Frontalinterview | Elitepolizist «Daniel» über seinen Beruf

«Man jagt nicht einfach ein Magazin in den Raum»

«Am Schluss müssen wir uns für jede abgefeuerte Kugel rechtfertigen.»
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«Am Schluss müssen wir uns für jede abgefeuerte Kugel rechtfertigen.»
Foto: Kantonspolizei Wallis

«Es wird nie ­jemand allein gelassen»
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«Es wird nie ­jemand allein gelassen»
Foto: Kantonspolizei Wallis

Quelle: RZ 0

Daniel* ist seit über zehn Jahren Mitglied der Interventionsgruppe «Edelweiss» der Walliser Kantonspolizei. Im Interview spricht der Elitepolizist über seine Tätigkeit und seinen Umgang mit der Gefahr.

Daniel, Sie sind Mitglied der Interventionsgruppe «Edelweiss». Wann kommen Sie ­zum Einsatz?
«Edelweiss» kommt immer dann zum Einsatz, wenn die Lage für den im Allgemeindienst stehenden Polizisten zu gefährlich ist, das heisst, wenn ein hoher Gefährdungsgrad an Leib und Leben besteht und daher der Einsatz von speziell ausgerüsteten und ausgebildeten Polizisten nötig wird. Das können Zugriffe auf Täter sein, von denen man weiss, dass Waffen im Spiel sein könnten. Dann verstärkt die Interventionsgruppe auch die Fahndung nach Flüchtigen, beispielsweise nach einem Raubüberfall. Des Weiteren ruft man uns aber auch für Einsätze in schwierigem Gelände, zum Beispiel im Gebirge. Dann kämen wir aber auch bei sogenannten Sonderlagen zum Einsatz. Eine Sonderlage kann zum Beispiel eine Geiselnahme sein. Daneben übernehmen wir aber auch Personenschutzaufgaben. Und schlussendlich bilden die Instruktoren von «Edelweiss» auch an der Polizeiakademie aus oder machen Weiterbildungen für das Corps.

Sondereinheiten der Polizei bringt man auch immer mit einer starken Bewaffnung in Verbindung. Wie ist die Interventionsgruppe der Walliser Kantonspolizei bewaffnet?
Grundsätzlich geben wir keine detaillierten Auskünfte über unsere zusätzliche Bewaffnung. Nur so viel – uns steht die Bewaffnung und Ausrüstung zu Verfügung, die für den jeweiligen Einsatz angemessen ist. Es macht keinen Sinn, einem Täter, der mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr bewaffnet ist, mit einer Pistole zu begegnen. Grundsätzlich können wir auf die unterschiedlichsten tödlichen und nicht tödlichen Waffen und andere Ausrüstung zurückgreifen.

Welchen Ruf geniessen die Mitglieder der ­Interventionsgruppe beim Rest des Corps? Gelten Sie als «elitäre» Einheit?
Ich denke mal, dass wir einen guten Ruf haben, was unsere Leistungen betrifft. Als «elitär» gelten wir hoffentlich nicht. Wir stehen ja nicht irgendwie ausserhalb des Corps. Wir arbeiten schliesslich alle eng zusammen.

Gibt es innerhalb von «Edelweiss» eine Aufgabenteilung, sprich haben Sie Spezialisten? Oder übernehmen alle Mitglieder alle Aufgaben?
Innerhalb der Einheit gibt es natürlich nochmals Spezialisierungen. Die Scharfschützen beispielsweise haben ihr zugeteiltes Gewehr, mit dem sie trainieren und Einsätze bestreiten. Als Scharfschützen kommen nur unsere besten Schützen infrage und diese absolvieren für ihre Funktion spezielle Ausbildungen und Trainings. Es würde keinen Sinn machen, diese Leute noch für andere Aufgaben auszubilden und aufzubieten.

Welche Funktion bekleiden Sie persönlich bei «Edelweiss»?
Ich bin ein normales Mitglied der Interventionseinheit. Meine Funktion wird als «Operateur» bezeichnet.
Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Warten Sie irgendwo darauf, dass Sie gerufen werden?
Nein, sicher nicht. Warten tun wir nie. Entweder wir stehen im Einsatz, bilden uns weiter, trainieren oder geben Schulungen. Daneben verrichten wir auch normalen Polizeidienst. Es kann also gut sein, dass Sie mir bei einer Verkehrskontrolle begegnen.

Was war der Grund dafür, dass Sie vor über zehn Jahren Mitglied der Interventionseinheit werden wollten?
Einerseits war da ein grosses Interesse an Interventionstechniken. Dann spielte sicher auch der Leistungsgedanke eine Rolle, ich wollte mehr leisten als normal, schliesslich sind die Ausbildung und auch die Übungen sehr fordernd. Was mich heute an meiner Arbeit fasziniert, ist die Unvorhersehbarkeit. Man weiss nie, was einen erwartet, das macht die Arbeit sehr spannend. In der Gruppe herrscht zudem eine unglaubliche Kameradschaft. Ich weiss, dass ich mich jederzeit zu 100 Prozent auf meine Kollegen verlassen kann. Es wird nie jemand allein gelassen. Dieses Wissen darum ist etwas sehr Schönes.

Sind Sie eine «Kampfmaschine»?
Was heisst «Kampfmaschine»? Ich bin zielstrebig, gut strukturiert und leistungsorientiert. «Kampfmaschine» impliziert, dass vor allem die Körperlichkeit zählt. Der Kopf ist aber viel wichtiger. Durch nachdenken und reflektieren kann man die Situation richtig einschätzen und so das Risiko minimieren. Schlussendlich geht es darum, den Auftrag zu erfüllen. Mit reiner Körperkraft schafft man das kaum.

