Frontal | Ehemaliger SRF-Korrespondent erinnert sich
«Mein Chef meinte, dass ich in Russland verhungere»
Während zehn Jahren berichtete er für das Schweizer Fernsehen über Russland. Nun kommt er zurück in die Schweiz und freut sich über eine neue Herausforderung. Christof Franzen spricht über Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen aus Russland.
Christof Franzen, wie haben Sie die Festtage auf der Bettmeralp verbracht?
Es waren herrliche Tage in meiner Heimat, die ich mit meiner Familie oft auf der Piste verbracht habe. Ich habe die Zeit im Wallis sehr genossen. Zwischendurch war ich mit diversen Dreharbeiten beschäftigt.
Sie lebten über zehn Jahre lang in Russland. Feierten Sie Weihnachten am 24. Dezember oder
am 6. Januar, wie es für die Russen üblich ist?
Das ist so eine Sache mit Weihnachten, die grossen Gewinner dabei sind meine Kinder, die gleich zweimal Geschenke erhalten (lacht). Im Ernst, wir feiern am 24. Dezember das eigentliche Weihnachtsfest. Aber auch der 6. Januar ist für uns ein spezieller Tag.
Während zehn Jahren berichteten Sie als Korrespondent des Schweizer Fernsehens über Russland und diverse umliegende Länder. Warum kehren Sie nun in die Schweiz zurück?
Grundsätzlich gilt für SRF-Korrespondenten der Turnus von vier bis sechs Jahren, in denen sie über ein Land berichten dürfen. Da ich meine ersten Jahre als freischaffender Journalist aus Russland berichtete, genoss ich quasi eine Art Sonderstatus. Doch es war mein freier Entscheid, zurück in die Schweiz zu kommen. SRF hätte mich vermutlich noch zwei bis drei Jahre als Korrespondent in Moskau arbeiten lassen.
SRF wollte damals jedoch keinen Korrespondenten in Russland, als Sie angefangen haben.
Das stimmt. Im Jahr 2004 schloss SRF sein Büro in Russland und hatte anschliessend kein Interesse, einen festen Korrespondenten anzustellen. Russland schien wohl damals unter der Präsidentschaft von Putin journalistisch nicht mehr ganz so interessant wie in den chaotischen 90er-Jahren. Demnach traf ich mit dem damaligen Chefredaktor die Vereinbarung, dass ich mein Glück auf eigene Faust versuche, jedoch zurückkehren darf, wenn es nicht klappen sollte.
Sie hatten also quasi eine Rückkehrgarantie, falls es schiefgegangen wäre?
Ja, eine solche Garantie gab es. Unser Chefredaktor sagte mir allerdings damals, dass ich in Russland verhungern werde. Mittlerweile ist daraus ein Spass entstanden, denn seither habe ich jährlich ein Kilo zugelegt (lacht).
Was bleibt Ihnen aus all den Jahren in Russland speziell in Erinnerung?
Vieles. Zum Beispiel die Urteile in politischen Gerichtsprozessen, die ich mehrere Male in den engen – typisch russischen – Gerichtssälen miterlebt habe.
Nennen Sie ein Beispiel.
Es war meist dasselbe: Jeder im Saal wusste, dass das ausgesprochene Urteil politisch und ungerecht war. Ich habe mehrere Urteile miterlebt, in denen die Angeklagten den Staatsanwälten mitgeteilt haben, dass sie in der stärkeren Position seien, weil sie die Wahrheit sagen dürfen. Die Staatsanwälte hingegen handelten politisch und haben daraufhin vermehrt den Kopf gesenkt und gar nichts mehr gesagt. Das ist mir schon ziemlich eingefahren. Geblieben ist mir zudem der Konflikt in der Ukraine.
In der Ukraine berichteten Sie aus dem Kriegsgebiet. Fürchteten Sie auch um Ihr Leben?
