Frontalinterview | Oberwallis
«Kinder mit vier Jahren einzuschulen ist kein Problem»
Er ist leidenschaftlicher Lehrer, Co-Präsident des Vereins der Oberwalliser Schuldirektionen (OSD) und dirigiert den Kirchenchor Mörel-Filet. Werner Salzmann (54), freut sich auf das neue Schuljahr und kann damit leben, dass Kinder früher eingeschult werden müssen.
Herr Salzmann, wo waren Sie in den Sommerferien?
Zuerst mit meiner Familie in der Türkei und anschliessend in Südfrankreich, in Cannes. Dort habe ich das Tauchbrevet gemacht. Jetzt in letzter Zeit habe ich mich allerdings fast ausschliesslich auf das neue Schuljahr vorbereitet. Im Vorfeld gibt es viel zu tun!
Wie gross ist die Vorfreude auf das neue Schuljahr?
Die ist immer gross. Ich freue mich jeweils auf die neuen Gesichter bei den Schülern und bin immer gespannt, was auf uns Lehrer zukommt.
Reden wir über die grosse Neuerung in diesem Schuljahr, die Einführung von HarmoS. Erklären Sie kurz, was genau dahintersteckt.
Dabei geht es um die interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule. Das ist ein Konkordat, zu welchem das Wallis 2008 den Beitritt beschlossen hat. Konkret sollen dabei die 26 Schweizer Schulsysteme in den Bereichen Bildungsziele, Eintrittsalter, Dauer und Qualitätssicherung vereinheitlicht werden. Seither hat sich aber gezeigt, dass der Gedanke nicht so einfach ist, weil die einzelnen Kantone ihre Eigenheiten nicht so gerne aufgeben wollen. Vereinheitlicht wurde schliesslich ein Punkt, welcher wesentlich ist: die obligatorische Einschulung mit vier Jahren. Was viele nicht wissen. Bisher war der Kindergarten freiwillig. Einzig die Einschulung in die erste Klasse war gesetzlich geregelt.
Es gibt Stimmen von Eltern, welche eben gerade dieses frühe Einschulungsalter kritisieren.
Ich kann das verstehen. Aber man muss relativieren. Das Einschulungsalter ab vier gilt nur für diejenigen Kinder, welche vor dem 31. Juli geboren wurden. Somit wird es Kinder geben, welche bei der Einschulung bereits etwas älter sein werden. Zudem wurde im Unterwallis in der Vergangenheit tendenziell eher früher eingeschult als bei uns im Oberwallis. Die Erfahrungen damit sind gut. Womit sich die Eltern von Kindergärtnern vor allem umstellen müssen, ist bei der Entscheidung über Urlaubsgesuche. Wurden solche früher eher liberal behandelt, werden diese neu aufgrund des Obligatoriums höchstwahrscheinlich strenger beurteilt.
Werden beim Einschulungsalter Ausnahmen gemacht?
Wenn Eltern das Gefühl haben, ihr Kind sei noch nicht so weit, so kann eine Abklärung beim Kinderarzt oder Kinderpsychologen gemacht werden. Dann wird das Kind im Folgejahr eingeschult. Wurde ein Kind mit vier Jahren eingeschult und sollte es sich während der zwei Kindergartenjahre herausstellen, dass es in seiner Entwicklung noch Zeit braucht, so kann es auch noch ein weiteres Kindergartenjahr anhängen. Dabei gilt es auch zu erwähnen, dass meiner Meinung nach die heutige Gesellschaft Abklärungen durch Psychologen oder aber Therapeuten viel offener gegenübersteht als früher.
Wird eine solche Abklärung gemacht, besteht nicht das Risiko, dass das Kind für den Rest des Lebens «abgestempelt» ist?
