Frontalinterview | Fredy Karlen ist verantwortlich für Sicherheit, Gesundheit und Umwelt bei Lonza Visp
«Wenn wir null Emissionen haben, dann ist das Werk geschlossen»
Fredy Karlen ist verantwortlich für die Sicherheit, Gesundheit und den Umweltschutz im Lonza-Werk in Visp. Ein Interview über Unfälle im Werk, Geruchsemissionen und Fische, die die Wasserqualität testen.
Fredy Karlen, Sie sind dafür verantwortlich, dass es im Werk Visp nicht zu Unfällen kommt. Wie viele Unfälle passieren denn eigentlich durchschnittlich pro Jahr?
Im vergangenen Jahr ereigneten sich im Werk insgesamt 15 Berufsunfälle auf 2700 Mitarbeitende. Dabei waren bei vier Unfällen die Betroffenen mehr als einen Tag arbeitsunfähig. Genau auf diese Unfälle legen wir ein spezielles Augenmerk, weil wir nicht zuletzt daran gemessen werden. Das Werk Visp ist mit dieser Zahl im nationalen Vergleich absolut topp. Diese Zahlen muss man sich aber hart erkämpfen und es ist immer wieder eine Herausforderung, diesen Wert aufrechtzuerhalten.
Wie definieren Sie denn eigentlich einen Unfall? Gilt schon ein eingeklemmter Finger als solcher?
Wir schauen uns alle Berufsunfälle an, bei denen eine medizinische Behandlung nötig ist. Dies auch dann, wenn die Mitarbeitenden trotzdem weiterarbeiten können.
Sie sagen, man muss sich diese Zahlen hart erkämpfen. Was tun Sie dafür?
Die Gruppe Sicherheit, Gesundheit und Umwelt verfolgt in Sachen Unfälle die «Vision Zero». Das heisst, dass jeder Unfall und jeder Zwischenfall einer zu viel ist. Diese Idee versuchen wir unseren Mitarbeitern zu vermitteln. Aufgrund dieser Strategie führen wir dann entsprechende Programme durch, um das Ziel von null Unfällen zu erreichen.
Wie sehen diese Programme konkret aus?
Zentraler Punkt hierbei ist die Ausbildung unserer Mitarbeiter. Das ist der Teil der Prophylaxe. Es geht darum, die Prozesse richtig kennenzulernen. Dazu gehört zum Beispiel das Wissen darüber, welche Schutzkleidung für welche Arbeitsschritte nötig ist oder dass man weiss, wie ein konkretes Werkzeug richtig benutzt wird. Der Prophylaxe steht das Lernen aus Zwischenfällen gegenüber. Dazu werden Zwischenfälle analysiert und die gewonnenen Erkenntnisse fliessen dann wieder in die Ausbildung ein.
Was für Unfälle passieren denn im Werk Visp?
Betrachtet man die letzten paar Jahre, so ist der Anteil der Chemieunfälle an der Gesamtzahl der Unfälle verschwindend klein. Die Zahlen zeigen, dass wir im Bereich Prozesssicherheit einen sehr guten Job machen. Die Abläufe und die Ausbildung stimmen, das nötige Schutzmaterial ist vorhanden. Die meisten Unfälle, die passieren, sind Stürze oder es gibt einen Zwischenfall, wenn Werkzeuge nicht richtig benutzt werden.
Darum auch überall die Schilder in den Treppenhäusern mit der Aufschrift «Bitte Handlauf benutzen»?
Genau. Für Lonza spielt es keine Rolle, ob sich jemand auf der Treppe im Verwaltungsgebäude den Fuss verstaucht oder ob man sich eine Säureverätzung im Labor zuzieht. Da wie gesagt die Zahl der Chemieunfälle sehr tief ist, konzentrieren wir uns eben auch darauf, die Zahl der anderweitigen Unfälle zu senken. Deshalb zum Beispiel die Schilder.
