gericht.

Markus Stoffel, die letzten zwei Weihnachten waren grün. Müssen wir damit rechnen, dass der Schnee der letzten Tage an Weihnachten wieder geschmolzen ist?
Das weiss ich auch nicht genau, im Moment sieht es aber eher nicht danach aus. Die Gruppe «Klimafolgen und Risiken» der Universität Genf, die ich leite, macht keine Saisonprognosen. Solche sind zudem sehr schwer zu erstellen und haben nicht selten eine Verlässlichkeit von 50:50. Wir schauen dagegen das Klima und seine Veränderungen der letzten 2000 und der kommenden 100 Jahre an. An den Jahrringen der Bäume können wir etwa Temperaturen ablesen oder Niederschlag, Trockenheit und Vulkan­ausbrüche rekonstruieren. Seit 150 Jahren gibt es auch Messungen.

Gab es so etwas wie Klimawandel auch früher?
Das Klima verändert sich dauernd. Wir hatten im Mittelalter und zur Zeit der Römer Phasen, die ähnlich warm waren wie heute. Das sieht man etwa am Theodulgletscher, wo die Leiche eines mittelalterlichen Kriegers gefunden wurde. Im Gletschervorfeld des Aletsch- oder Gornergletschers gibt das schmelzende Eis zudem Baumstämme aus einer Zeit frei, als die Gletscher noch kleiner waren als heute. In den 1960er- und 1970er-Jahren hatten wir dagegen mehrere kalte und schneereiche Winter. In dieser Zeit haben viele Dörfer im Wallis Skilifte und Sesselbahnen gebaut, aber die schneereichen Winter waren nicht von Dauer.

Was ist heute anders?
Früher hat allein die natürliche Variabilität des Klimas die wärmeren und kälteren Phasen gebracht. Heute greift der Mensch aktiv ins System ein, indem er Treibhausgase wie CO2 und Methan in die Atomsphäre ausstösst und damit hauptsächlich verantwortlich ist für den Anstieg der Temperaturen, die wir in den letzten 30, 40 Jahren beobachten.

Was bedeutet der Klimawandel für die Winter im Wallis?
Wir werden tendenziell viel mehr wärmere Winter erleben und die Schneefallgrenze steigt. Das heisst, unterhalb von 1500 bis 1800 Meter über Meer wird es schwierig werden, die Skibetriebe am Leben zu erhalten. Zudem wird es bis in grosse Höhen in den Schnee hineinregnen. Wenn dieser Regen den Schnee aufschmelzt, können selbst im Winter Hochwasser auftreten, wie wir sie im Oktober 2011 im Lötschental erlebt haben.

Wird es auch komplett neue Phänomene geben?
Komplett neu wahrscheinlich nicht, aber wir werden Ereignisse haben, die wir nicht kennen oder an die wir uns nicht erinnern. Ein typisches Beispiel dafür ist Bondo in Graubünden. Da hatten wir es mit einer Kombination zu tun, wir sprechen hier von Prozessketten, die so nicht erwartet wurden. Dass ein Felssturz auf den Gletscher fällt und eine halbe Million Kubikmeter Eis in null Komma nichts verflüssigt, ist ein ungewohntes Phänomen.

Kann ein Fall Bondo auch am Aletschgletscher passieren, wo aufgrund von Rutschungen Wanderwege gesperrt wurden? Wenn auf einen Schlag ein Gletscher abschmelzen kann, wären doch selbst Zentren wie Brig und Naters akut gefährdet…
Nein. Im Aletschgebiet haben wir es mit einem langsamen Rutschprozess zu tun, nicht mit einem Felssturz wie in Bondo oder wie 1991 in Randa. Es gibt aber Örtlichkeiten, wo das Auftreten von Prozessverkettungen möglich ist. Diese sind den Behörden bekannt und werden analysiert. Es bringt aber nichts, der Bevölkerung unnötig Angst zu machen vor einem Phänomen, das theoretisch zwar eintreten kann, aber sehr unwahrscheinlich ist.

Mit was für Szenarien muss man im Wallis sonst noch rechnen?
Wir wissen, dass mit den steigenden Temperaturen die Gletscher weiter abschmelzen und die Untergrenze des Permafrosts ansteigt. Durch den Wegfall dieses Eiszements können Felsen abbröckeln. Im Hochgebirge können deshalb einzelne Routen unpassierbar werden. Das Bietschhorn kann man zum Beispiel nicht mehr zu jeder Jahreszeit und auf jeder beliebigen Route besteigen. Auch das Wasser wird knapp. Die Rhone wird sehr, sehr viel weniger Wasser führen, weil der Schnee viel weniger zwischenspeichert und das Wasser direkter abfliesst. Man wird im Wallis Prioritäten setzen müssen. Werden Skigebiete dann noch Wasser für die Beschneiungsanlagen nutzen können, oder wird dieses dringender als Trinkwasser benötigt? Beim Instandhalten der Suonen sollten meines Erachtens auch kleine Speicher geschaffen werden für die Feuerwehren. Das alles mag nach einem Horrorszenario klingen, aber die Natur ist immer stärker als der Mensch. Die Untersuchungen deuten klar auf mehr Dürren mit Wasserknappheit und höherem Waldbrandrisiko hin.

