Interview | Beda Stadler zum Thema Impfen
«Oftmals sind Impfgegner schlicht strohdumm»
Beda Stadler, emeritierter Professor für Immunologie, setzt sich für einen Impfzwang in der Schweiz ein. Warum er das tut und was heutige Impfkritik mit dem 18. Jahrhundert zu tun hat, erklärt er im Interview.
Beda Stadler, in der Sendung «Club» des Schweizer Fernsehens benutzten Sie im Zusammenhang mit Impfkritikern das Wort «Mörder». Ist das nicht etwas gar dramatisch?
Die meisten Menschen, die sich oder ihre Kinder nicht impfen lassen, denken nicht über die Konsequenzen nach. Bis jetzt war es auch so, dass sie diese Konsequenzen kaum fürchten mussten. Allerdings ist es heute so, dass die Wissenschaft bei einer Viruserkrankung sehr genau nachvollziehen kann, wer das Virus ursprünglich eingeschleppt und verbreitet hat. Das führt dazu, dass man einzelne Menschen haftbar machen könnte, wenn sie aus Ignoranz eine potenziell tödliche Krankheit verbreiten. Das ist natürlich ein neuer Gedanke, den ich aber in die Diskussion einbringen wollte. Impfgegner sagen immer: «Die anderen sind ja geimpft, also schade ich denen auch nicht.» Tatsache ist aber, dass sich viele Leute nicht impfen lassen können. Wenn diese nun wegen einem Impfgegner sterben müssen, besteht doch eine Schuldfrage. Dieser können wir heute wie gesagt nachgehen. Überfährt jemand mein Kind, will ich ja auch, dass die Schuldfrage geklärt wird. Wenn jemand wissentlich den Tod eines anderen Menschen in Kauf nimmt, dann darf man meiner Meinung nach schon von Mord reden.
Nur 2 bis 5 Prozent der Menschen in der Schweiz gelten als Impfkritiker. Dennoch ist das Thema medial stark präsent. Findet hier nicht eine Überbewertung statt?
Lassen Sie mich es so sagen: Früher ertranken viele Kinder, weil sie nicht schwimmen konnten. Jetzt, da dank des Schwimmunterrichts alle schwimmen können, schafft man den Schwimmunterricht ja nicht wieder ab. Es gibt Krankheiten, zum Beispiel die Masern, die wir mit einer genügend hohen Durchimpfrate ausrotten könnten, was wir bislang aber noch nicht geschafft haben. Darum ist eine Beschäftigung mit dem Thema Impfen durchaus angebracht. Das ist das eine. Dann geht es aber auch um die Tatsache, dass auch wenige Impfgegner einen grossen Schaden anrichten können.
Wie meinen Sie das?
Wir haben gerade in Österreich gesehen, was eine einzige ungeimpfte Person für Auswirkungen haben kann. Ein Tourist kam mit Masern ins Land, 50 Personen sind in der Folge schwer erkrankt. Die Multiplikation ist relativ gross. Ist die Durchimpfrate hoch genug, kann sich eine Gesellschaft zwar ein paar Impfgegner leisten, ähnlich wie man sich in den Dörfern früher ein paar Dorftrottel geleistet hat. Problematisch wird es allerdings, wenn man, um in diesem Bild zu bleiben, die Dorftrottel in den Gemeinderat wählt. Doch genau das passiert derzeit mit den Impfgegnern. Die sozialen Medien verleihen diesen Leuten ein riesiges Sprachrohr, weshalb es absolut zentral ist, dass Aufklärung bezüglich Impfen betrieben wird, weil wie erwähnt in diesem Bereich ein paar wenige gewaltigen Schaden anrichten können. Daher bin ich froh, dass die sozialen Netzwerke begonnen haben, unseriöse Anti-Impf-Propaganda zu unterbinden.
Doch das steht im Widerspruch zur freien Meinungsäusserung.
Nein! Der Punkt ist, es geht hier nicht um freie Meinungsäusserung. Impfkritik kann man mit Hassreden gleichsetzen, die ja auch unterbunden werden. Wenn jemand eine Meinung in der Öffentlichkeit vertritt, welche das Leben von anderen bedroht, dann ist das Thema Meinungsfreiheit vom Tisch.
Impfkritiker berufen sich jedoch öffentlich auf diese Freiheit. Was löst das bei Ihnen aus?
Ich habe so viele Fälle gesehen, in denen es schlecht ausgegangen ist. Die Impfung ist eine der grössten Errungenschaften der Menschheit. Wenn ich nun höre, wie Leute diese Errungenschaft einfach ablehnen, dann macht mich das traurig, weil ich dann an ein Zitat von Albert Einstein erinnert werde, und zwar: «Das Einzige, was vermutlich grenzenlos ist, ist die menschliche Dummheit.» Oftmals agieren Impfgegner nicht einmal böswillig, sondern sind schlicht strohdumm, weil ihnen die Fakten fehlen.
Es ist aber auch nicht ganz so einfach, alle Zusammenhänge zu verstehen.
Moderne Wissenschaft ist komplex, in der Tat. In dieser Angelegenheit geht es darum auch stark ums Vertrauen. Auf der einen Seite haben wir nämlich die Wissenschaft mit ihren belegbaren Fakten, auf der anderen Seite schlichte Meinungen. Leider haben viele Leute das Vertrauen in die Wissenschaft verloren. Woran wir nicht ganz unschuldig sind.
Was heisst das?