Wie stellt man sicher, dass die Präventionsmassnahmen auch tatsächlich Erfolg haben?
Dass Lonza Sicherheit wichtig ist, soll in der Tat nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Darum haben wir ein System, das dafür sorgt, dass ein gewisser Teil der Boni abhängig davon ist, dass es eben wenig Unfälle gibt. Sprich, passiert zu viel, so sehen die Mitarbeiter das auf ihrer Lohnabrechnung. Das wird recht gut akzeptiert, und ich denke, dass man sich so wirklich zur Sicherheit bekennt.
Unfälle können aber nicht nur im Werk passieren. Was tun Sie oder können Sie tun, dass sich die Mitarbeiter nicht in der Freizeit verletzen?
Seit einigen Jahren führen wir Kampagnen durch, um unsere Mitarbeiter auch für Gefahren in der Freizeit zu sensibilisieren.
Haben Sie damit Erfolg?
Wenn wir die Zahlen der Nichtbetriebsunfälle anschauen und mit anderen Betrieben vergleichen, so müssen wir sagen, dass wir hier nur durchschnittlich sind. So gut wir bei der Unfallprävention im Werk unterwegs sind, so viele Hausaufgaben haben wir noch, was die Nichtbetriebsunfälle unserer Mitarbeiter angeht.
Können Sie sich diese Diskrepanz erklären?
Der Standort des Werks spielt eine grosse Rolle. Unser Werk zieht durch seine Lage viele Leute an, die Berg- und/oder Schneesport betreiben. Hier ist natürlich das Risiko für Unfälle etwas erhöht. Darum versuchen wir das Bewusstsein für Sicherheit in der Freizeit bei unseren Mitarbeitern stetig zu erhöhen. Das braucht viel Überzeugungsarbeit und auch Zeit. Wir versuchen aber nicht nur, Unfälle zu verhindern, sondern auch die Gesundheit der Mitarbeiter zu verbessern. Dazu haben wir zum Beispiel das Programm «Lonza macht dich fit» lanciert. Es geht darum, alles zu unternehmen, damit unsere Mitarbeiter nicht unnötig ausfallen. Fitte Mitarbeiter haben weniger Unfälle und bleiben länger leistungsfähiger.
Sie sind auch für den Umweltschutz verantwortlich. Was beschäftigt Sie in diesem Bereich?
Auch hier haben wir uns das Ziel gesetzt: keine Emissionen. Unser Ziel ist es, durch Strategie und Investitionen jedes Jahr ein bisschen besser zu werden. Man darf nie zufrieden sein.
Wird man dieses Ziel überhaupt je erreichen können, also überhaupt keine Emissionen mehr?
Man versucht, sich diesem Ziel anzunähern. Fakt ist aber: Wenn wir null Emissionen haben, dann ist das Werk geschlossen. Eine chemische Industrie ohne eine einzige Emission bleibt wohl ein Wunschziel. Dennoch versuchen wir natürlich, durch die besten Anlagen und Geräte so wenig Emissionen wie möglich zu verursachen.
Sie halten demnach alle Auflagen der Behörden ein?
Wir versuchen, weit über die gesetzlichen Auflagen hinauszugehen. Wichtig dabei ist sicherlich, die gesunde Balance zu finden zwischen Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit, das heisst zwischen dem, was möglich ist und dem, das bezahlbar ist. Ich denke, dass gelingt uns ziemlich gut.
Vor diesem Hintergrund – ärgert es Sie, wenn Lonza mal wieder wegen unangenehmen Geruchsemissionen kritisiert wird?
Der Umgang mit solcher Kritik hat sich sehr verändert. Wir nehmen Rückmeldungen heute viel ernster als dies vielleicht vor einigen Jahren der Fall war.
Warum dieser «Sinneswandel»?
