Interview | Art Furrer zur Lage des Tourismus

«In den Tourismusbüros wird nur noch der Computer gehütet»

«Der Walliser Tourismus ist noch lange nicht über den Berg», sagt Art Furrer.
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«Der Walliser Tourismus ist noch lange nicht über den Berg», sagt Art Furrer.
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Der Tourismuskenner und ehemalige Hotelier Art Furrer ist überzeugt, dass sich die Destinationen zu früh über die guten Zahlen für das Weihnachtsgeschäft freuen. Im Interview erklärt er, warum er dies so sieht, welche Denkfehler der Tourismus macht und warum man im Wallis vermehrt auf Gruppentourismus setzen sollte.

Art Furrer, das Geschäft über Weihnachten und Neujahr lief gut, die Bahnen verzeichneten mehr Ersteintritte und die Hotellerie mehr Übernachtungen als in der Vorjahresperiode. Warum teilen Sie den daraus resultierenden Optimismus nicht?

Ich teile ihn, aber halt nur bedingt. Es ist in der Tat so, dass das Geschäft über Weihnachten und Neujahr wirklich gut lief, wir kamen mit der Arbeit kaum nach. Allerdings, und jetzt kommt das, worüber man dann weniger gerne redet, war die Zeit vor Weihnachten und jetzt im Januar so schlecht wie noch selten. Deshalb bin ich der Meinung, dass der Optimismus, der derzeit an den Tag gelegt wird, verfrüht ist. Der Walliser Tourismus ist noch lange nicht über den Berg, ganz im Gegenteil.

Was meinen Sie damit?

Zusammengefasst geht es darum, dass falsch gerechnet wird, beziehungsweise dass man sich die Zahlen so zurechtlegt, wie sie einem in den Kram passen. Wie gesagt darf man sich von ein paar Spitzentagen nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die restlichen Tage eher mau waren. Das ist das eine. Dann müssen wir die touristische Entwicklung und vor allem die Preispolitik auch im grösseren Kontext betrachten. In den letzten Jahren wurde viel dafür unternommen, der Hochpreisinsel Schweiz entgegenzuwirken. Das hat auch funktioniert, die Preise sind gesunken. Nur darf man nun nicht ausser Acht lassen, dass dies sich natürlich direkt und massiv auf die Wertschöpfung auswirkt. Was nützt eine Steigerung der Übernachtungszahlen um zehn Prozent, wenn der Preis für eine Übernachtung um 30 Prozent gesunken ist? Am Schluss hat man dennoch weniger in der Kasse. Es wird viel zu stark auf Frequenzen und Auslastung geschaut, das grosse Gesamtbild aber gerne ausgeblendet. Was nicht nur bei den Frequenzen der Fall ist.

Wo sonst noch?

Man muss nicht Wirtschaft in St. Gallen studiert haben, um zu erkennen, dass wir ein äusserst ungesundes Verhältnis zwischen Sommer- und Wintertourismus haben. 80 Prozent des Geldes werden im Winter verdient, nur 20 Prozent während des Rests des Jahres. Das ist ein gewaltiges Klumpenrisiko und es zieht einen wahren Rattenschwanz an weiteren Problemen nach sich.

Die da wären?

Einerseits ist es so kaum möglich, einen Ganzjahresbetrieb aufrechtzuerhalten, der auch rentiert. Das hat zum Beispiel direkte Auswirkungen auf die Qualität. Die Betriebe müssen, weil sie im Sommer und erst recht in der Zwischensaison kaum etwas verdienen, das Personal entlassen. Gutes Personal findet schnell wieder einen neuen Job und kommt daher dann im nächsten Winter nicht wieder zurück. Man verliert aufgrund der Ausrichtung des Geschäftsmodells also immer wieder qualitativ gutes Personal, was sich natürlich negativ auswirkt. Dann ist es mit einem solch winterlastigen Modell kaum möglich, Kredite zurückzubezahlen oder gar neue aufzunehmen, da den Banken dieses Modell zunehmend als nicht zielführend erscheint, womit sie auch recht haben. Das heisst, dass es einen Investitionsstau in den Betrieben gibt. Auch das ist natürlich alles andere als optimal, wenn man neue Gäste gewinnen will. Und zu allem Unglück gereicht uns auch das Verhalten des Gastes nicht zum Vorteil.