Dennoch spielt die physische Fitness eine grosse Rolle. Sie sind jetzt Ende dreissig. Wie lang können Sie Ihren Job noch machen?
Es gibt keine Alterslimite bei der Einheit. Man kann so lange dabei sein, wie man sich dafür bereit fühlt. Unsere Mitglieder merken, wenn sie nicht mehr mithalten können und ziehen die entsprechenden Konsequenzen. Es gilt jedoch noch etwas anderes zu beachten. Fitness ist wichtig für uns, genauso wichtig ist jedoch Erfahrung. Diese ist natürlich bei älteren Mitgliedern grösser, weshalb sie für uns genauso wichtig sind wie die jüngeren. Ausserdem gibt es durchaus 50-Jährige, die fitter als Leute Mitte zwanzig sind. Entscheidend ist allein die Motivation, alles für die Gruppe geben zu wollen.

Sie kommen zum Einsatz, wenn es gefährlich wird. Wie gehen Sie mit dieser psychischen Belastung um?
Wie gesagt ist es die Unvorhersehbarkeit, die mich an meinem Job reizt. Was die Gefahr betrifft, weiss ich genau, was ich kann, und was noch wichtiger ist, was ich nicht kann. Entsprechend verhalte ich mich im Einsatz. Hinzu kommt die Rückendeckung durch meine Kollegen. Daher ist die Belastung im Einsatz nicht so gross, Angst verspüre ich in diesen Momenten nicht. Es gibt Situationen, die gefährlich sind, das ja. Durch die Wahl der richtigen Taktik kann man das Risiko jedoch minimieren. Es ist auch nicht so, dass wir den Helden spielen, wenn zum Beispiel jemand um sich schiesst. Es ist alles eine Frage von Risikoabschätzung und entsprechender Vorgehensweise. Belastend kann es allerdings im Nachhinein werden, wenn man die Intervention Revue passieren lässt. Ich hatte zum Beispiel einmal einen Einsatz, bei dem ein Vater seine zwei Kinder erschossen hatte. Das beschäftigt einen dann schon sehr. Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist, dass ein Kollege bei einem Einsatz schwer verletzt oder gar getötet wird, was seitdem ich dabei bin, zum Glück noch nie passiert ist und hoffentlich auch nie passieren wird.

Hat Ihr Umfeld Angst um Sie?
Ich glaube nicht. Dazu muss ich aber auch sagen, dass neben meiner Frau nur noch zwei, drei Personen genau wissen, was ich tue. Ich gehe mit meiner Tätigkeit nicht hausieren, auch nicht bei meinen engsten Kollegen.

Wie schalten Sie nach einem intensiven ­Arbeitstag ab?
Ich mache viel Sport. Dann mag ich es aber auch, im Garten zu arbeiten, den Rasen zu mähen oder Blumen zu pflanzen. (lacht)

Spezialeinheiten wie «Edelweiss» sind auch oft Thema in Filmen und TV-Serien. Inwieweit entspricht das dort vermittelte Bild der Realität?
Was die gezeigten Techniken betrifft, ist das vermittelte Bild recht nahe an der Realität. Die Produktionen greifen schliesslich auf entsprechende Spezialisten zurück, die sie beraten. Unrealistisch wird es dann, wenn geschossen wird.

Wie meinen Sie das?
Im Film wird oft sinnlos herumgeballert. In der Realität werden Waffen viel bewusster und der Situation entsprechend eingesetzt. Am Schluss müssen wir uns schliesslich für jede abgefeuerte Kugel rechtfertigen. Daher «jagt» man nicht einfach mal so ein Magazin in den Raum. Kommt hinzu, dass auch die Charaktere in den Filmen nicht der Realität entsprechen. Dort sieht man oft draufgängerische «Rambos», die jedes Risiko eingehen. Solche Figuren gibt es bei uns nicht. Fast alle unsere Mitglieder haben Familie und es ist von jedem das Ziel, am Abend seine Liebsten wieder in die Arme schliessen zu können. Da ist für Draufgängertum und «Rambos» kein Platz.

Mussten Sie schon einmal auf jemanden schiessen?
Dazu kann ich keine Auskunft geben.

Wir haben nun viel über Ihre Arbeit gesprochen. Wir wird man denn eigentlich Mitglied der Interventionsgruppe? Was sind die Voraussetzungen?
Voraussetzung ist eine abgeschlossene Polizeischule und drei Jahre Berufserfahrung. Dann muss man ein sehr guter Schütze, stressresistent, in bester körperlicher Verfassung, sehr motiviert und äusserst teamfähig sein. Für Oberwalliser kommen noch ausgezeichnete Französischkenntnisse hinzu. Will man Mitglied werden, bewirbt man sich für die Ausbildung. Dazu gilt es mehrere sehr anspruchsvolle Tests zu bestehen. Sind diese internen Tests bestanden, wird man vom Kanton für die Ausbildung zugelassen. Danach folgt ein Zulassungstest für die Grundausbildung. Erst wenn dieser bestanden ist, beginnt die zweijährige Grundausbildung. Diese führen die Westschweizer Kantone gemeinsam durch. Ist die Grundausbildung bestanden, folgen Weiterbildungen, bei denen dann zum Beispiel das Erstürmen eines Flugzeugs oder dergleichen gelernt wird.

Gibt es auch Frauen in der Interventions­gruppe?
Derzeit nicht. Grundsätzlich können natürlich auch Frauen Mitglied werden. Einen Bonus erhalten sie aber nicht. Sie müssen die gleichen Tests wie die Männer absolvieren mit den gleichen Resultaten.

*Die Identität der Mitglieder der Interventionsgruppe ist geheim. Aus diesem Grund wurde das Pseudonym «Daniel» verwendet.

Martin Meul

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