Interview | Mit Bergsteigerin Ramona Volken aus Brig
«Mit dem Wort Erstbesteigung bin ich sehr vorsichtig»
Im Sommer 2019 nahm Ramona Volken (26) aus Brig an einer Expedition des Schweizerischen Alpenclubs (SAC) ins Pamir-Gebirge in Kirgistan teil. Im Interview lässt sie ihre Erfahrungen Revue passieren, spricht über den Wert von Erstbesteigungen und die Besonderheiten einer reinen Frauenexpedition.
Ramona Volken, vor Kurzem konnte man im Schweizer Fernsehen Ihr Abenteuer in Kirgistan mitverfolgen. Sie waren Teil einer vierwöchigen Expedition ins Pamir-Gebirge in Zentralasien. Wie kam es eigentlich, dass Sie sich dieser Expedition angeschlossen haben?
Alles begann vor drei Jahren. Eine Freundin zeigte mir Videos von ihren Klettertouren in Grönland, und ich war hell begeistert. Dann wurde ich darauf aufmerksam, dass der SAC dabei war, ein neues Expeditionsteam aufzustellen. Zunächst hatte ich Respekt davor, mich anzumelden, weil ich dachte, dass meine Fähigkeiten am Berg für ein solches Team nicht reichen würden. Zudem war ich, da es sich um ein Nachwuchsteam handelte, vom Alter her schon an der oberen Grenze. Es brauchte daher die Überredungskünste einer Kollegin, dass ich mich dann doch anmeldete. Schlussendlich sagte ich mir: Was habe ich schon zu verlieren (lacht).
Eine Anmeldung reichte natürlich nicht, Sie mussten schon zeigen, was Sie draufhaben. Wie sah das anschliessende Auswahlverfahren aus?
Es galt, die Fähigkeiten im Klettern und im Tourengehen unter Beweis zu stellen. Zudem mussten wir Bewerber zeigen, wie wir mit schwierigen Situationen am Berg umgehen könnten.
Wie sah dieser Test aus?
Wir sollten eine Nacht im Freien auf einem Berg verbringen. Allerdings hatte man nur jedem Zweiten von uns gesagt, dass man einen Schlafsack mitnehmen soll. Es fehlte also an Ausrüstung für eine «gemütliche» Nacht. Ziel der Übung war, unser Improvisationstalent zu überprüfen. Eine Gruppe legte die Schlafsäcke also so zusammen, dass es für alle reichte. Bei der anderen Gruppe teilten sich zwei Leute jeweils einen Schlafsack.
Und in Ihrer Gruppe?
Wir waren so clever, dass jeder von uns einen Schlafsack mitgenommen hatte, entgegen der Anweisung (lacht).
Sie wurden schlussendlich für das Expeditionsteam selektioniert. Bevor es losgehen konnte, folgte aber noch eine dreijährige Ausbildung. Was mussten Sie noch lernen?
Die Ausbildung des SAC war sehr breit aufgestellt, sprich wir lernten uns am Fels und im Eis zu bewegen. Ich persönlich konnte dabei am meisten von den Klettertrainings profitieren. Viel Wert wurde dabei darauf gelegt, dass wir lernen, nicht einer vorgegebenen Route zu folgen, sondern das Gelände zu studieren und unseren eigenen Weg zu finden. Schliesslich war unser Ziel ja, in einem Gebiet bergzusteigen, das weitgehend unerschlossen und nur dürftig erkundet ist. Da ist diese Fähigkeit natürlich zentral.
Im September 2019 flogen Sie dann nach Zentralasien und verbrachten rund drei Wochen im Pamir-Gebirge. Speziell daran war unter vielem anderen, dass das Expeditionsteam bis auf eine Ausnahme rein aus Frauen bestand. Was macht ein reines Frauenteam im Vergleich zu einem gemischten Team aus?
(überlegt lange) Das ist schwer zu sagen. Qualitativ und leistungsmässig hätte es wohl keinen grossen Unterschied gemacht, wenn Männer dabei gewesen wären. Aber es wäre wohl weniger diskutiert worden (lacht). Unserem Team war es sehr wichtig, dass alle in die Entscheidungen eingebunden werden, dass es für alle stimmt. Wären Männer dabei gewesen, wäre manchmal wohl schneller ein «Machtwort» gesprochen worden.
Was war Ihr grösster Moment während der Expedition?
Auf was ich am meisten stolz bin, ist die Teamleistung. Zwei Gipfel haben wir mit der kompletten Gruppe geschafft, mit dem Min Teke darunter ein Gipfel von rund 5500 M ü. M. Dass wir das schaffen würden, hatten wir uns im Vorfeld nicht vorstellen können.
Zum Abschluss der Expedition haben Sie mit einer Kollegin den sogenannten «Franzosengipfel» bestiegen. So weit man weiss, waren Sie die ersten Bergsteigerinnen aus dem Westen, die diesen 5000er geschafft haben. Welchen Stellenwert haben solche Erstbesteigungen für Sie?
Das Thema ist grundsätzlich heikel, da man nicht zu 100 Prozent weiss, ob es wirklich eine Erstbesteigung war. Ich bin daher mit diesem Wort sehr vorsichtig. Zudem kommt es auch nicht darauf an, ob wir nun wirklich die Ersten waren, die auf dem Gipfel standen. Wir hatten keine Infos, keine Spuren. Das Unbekannte war gegeben, das ist das, was für mich zählt. Natürlich gibt die Aussicht auf eine Erstbesteigung einen zusätzlichen Motivationsschub, aber wie gesagt stand dieser Umstand für mich nicht im Vordergrund.
