Region | Frontalinterview mit dem Walliser Bergbahnenchef
«Schweizer Grossbanken bekennen sich nicht mehr zum Bergtourismus»
Als Präsident der Walliser Bergbahnen ist Berno Stoffel (48) gefordert. Die Branche serbelt und hat mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Und dennoch sieht er für die Zukunft auch positive Ansätze.
Herr Stoffel, zurzeit läuft der Vorverkauf der Saisonabos. Haben Sie Ihres schon?
Ja, habe ich. Das Saisonabo der Seilbahnen Schweiz. Wer in der Schweiz als Verwaltungsrat oder Mitarbeiter bei Bergbahngesellschaften arbeitet, kann eine vergünstigte Bahnkarte benutzen. Damit bin ich für die kommende Wintersaison parat (lacht).
Reden wir über die Kalkulation der Abopreise. Dazu eine These: Viele Destinationen haben sich bei ihrer Kalkulation am «Hotspot» Zermatt orientiert und deren Preise entsprechend ihrem jeweiligen Angebot angepasst. Mit diesem Modell haben sich viele fast ruiniert. Was sagen Sie dazu?
Für die Preiskalkulation gehen wir von einem Referenzpreis aus. Dieser liegt zwischen 55 und 57 Franken und sagt aus, wie viel der Gast in etwa bereit ist, für eine Tageskarte in einem mittleren Skigebiet zu bezahlen. Dann werden weitere Punkte wie beispielsweise Investitionen, Angebote oder aber auch Nachfrage beigezogen und dann der Preis festgelegt. Ich bin überzeugt, dass im Wallis grossteils so kalkuliert wird. Deshalb stimmt die These nicht.
Und trotzdem kam in letzter Zeit viel Bewegung in die Abopreise, was den Wettbewerb ankurbelte. Und doch gibt es Destinationen, welche nicht auf diesen Zug aufspringen und an ihren Preisen festhalten. Was raten Sie diesen?
Das ist absolut gerechtfertigt. Denn nur billig alleine geht auf die Dauer nicht gut. Der Gast kommt nicht in die Ferien, um Geld zu sparen. Er hat Ferien und will seine freie Zeit mit Erlebnissen verbinden. Deshalb braucht es langfristig eine scharfe Positionierung, um dem Gast genau das Erlebnis zu bieten, das er sucht. So ergibt sich dann ein Produkt, welches der Gast auch zu zahlen bereit ist.
«Andermatt wird für uns ein ernst zu nehmender Mitbewerber»
In Europa gibt es vermehrt weniger Buchungen und das noch auf tiefem Niveau. Wo ist da noch Luft nach oben?
Luft nach oben ist vorhanden. Es gibt nämlich tatsächlich Orte, welche in letzter Zeit wieder steigende Frequenzen verzeichnen konnten. Für die kommende Wintersaison bin ich zuversichtlich, da sich verschiedene Faktoren wie Wechselkurs, die Sicherheitslage und auch eine wieder besser funktionierende Wirtschaft zu unseren Gunsten entwickeln. Das zeigen auch die aktuellen Buchungsstände auf. Es ist gut möglich, dass wir die Talsohle erreicht haben.
Vor einigen Jahren sagten Sie zur RZ, dass das Tempo auf dem Markt schneller sei als unsere Anpassungsfähigkeit. Zu dieser Marktveränderung gehört auch das Sommergeschäft, welches angesichts des Klimawandels und gesellschaftlicher Entwicklungen immer wichtiger wird. So ist festzustellen, dass Berge und «Outdoor»-Aktivitäten total in sind. Dazu aber sind entsprechende Angebote nötig. Stichwort österreichischer Bergsommer. (Damit werben österreichische Bergbahnen für den Sommer Anm. Red). Wie ist diesbezüglich das Wallis aufgestellt?
Tourismus an sich ist ein sehr komplexes Konstrukt. Um dabei erfolgreich zu sein, müssen verschiedene Dienstleister am gleichen Strick und in die gleiche Richtung ziehen. Viele österreichische Destinationen werden stark von einzelnen Personen und Familien vorangetrieben, mit den entsprechenden finanziellen Mitteln dazu. So können sie schneller und unbürokratischer auf Trends oder Marktveränderungen reagieren. Unsere Destinationen sind vielerorts in Kleinststrukturen organisiert und deshalb sehr träge. Es bedarf ein rasches Umdenken bei unseren Prozessen und Abläufen. Deshalb stehe ich nach wie vor zu meiner in Ihrer Frage angesprochenen Aussage, dass das Tempo auf dem Markt schneller ist als unsere Anpassungsfähigkeit.
Mit der Folge, dass nur wenige Orte ein einigermassen vernünftiges Verhältnis zwischen Winter- und Sommergeschäft haben. Was müssen diese also tun?
Der Sommer- und Wintergast sind zwei komplett verschiedene Gästegruppen. Während der Wintergast mehrheitlich an einem Ort bleibt und dort seine Ferien verbringt, «bewegt» sich der Sommergast viel mehr in einer Region und ist dadurch weniger ortsgebunden. Entsprechend braucht es kombinierte und ortsunabhängige Angebote.
In Andermatt entsteht in absehbarer Zeit ein ernst zu nehmender Mitbewerber. Wie schätzen Sie dies ein?
Mit Andermatt entsteht für uns tatsächlich ein neuer, sehr ernst zu nehmender Mitbewerber. Entscheidend wird auch hier sein, wie sich Andermatt künftig positionieren wird. Im Moment richtet sich der Ort eher auf eine sehr gehobene Kundschaft aus. Von ähnlich positionierten Orten wie Gstaad, Crans-Montana oder St. Moritz weiss man, dass nur etwa 30 Prozent der Gäste die Skipisten benutzen. Deshalb wird es interessant sein, die weitere Entwicklung in Andermatt zu beobachten.