Ich glaube nicht. Die Details der Abklärung unterliegen dem Arztgeheimnis. Somit wird auch später niemand erfahren, was damals der genaue Grund der späteren Einschulung war. Wenn ein Jugendlicher sich dann für eine Lehrstelle bewirbt, glaube ich nicht, dass sich das spätere Einschulungsalter negativ auf seine berufliche Laufbahn auswirkt. Da kommt es doch auf ein Jahr nicht darauf an.
Was für einen Einfluss hat die Einführung von HarmoS auf die Arbeit der Lehrpersonen?
Die Lehrer sind für den Unterricht mit vierjährigen Kindern ausgebildet. So gesehen müssen sie sich nicht umstellen. Was sich geändert hat, ist die Kommunikation an die Eltern während der Vorbereitung auf das neue Schuljahr. Da musste viel besser und umfassender kommuniziert werden.
Die Oberwalliser Schuldirektionen stehen HarmoS somit positiv gegenüber.
Grundsätzlich ja. Trotzdem gibt es Punkte, mit welchen wir nicht so einverstanden sind.
Beispiel?
Für die Umsetzung von HarmoS musste das Wallis die nötigen gesetzlichen Grundlagen schaffen. Bei der Erarbeitung der entsprechenden Verordnungen wurden wir Lehrer nicht immer genügend einbezogen. Die Folge davon: Während der obligatorischen Schulpflicht werden neu mehrere Gesamtbeurteilungen der Schüler vorgenommen. Unserer Meinung nach müsste das nicht immer durch kantonale einheitliche Prüfungen geschehen, sondern vor allem zu Beginn der Schulkarriere eher individuell durch die jeweilige Lehrperson.
Kann daraus geschlossen werden, dass die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und den kantonalen Behörden harmonischer sein könnte?
Nein, das kann so nicht gesagt werden. Wir haben einen viel regeren Austausch als früher, was zu begrüssen ist. Diesbezüglich läuft es prima. Und da gilt es vor allem Bildungsminister Oskar Freysinger zu erwähnen. Er ist selber Lehrer. Das Problem ist nur, dass er Kollegiumslehrer war. Somit betrachtet er die Schulen sehr oft aus diesem Blickwinkel. Ein Kollegium kann mit einem Kindergarten oder einer Primarschule nicht verglichen werden. Darum kommt es manchmal vor, dass wir zwar gefragt, aber nicht gehört werden.
Was läuft positiv?
Die Schulen unterliegen einem steten Wandel. Diesbezüglich wurde in den Schulen in den letzten Jahren viel verändert und wir Lehrer mussten uns immer wieder entsprechend anpassen. Oskar Freysinger will uns jetzt aber einfach mal arbeiten und uns auf das Wesentliche, sprich den Unterricht, konzentrieren lassen. Das ist positiv zu werten.
Kommen wir zum Thema Lehrermangel. Wie beurteilen Sie aktuell die Situation?
Auf der Stufe Primarschule hat sich die Situation wesentlich entspannt. Ich habe sogar das Gefühl, dass nicht mehr alle Primarlehrer automatisch eine Stelle haben werden. Auch auf der OS-Stufe sieht es mittlerweile etwas besser aus.
Was sind die Gründe?
Soziale Berufe sind zurzeit im Trend. Ich stelle fest, dass dadurch auch das Interesse am Lehrerberuf in den letzten Jahren gestiegen ist.
Rückläufig sind hingegen die Schülerzahlen.
Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass die Schülerzahlen in den Talgemeinden eher zu- und in den Berggemeinden eher abnehmen. Wenn wir aber die aktuellen Geburtenzahlen in den einzelnen Gemeinden berücksichtigen, so stellen wir für die nächsten Jahre wieder eine steigende Schülerzahl fest. Das stimmt mich positiv. In meiner langen Karriere als Lehrer konnten immer schon grosse Schwankungen bei den Schülerzahlen festgestellt werden.
Sie sprechen Ihre langjährige Lehrertätigkeit an. Wie haben sich die Kinder in all den Jahren verändert?