Weil die Rückmeldungen für uns sehr wertvoll sein können. So konnten wir zum Beispiel den Betrieb der ARA aufgrund von Rückmeldungen aus der Umgebung optimieren. Eine Herausforderung sind die Reklamationen wegen Geruchsbelästigung aber dennoch.
Warum?
Weil gewisse Stoffe so geruchsintensiv sind, dass sie zur Belästigung werden können, obwohl noch lange keine Gefährdung vorliegt. Immer wenn wir eine Meldung wegen Geruchsbelästigung erhalten, bieten wir unsere Experten auf, um vor Ort Messungen durchzuführen. Wenn dann keine Gefährdung vorliegt, es aber dennoch «stinkt», so ist das für ein Unternehmen natürlich keine leichte Situation.
Finden Sie denn immer die Ursache für die Geruchsbelästigung?
Aufgrund der Windverhältnisse in der Region können Emissionen nur sehr kurz wahrnehmbar sein. Bis unsere Messteams vor Ort sind, hat sich der Stoff vielleicht bereits wieder verflüchtigt. Dann wird es natürlich schwer. Vielfach können wir aber schon feststellen, wo das Problem im Prozess liegen könnte und
«Der Anteil der Chemieunfälle ist verschwindend klein »
diesen dann auch mittelfristig optimieren. In dieser Angelegenheit gilt es auch grundsätzlich festzuhalten, dass unsere Mitarbeiter alles daransetzen, dass die Umwelt und die Menschen geschützt werden. Schliesslich leben sie und ihre Familien ja auch hier, und darum haben sie auch ein Interesse daran, dass Luft, Boden und Wasser sauber bleiben.
Stichwort Wasser. Es hält sich der Mythos, dass Sie die Qualität des Abwassers mithilfe von Fischen testen. Überlebt der Fisch, ist alles gut, stirbt er, ist das Wasser wohl verunreinigt. Stimmt das?
Das Werk hat zwei Wassersysteme. Ein Kühlwassersystem und ein Prozesswassersystem. Für das Kühlwassersystem wird dem Rotten Wasser entnommen und nach der Verwendung wieder in die Kanäle in der Nähe geleitet. Normalerweise kommt dieses Wasser nicht mit Stoffen aus der Produktion in Kontakt. Dennoch überprüfen wir die Qualität immer, bevor wir das Wasser wieder ableiten. Und in der Tat gibt es im Abwasserlabor ein Durchlaufaquarium, in dem die Qualität des Kühlwassers mithilfe von Fischen getestet wird. Fische reagieren sehr sensibel und man merkt sehr schnell, wenn etwas nicht stimmt. Das Abwasser aus den Prozessen hingegen wird über Leitungen direkt zur ARA geleitet, wo es fachmännisch gereinigt und aufbereitet wird.
Zusätzlich fällt auch die Werks-Security unter Ihre Zuständigkeit. Welche Aufgabe hat die Lonza-Security?
Eine der Hauptaufgaben der Werks-Security ist es festzustellen, wer sich überhaupt im Werk aufhält. Wir wollen wissen, wer bei uns ist. Dafür haben wir ein System, mit dem wir die Zutritte kontrollieren. Dann wird der Werkszaun regelmässig kontrolliert und es werden Rundgänge gemacht. Die Massnahmen sind immer angepasst an die jeweilige Bedrohungslage, die glücklicherweise derzeit niedrig ist.
Mussten Sie auch schon Industriespione jagen?
In unserem Werk wird nicht in erster Linie geheime Grundlagenforschung betrieben. Bei uns geht es vielmehr um Prozesse. Daher bringt es kaum etwas, aus der Absicht heraus Informationen zu gewinnen, das Werk unbefugt zu betreten. Viel zentraler für uns ist in dieser Angelegenheit der Schutz unserer IT-Systeme. Deren Infiltration könnte viel grösseren Schaden anrichten, als beispielsweise heimlich unsere Anlagen zu fotografieren. Unser Kampf gegen Industriespionage findet daher vor allem im elektronischen Bereich statt.
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