Gerade für das wichtige Wochenendgeschäft könnte doch Andermatt durch die günstige Erreichbarkeit und seiner Nähe zu wirtschaftsstarken Regionen wie Zug und Zürich eine Sogwirkung auf das Wallis entwickeln. Wo sehen Sie also allfällige Gegenmassnahmen?
In der Tat. Durch diese von Ihnen angesprochene Nähe zu den grossen Einzugsgebieten werden insbesondere Tagesgäste angesprochen. Aber nicht nur. Denn je nach bereits angesprochener Positionierung könnten womöglich auch Wochengäste auf den Geschmack kommen. Dagegen gibt es an sich nur eine Gegenmassnahme: Wir müssen besser sein.
Und wie?
Nach meiner Einschätzung wird in erster Linie vor allem die Aletschregion von der Konkurrenzsituation betroffen sein. Aber sie muss sich gegenüber Andermatt auf gar keinen Fall verstecken. Die Region hat so viele Trümpfe im Ärmel, so dass sie gut genug gewappnet sein wird. Was aber sicher ist: Sobald in Andermatt das komplette Angebot mit neuen Bahnen und Hotels in Betrieb sein wird, so wird es sicherlich zu Beginn einen gewissen «Run» auslösen, welchen wir zu spüren bekommen werden. Aber wir brauchen die Konkurrenz wirklich nicht zu fürchten.
Somit kann also eine gewisse «Sogwirkung» nicht ausgeschlossen werden. Eine solche geht aber bereits von Zermatt aus. Dort sind die Übernachtungspreise mittlerweile so günstig geworden, dass je näher ein Mitbewerber an Zermatt liegt, dieser umso mehr verliert. Das ist statistisch belegt. Wie schätzen Sie das ein?
Diese Zermatter Preiserosion bei den Übernachtungspreisen im Sommer ist ein Fakt. Wenn dort in einem Viersternehotel günstiger übernachtet werden kann, als in einem Dreisternehotel in Bellwald oder Grächen, so ist das Problem eindeutig. Das hat negative Auswirkungen für die ganze Region und deren touristischen Dienstleister.
«Der Gast kommt nicht in die Ferien um Geld zu sparen»
Gegenmassahmen?
Das ist freier Markt. Da kann ja nicht einfach kommunistisch eingegriffen werden, um die Preise anzupassen. Allenfalls werden die Preise aber im Rahmen einer Gegentendenz in naher Zukunft wieder etwas steigen. Aber sich direkt in die Preispolitik einzumischen, ist in der freien Marktwirtschaft nicht möglich.
Reden wir über die politischen Rahmenbedingungen für die Bergbahnen. Diesbezüglich kam in jüngster Vergangenheit etwas Bewegung in die Sache. Stichwort Tourismusgesetz oder aber die Befreiung der Mineralölsteuer für Pistenfahrzeuge. Ist es damit nun getan oder aber braucht es seitens der Politik noch mehr Anstrengungen, um die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern?
Das Tourismusgesetz mit dem Tourismusfonds, mit welchem für konkrete Projekte gezielt Darlehen gewährt werden können, hat sicher geholfen, ebenso die Befreiung der Mineralsteuer für Pistenfahrzeuge. Solche Unterstützungen werden in Ländern wie Österreich oder in vielen Schweizer Kantonen gar nie genannt. Dort werden konkrete Subventionen für Investitionen gewährt. Dies ist auch unser Anliegen im neuen Bergbahngesetz. Im Vergleich zur nationalen und internationalen Konkurrenz sind wir gesetzlich immer noch stark benachteiligt.
Zum Beispiel?
Für gleich lange Spiesse brauchen wir zwingend das Bergbahngesetz (in Ausarbeitung Anm. Red.). Damit würden Bergbahnen, welche eine gewisse Marge aufweisen, bei Investitionen mit 20 Prozent staatlich unterstützt. Die restliche Finanzierung würde dann mit Fremdmitteln beschafft. So kämen die Bahnen aber wieder zu Geld, was heute sehr schwierig ist. Zurzeit sieht es nämlich so aus, dass mit Ausnahme der Walliser Kantonalbank keine andere Schweizer Grossbank sich mehr zum Bergtourismus bekennt. Mit der Folge, dass mittlerweile deutsche und österreichische Banken zu sehr guten Konditionen bei hiesigen Bergbahnen eingestiegen sind. Das muss uns doch zu denken geben.
Olympische Spiele sind zurzeit in aller Munde. Auch wenn eine offizielle Kandidatur oder aber ein Zuschlag noch in weiter Ferne ist, wie können sich die Walliser Bergbahnen dabei positionieren?
Falls wir die Spiele erhalten, wird dies für uns eine riesige Chance sein, uns im internationalen Fenster zu präsentieren. So werden nicht nur die geplanten Wettkampforte wie beispielsweise Crans-Montana viel frequentiert, sondern viele Walliser Destinationen. Bereits im Vorfeld werden die Skipisten in unserem Kanton zu Trainingszwecken benutzt. Dafür müssen wir bis dahin aber genau so fit sein wie die Athleten. Sprich wir brauchen das Bergbahngesetz und müssen tagtäglich unsere Hausaufgaben machen, damit die Besucher aus aller Welt im Jahre 2026 nicht mit vierzig- bis fünfzigjährigen Bahnen fahren müssen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir das schaffen und diese grosse Chance packen werden.
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