Sagen wir es so: Ein Restrisiko bleibt immer. Als der Stadtrand von Donezk bombardiert wurde, schaute ich mit einigen Journalisten-Kollegen nach den Menschen, die dort unter Beschuss lebten. Das waren Impressionen, die ich nicht so schnell vergessen werde. Zudem war ich auch mehrere Male in den Schützengräben, jedoch nur während des Tages und nicht nachts, als von der Gegenseite geschossen wurde. Aufs Äusserste bin ich nie gegangen. Ich kenne jedoch Journalisten, die in den Schützengräben blieben und auch solche, die ihr Leben lassen mussten. Doch ich habe immer betont, dass ich kein Kriegsberichterstatter bin.
In Russland sind beinahe sämtliche Staatssender vom Kreml gesteuert. Inwiefern hat das Ihre Arbeit beeinflusst?
Ich habe die russischen TV-Kanäle nicht wegen der Informationen eingeschaltet, sondern mehrheitlich wegen des Stimmungsbarometers, das hier wiedergegeben wurde. Je nachdem wie berichtet wurde, wusste ich, ob sich die Lage mehrheitlich entspannt oder ob die Stimmung aggressiver wurde. Ansonsten wurde meine Arbeit von den einheimischen Kanälen nicht beeinflusst.
In Ihrer Zeit als Russland-Korrespondent fanden die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi statt. Russland-Präsident Wladimir Putin entzog Ihnen dabei einmal das Mikrofon. Was war geschehen?
Ich habe anlässlich der Olympischen Spiele mit Journalisten-Kollegen ausgemacht, welche Fragen wir dem Präsidenten stellen wollen, das war jedoch nicht im Sinne von Wladimir Putin.
Was haben Sie ihn konkret gefragt?
Einerseits wollten wir wissen, weshalb die Olympischen Spiele in keinem demokratischen Land mehr durchgeführt werden, worauf wir auch eine Antwort erhalten haben. Als wir dann nachfragten, ob während den Olympischen Winterspielen politische Gefangene freigelassen werden, blockte er ab, zog mein Mikrofon an sich und sagte, wir sollten aufhören, Sport mit Politik zu vermischen. Das Interview war beendet.
Wie haben Sie Präsident Putin erlebt?
Ich bin überzeugt, dass er ein Schaffer ist und seine Dossiers kennt. Doch es gibt keine Interviews mit ihm, in denen er sich einer Konfrontation stellen muss. Dadurch ist er gegenüber manch anderem Politiker im Westen geschützt. Wäre dies nicht so, würde Putin viel Souveränität verlieren. Vom Charakter her hat er Schwächen, seine Rachsüchtigkeit zum Beispiel.
Auf SRF und in Ihrer Heimat auf der Bettmeralp wurde kürzlich eine Dokumentation ausgestrahlt über Ihr «anderes Russland». Was hat Sie bei den Dreharbeiten am meisten beeindruckt?
Wir wollten eine Serie machen, losgelöst von der Politik und von einem exakten Storyboard, deshalb fuhren wir einfach mal drauflos und begegneten zahlreichen interessanten Menschen. Diese Begegnungen haben mir gut gefallen.
Ihr Kameramann Gery Gafner sagte in einem Interview, Sie seien kein Alpinist. Dabei sind Sie in den Bergen aufgewachsen.
Ich liebe die Berge, aber ich muss zugestehen, dass ich lieber mit der Bahn auf einen Berg fahre als zu Fuss hinauflaufe. Im Gegensatz zu manch einem Bekannten auf der Bettmeralp bin ich nie der Bergsteiger gewesen.
Neu arbeiten Sie für SRF Dok. Wo liegt für Sie der Reiz, Dokumentarfilme zu realisieren?
Ich freue mich darauf, dass ich nun vermehrt in die Tiefe gehen kann und Zusammenhänge gänzlich dokumentieren darf. Es gibt dabei spannende Themeninhalte, die geplant, aber noch nicht spruchreif sind.
Simon Kalbermatten
Artikel
Kommentare
Alwin Wirthner, Visp - ↑143↓34
Werter Herr Franzen Ch., meine allergrösste Hochachtung gilt Ihnen schon seit längerer Zeit. Ihre Kommentare und Dokumentationen in/aus Russland waren durchwegs sachlich, faszinierend, spannend und äusserst kompetent. Reporter Ihres Formates bräuchte das SRF mehrere - Gratulation und alles Gute - Herr Franzen.
antworten