Ich glaube, die Entwicklung der Atombombe hat das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft nachhaltig erschüttert. Die Wissenschaft hat eine der grössten Gefahren für die Menschheit produziert. Seitdem wurden seitens der Wissenschaft immer wieder Fehler gemacht, auch im Gesundheitsbereich. Wer eine Schweinegrippe, die ein ganz normale Grippe war, zur Epidemie hochstilisiert, der wird unglaubwürdig. An diesem Vertrauensverlust haben wir beim Impfen nun ebenfalls zu knabbern. Die Wissenschaft hat ein grundsätzliches Vertrauensproblem, das Impfen ist davon nur eine Ausprägung.
Dennoch, die Diskussionen rund ums Impfen werden besonders emotional geführt. Warum das?
Das ist zum Teil auch historisch bedingt. Entwickelt wurde das Prinzip des Impfens im 18. Jahrhundert von Dr. Jenner, einem englischen Landarzt. Um Leute gegen die Pocken zu immunisieren, infizierte er sie mit Pockenerregern von Kühen. Etwas Tierisches in den menschlichen Körper einzubringen, galt damals aus religiösen Gründen aber als absolutes No-Go. Diese Ablehnung, etwas «Fremdes» in den Körper zu bringen, hat sich bis heute gehalten. Ausserdem geht noch ein weiteres Argument der Impfgegner auf die Arbeit von Dr. Jenner zurück.
Das da wäre?
Das mit den Lakaien der Pharmaindustrie. Dr. Jenner bekam, zwar erst nach einigen Anläufen, von der Britischen Royal Academy 10 000 Pfund für seine Forschungen zugesprochen. Ähnlich wie heute hiess es auch schon vor über 200 Jahren, Dr. Jenner gehe es nur ums Geld. Auch mir wurde dieser Vorwurf, ich sei eine «Pharma-Hure», Hunderte Mal gemacht, Geld habe ich von der Impfindustrie jedoch nie bekommen. Der Vorwurf der Bestechlichkeit ist jedoch ausgezeichnet geeignet, um sein Gegenüber zu diskreditieren, weshalb er so gerne ins Feld geführt wird. Einem solchen Vorwurf wissenschaftliche Argumente entgegenzustellen, ist enorm schwer. Hier geht es schlicht darum, mit unlauteren Mitteln die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Ein anderes Argument der Impfkritiker ist das, dass Kinder, welche eine Kinderkrankheit durchmachen, gestärkt aus dieser hervorgehen. Was sagen Sie dazu?
Das ist eine jener Volksweisheiten, die nachweislich falsch sind. In Tat und Wahrheit handelt es sich um ein Wahrnehmungsproblem. Diesen Mechanismus habe ich bei meinen eigenen Kindern erlebt. Meine Tochter erkrankte als Kind an Mumps, es ging ihr richtig schlecht. Als es dann vorbei war, hatte ich auch das Gefühl, dass sie einen grossen Schritt nach vorne gemacht hat. Wenn man aber sein Kind so lange richtig leiden sieht, vergisst man, wie es vor der Krankheit war. Nach der Genesung sieht man nur die Verbesserung gegenüber der Krankheit und da ist die «Entwicklung» natürlich gewaltig. Der Realität entspricht dieses Empfinden jedoch nicht.
Genau in die Gegenrichtung geht ein anderes Argument. Impfen würde das Immunsystem schwächen, heisst es dann.
Das ist vollkommener Quatsch. Unser Immunsystem kann man sich wie einen Ozean vorstellen, wobei eine Impfung eine einzige Welle darin ist. Wie soll eine einzige Welle einen Ozean schwächen? Unsere Körper führt pro Sekunde eine Million Genmanipulationen durch, nur damit wir am Leben bleiben. Da fällt eine zusätzliche überhaupt nicht ins Gewicht. Allerdings erinnert sich der Körper daran und kann bei einem Kontakt mit den entsprechenden Erregern schnell und gezielt reagieren. Darin liegt das Geheimnis einer Impfung.
Vielerorts, auch in der Schweiz, wird dieser Tage über eine Impfpflicht nachgedacht. Sie befürworten eine solche. Warum?
Es gibt zwar wissenschaftlich betrachtet wenig Belege dafür, dass die Durchimpfrate dadurch grossartig ansteigen würde. Allerdings haben wir das Problem, dass wir in vielen Fällen medizinische Standards nicht durchsetzen können, weil es keinen Impfzwang gibt. Auch im Gesundheitsbereich, zum Beispiel in den Spitälern, gibt es viele Leute, die nicht geimpft sind. Bestünde ein Zwang, könnte man diesen Leuten vorschreiben, sich impfen zu lassen. Eine ungeimpfte Pflegefachkraft ist nämlich völlig unprofessionell. Dasselbe gilt natürlich auch für die Ärzteschaft. Diesem und anderen Problemen, zum Beispiel wenn sich Eltern uneinig darüber sind, ob sie ihr Kind impfen lassen sollen, könnten wir mit einer Impfpflicht beikommen.
Martin Meul
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Kommentare
Werner Vogel, Veyras - ↑21↓29
Professor wird man üblicherweise indem man die breit anerkannten Worte eines oder mehrerer Professoren nachschreibt. In sehr seltenen Fällen haben die so ausgezeichneten Wissenschaftler das freie Denken erhalten können. Solche Ausnahmeerscheinungen haben in der Vergangenheit immer wieder zu neuen Erkenntnissen zum Wohle der Menschheit beigetragen. Die Mehrheit missbraucht den Professorenstatus um alte Paradigmen zu erhalten. Eine ebenso grosse Mehrheit der Spezies Mensch macht das übrigens genauso.
Fazit: Ohne denkende Menschen würden wir immer noch in Höhlen leben und kaum 35 Jahre alt werden. Die Medizin ist gerade dabei, einen ihrer grossen Denker zu steinigen, um zu verhindern, dass wir aus der medizinischen Höhle kriechen.
Werner Vogel
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