Welche Hoffnungen setzen Sie in die Klimakonferenz von Paris?
Im Dezember 2015 wurde in Paris entschieden, den Klimawandel auf unter 2 Grad oder idealerweise 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 1850 zu limitieren. Im Jahr 2015 haben wir aber bereits 1,3 bis 1,4 Grad und damit das Idealziel schon fast erreicht.

Erreicht oder verfehlt?
Eigentlich ist das Ziel verfehlt, weil wir die 1,5 Grad Erwärmung fast schon haben. Ein politischer Wille war zwar da, aber auch wenn alle Länder halten, was sie versprochen haben, wird sich die Erwärmung zum Ende des Jahrhunderts auf weltweit 2,7 bis 3,5 Grad belaufen. Polar- und Berggebiete werden sich tendenziell aber stärker erwärmen als das weltweite Mittel, das heisst wir sprechen hier von einer Erwärmung von bis zu sechs Grad. Der Aletschgletscher hätte dann bestenfalls am Konkordiaplatz noch ein wenig Eis, der Rest wäre weg.

Das Abkommen ist damit nutzlos?
Das Abkommen steht auf wackligen Füssen, denn die Vereinbarungen von Paris sind nicht bindend. Die unterzeichnenden Länder haben sich lediglich dazu verpflichtet, einmal pro Jahr zu rapportieren, was gemacht und welche Ziele erreicht oder verfehlt wurden. Nach den Terroranschlägen in Frankreich war es für den damaligen Präsidenten Hollande aber extrem wichtig, einen aussenpolitischen Erfolg zu feiern, mit dem Resultat, dass am Ende ein Vertrag unterzeichnet wurde, der niemanden schmerzt, aber bei der Umsetzung seine Schwächen zeigt. Wenn dann noch Politiker wie Donald Trump behaupten, der Klimawandel sei von den Chinesen erfunden worden, um die amerikanische Wirtschaft auszubremsen, und für Wladimir Putin der Klimawandel eine Erfindung des Westens ist – Aussagen die in keiner Art und Weise auf wissenschaftlichen Aussagen basieren – richten sie grossen Schaden an.

Kann man sich im Wallis auf den Klima­wandel vorbereiten?
Man wird gut daran tun, die Berghänge gut zu unterhalten. Einerseits, damit nicht alles vertrocknet, was die Gefahr von Flächen- oder sogar Waldbränden verstärkt. Andererseits rutscht auf Hängen, die nicht mehr bewirtschaftet werden und wo das Gras stehen bleibt, der Schnee leichter ab. Zudem muss der Kanton sicherstellen, dass er neue Gefahren in den Bergen rechtzeitig erkennt und beobachtet.

Im Wallis existieren Gefahrenkarten. Haben Sie bei deren Erstellung mitgewirkt?
Nur indirekt, weil wir nicht nur das Klima, sondern auch die Naturgefahrenprozesse rekons­truieren. Wenn wir auf einer Schutthalde, einem Lawinenhang oder an einem Bach stehen, schauen wir uns die alten Bäume an, vor allem jene mit Verletzungen. Wir bohren diese an und wissen dann anhand der Jahrringe, in welchem Jahr ein Ereignis aufgetreten ist und wie häufig das vorgekommen ist. So haben wir im Wallis 32 Murgangbäche und knapp 20 Steinschlag- und Lawinenhänge dokumentiert und konnten diese Informationen in die Gefahrenkarten einfliessen lassen.

Hat der Klimawandel auch positive Aspekte?
Wir verlängern übers Jahr hinaus die Vegetationsperiode, das heisst wir haben bei vielen landwirtschaftlichen Produkten grundsätzlich eine längere Wachstumsphase und können Kulturen in grösseren Höhen anpflanzen.
In den Rebbergen wird man aber auch in Zukunft nur einmal jährlich Trauben ernten können?
Das stimmt, aber man wird tendenziell früher wimden. Auch meine Eltern haben dieses Jahr die Trauben trotz Frühjahrsfrost früher gelesen als sonst, wenn auch deutlich weniger. Allerdings – es klingt paradox – wird auch das Risiko von Kälteeinbrüchen und Frost, wie wir dies im letzten Frühling hatten, bestehen bleiben. Im Weinbau kann es auch Probleme geben, weil ein wärmeres Klima die Oechslegrade in die Höhe treiben kann. In Kalifornien haben Weinproduzenten schon heute Probleme damit, die Weine bei der Vinifizierung unter Kontrolle zu behalten, weil sie zu viel Temperament haben.

Fazit: Das Problem ist und bleibt der Mensch?
Sogar in doppelter Hinsicht. Indem er die Umwelt verschmutzt und indem er Politiker wählt, die nur an die nächste Legislatur denken, nicht aber an unsere Enkelkinder. Ganz im Sinn von «Nach mir die Sintflut» – im wahrsten Sinne des Wortes.

Christian Zufferey

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Infos

Vorname Markus
Name Stoffel
Geburtsdatum 28. April 1974
Familie Verheiratet, zwei Kinder
Beruf Umweltwissenschaftler
Funktion Professor an der Uni Genf
Hobbies Reisen, Wandern, Biken, Fotografieren
Der Klimawandel kann vom Menschen nicht mehr aufgehalten werden. Nein
Politiker sind mehr an Wählerstimmen interessiert als am Klima. Ja
Dank dem Klimawandel werden die Walliser Weine noch besser. Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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