Auf der Tour zum «Franzosengipfel» hatten Sie einen Teil Ihres Kochers vergessen. Was geht einem durch den Kopf, wenn man im Höhenlager auf 4300 M ü. M. merkt, dass man sich nichts kochen kann?
Passiert ist das Ganze aufgrund einer Nachlässigkeit beim Umpacken der Ausrüstung. Wir hatten vergessen, den Brenner von unserem Kocher mitzunehmen. Als wir merkten, dass wir den Kocher nicht würden nutzen können, war die Stimmung schon gedrückt. Sorgen machte uns weniger das Essen, sondern vielmehr die Tatsache, dass wir keine Möglichkeit hatten, Schnee zum Trinken zu schmelzen. Da wir aber nichts an der Situation ändern konnten, blieb uns nichts anderes übrig, als die Sache mit Humor zu nehmen. Schlussendlich hatten wir einen guten Abend im Biwak. Aber man kann nicht wegdiskutieren, dass solche «Kleinigkeiten» das Potenzial haben, eine erfolgreiche Gipfelbesteigung zu vereiteln.
Während der Expedition gab es auch andere heikle Momente. Einmal geriet Ihre Gruppe in einen ziemlichen Steinschlag. Wie gehen Sie mit dem Thema Gefahr um?
Generell versuche ich, das Risiko durch gute Ausrüstung und vor allem durch Vorbereitung und Planung zu minimieren. Ist dies erfolgt, gehe ich einfach und blende alles andere aus.
Welche sonstigen Eindrücke von der Expedition werden Sie Ihr Leben lang nicht mehr vergessen?
Einen bleibenden Eindruck hat bei mir das Bild der Frau hinterlassen, das man in diesem Teil der Welt hat. Für uns Frauen im Westen ist klar, dass wir das tun können, was wir möchten, zum Beispiel eben auf 5000er klettern. Kirgisische Frauen haben eine solche Freiheit nicht. Die Männer bestimmen, wie die Frauen zu sein haben, was sie tun dürfen und was nicht. In der Regel heisst das Kinder kriegen, kochen und den Haushalt schmeissen. Das war schon ein ziemlicher
Kulturschock.
Wie haben eigentlich Ihre Eltern darauf reagiert, als Sie ihnen erklärt haben, dass Sie drei Wochen die kirgisischen Berge erkunden wollen?
Meine Eltern haben mich voll unterstützt. Es blieb ihnen ja auch kaum etwas anderes übrig, da ich mich nicht von meinem Plan hätte abbringen lassen (lacht). Meine Mutter war dabei aber schon etwas skeptischer als mein Vater. Schön fand ich auch, dass die Fiescher Firma «Woo» das gesamte Expeditionsteam mit Nahrungsergänzungsmitteln versorgt hat. Wir hatten also ein Stück Wallis mit dabei.
Das Schweizer Fernsehen hat die Expedition intensiv begleitet. Wie haben Sie die Anwesenheit des Kamerateams empfunden? Hatte diese Einfluss auf das Bergsteigen?
Am Anfang waren wir gegenüber dem Fernsehen sehr kritisch eingestellt. Da das SRF uns aber schon während der Ausbildung immer wieder begleitet hat, konnten wir uns an die Sache gewöhnen. Dennoch, das Fernsehen hat schon einen Einfluss darauf, wie man sich gibt und wie man sich verhält. Zum Beispiel, wenn Szenen wiederholt werden müssen. Darum haben wir den TV-Team auch ganz klar zu verstehen gegeben, dass wir nach Kirgistan fahren, um bergzusteigen und nicht um eine Dokumentation zu drehen. Schlussendlich hat die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert. Nicht zuletzt, weil die Fernsehequipe extrem starke, gut ausgebildete und erfahrene Leute hatte. Behindert haben sie uns überhaupt nicht, und das Resultat kann sich entsprechend sehen lassen.
Wie war es, als Sie aus der kirgisischen Abgeschiedenheit nach drei Wochen wieder zurück in der Zivilisation waren?
Es war für mich sehr schwierig, mich wieder an unsere zivilisatorischen Errungenschaften zu gewöhnen. Wir waren fast drei Wochen von sämtlicher Kommunikation abgeschnitten, lebten von Tag zu Tag, voll im Moment. Von einem auf den anderen Moment musste man sich dann plötzlich wieder mit E-Mails, SMS, Terminen und Verpflichtungen auseinandersetzen. Das war eine sehr krasse Erfahrung. In diesem Moment habe ich gemerkt, wie determiniert unser Leben eigentlich ist.
Haben die Erfahrungen in Kirgistan bei Ihnen die Lust nach mehr geweckt, oder betrachten Sie die Expedition als einmalige Erfahrung?
Ich denke, dass eine solche Erfahrung nicht zu wiederholen ist, schon nur weil wir wirklich ein tolles Team waren. Aber ich habe schon Lust, ähnliche Unternehmungen in Angriff zu nehmen. Ob es jetzt beispielsweise ein 8000er werden wird, kann ich nicht sagen. Am meisten reizt mich das Unbekannte, das Unentdeckte. Wo auch immer ich dieses finden werde. Es muss nicht unbedingt immer nur höher hinausgehen (lacht).
Martin Meul
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