Heute sind die Kinder zu oft mit Computerspielen beschäftigt. Würden die Freizeitbeschäftigungen anders gestaltet werden, so bin ich überzeugt, hätten wir viel weniger Kinder mit Aufmerksamkeitsschwierigkeiten oder aber Konzentrationsschwächen. Das würde den Eltern und vor allem dem Kind zugutekommen.
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Kommentare
Frida Keller - ↑5↓1
Was für einen Seisch. Der Herr Oberlehrer ist überzeugt, dass wir ohne Computerspiele "viel weniger Kinder mit Aufmerksamkeitsschwierigkeiten oder aber Konzentrationsschwächen" hätten. Für diesen Blödsinn gibt es überhaupt keinen wissenschaftlichen Beleg. Esoterik hat hat in unseren Schulen nichts zu suchen. Beängstigend.
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Rudi - ↑15↓1
Bei uns grad das umgekehrte. Wir wollten unsere Tochter dieses Jahr mit 4 ein halb Jahren in den Kindergarten schicken, mitunter auch weil alle ihre Kolleginnen hingehen. Durch die neue Reglementierung darf sie aber erst nächstes Jahr mit 5 ein halb Jahren in den Kindergarten. Komische Welt. Lasst doch die Eltern entscheiden ob sie ihr Kind mit 4 oder 5 "einschulen" lassen möchten. Wenn ein Kind mit 4 noch in den Windeln steckt - könnte es zu früh sein. Wenn ein Kind mit 4 schon rechnen, schreiben etc. kann - wieso nicht.
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Andy - ↑8↓2
Genau so ist es Rudi. Schade das immer alles Vorgeschrieben wird! Aber eben, es wird ja alles verstaatlicht und wenn wir nicht aufpassen, werden die Kinder auch verstaatlicht. Mit solchen Reglementierungen sind wir auf dem besten Weg. Bekomme langsam aber sicher den Eindruck das den Eltern die Rechte scheibchenweise weggenommen werden.
Macht euch mal schlau über das Epidemiengesetz, das wir in den nächsten Monaten abstimmen sollen (Zwangsimpfung; Frühsexualisierung usw.).
Klara Zenruffinen - ↑6↓33
Ein früher Zugang zur Bildung ist der Schlüssel für eine gute Ausbildung/guten Abschluss. .
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wolfji - ↑33↓5
nicht ganz! ein kind sollte die gelegenheit bekommen eine kleine weile kind zu sein und kind zu leben. dem kind wird immer mehr das "kind sein und kind leben" genommen, weil die eltern nicht mehr fähig sind, ihre pflicht wahr zu nehmen. auf das kind wird schon seit vielen jahren keine rücksicht mehr genommen. wie lange dauert es wohl noch, bis dem kind nach der geburt direkt ein chip inplantiert wird, der es dann führt, damit die eltern überhaupt nichts mehr dazu beitragen müssen und gänzlich von ihren pflichten befreit werden?
rollover - ↑41↓4
schickt sie doch gleich von der Säuglingsabteilung aus in die Schule
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Vogel Edwin - ↑35↓9
BRAVO! Nun können die Doppelverdiener (meistens Leute mit sehr guter Ausbildung und hohem Einkommen) ihre Kinder sogar auf Staatskosten früher von zu Hause "loswerden".
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Matti - ↑8↓19
eifersüchtig auf Besserverdienende?
Michael - ↑11↓7
Ich bin gut ausgebildet, meine Frau ebenfalls - wir verzichten auf eine Krippe. Trotzdem meine Frage: Wo ist die Statistik, welche belegt, dass zumeist Leute mit guter Ausbildung und hohem Einkommen Doppelverdiener sind? Wo fängt das sog. hohe Einkommen an? Bei CHF 100'000.-? Bei CHF 500'000.-? Ich würde unser Kind nun auch nicht mit 4 Jahren in den Kindergarten schicken, wenn wir die Wahl hätten. Aber immer alles pauschalisieren und negativ sehen, ist keine Lösung...!