Sie sprechen darauf an, dass die Leute spontaner und kürzer Ferien machen?

Ja. Durch das spontane Buchen über das Internet, bei dem auch gerne einmal nur eine Nacht oder nur ein paar Tage gebucht werden, entstehen natürlich weitaus höhere Kosten, als wenn ein Gast eine oder gar zwei Wochen bleibt. Schliesslich muss jedes Mal eine komplette Endreinigung der Zimmer durchgeführt werden. Das merkt man dann in der Kasse recht deutlich, ob man dies einmal pro Woche oder dreimal machen muss. In der Konsequenz bedeutet dies, dass wir eigentlich mit den Preisen raufgehen müssten, was natürlich nicht möglich ist.

Und wie sähe Ihre Lösung für dieses Dilemma aus?

Wir müssen schnell weg von diesem ungesunden Winter-Sommer-Verhältnis. Das heisst, den Winter auf dem aktuellen Niveau halten und im Sommer massiv zulegen.

Diese Idee wurde schon oft genannt, allerdings scheint die Umsetzung nicht so einfach zu sein.

So schwer wäre es aber eigentlich nicht. Auch hier beobachte ich zwei grundlegende Probleme. Einerseits sind die kleinen Destinationen. Für viel Geld wird hier ein mässig attraktives Skigebiet am Leben erhalten. Dies, weil man sich krampfhaft an den Glauben klammert, dass der Wintertourismus die Lösung ist. Dies steht der Entwicklung von Produkten und Angeboten für den Sommer im Weg. Vor allem weil man sich viel zu stark auf kostenintensive Infrastruktur konzentriert, anstatt Werte wie Natur und Kultur zu forcieren. Das ist eine völlig falsche Richtung. Dann muss sich das Wallis viel stärker im Erlebnistourismus engagieren. Das heisst, dass wir gerade im Sommer Angebote für grosse Gruppen, die vielleicht eine oder zwei Nächte bei uns bleiben, schaffen müssen. So wie es am Gornergrat oder auf dem Jungfraujoch gemacht wird. Die Wanderer, Bergsteiger und Biker im Sommer sind eine gute Basis; bei diesem Kundensegment einen Zuwachs zu generieren, ist allerdings schwer. Deshalb das Segment der Erlebnistouristen.

Aber Sie sagten doch, dass Gäste, die nur eine oder ein paar Nächte bleiben, ziemlich kostenintensiv sind.

Bei Individualtouristen ist dies auch so. Bei Gruppen sieht es aber etwas anders aus. Diese Leute haben ganz andere Ansprüche, zum Beispiel beim Essen. Man weiss, wann sie kommen, kennt die Zahl der Gäste, was sie essen und erspart sich so die Hälfte der Lohnkosten. Auch die Bergbahnen sind gebaut für Auslastung, daher sind Gruppen im Sommer sicher ein probates Mittel, um die Rentabilität zu steigern. Zudem ermöglichen es diese Gruppen, die ja gerne während der Zwischensaison kommen, ganzjährig offen zu haben und so zu verhindern, dass wir Personal entlassen müssen, was wie erwähnt ein grosses Problem ist. Allerdings darf man nicht den Fehler machen und den Individualtouristen vor den Kopf stossen. Ziegen und Kühe teilen sich ungern einen Stall. Das heisst, dass man Betriebe braucht, die auf das eine oder andere Gästesegment spezialisiert sind. Das alles hilft aber recht wenig, wenn das Marketing nicht stimmt.

Was stimmt daran denn nicht?

Ich beobachte, dass sich die Marketingbemühungen zunehmend auf die sozialen Medien und dergleichen konzentrieren. Die Mitarbeiter der Tourismusbüros hüten nur noch den Computer, kennen «ihr» Gebiet aber gar nicht mehr. Was aber bringt es, ein paar Bilder auf Facebook oder Instagram zu posten, was bei den meisten Menschen schlicht und ergreifend und im wahrsten Sinne durchrutscht? Wir brauchen wieder mehr Identifikation mit der Region, die man vermarkten will, und einen persönlichen und bleibenden Eindruck. Ich denke aber, dass sich die Vermarktungsorganisationen das Leben im Moment sehr leicht machen und das Gefühl haben, ein paar schöne Bilder im Netz zu posten und Mails zu schreiben sei genug. Es geht aber um Glaubwürdigkeit. Würden Sie jemandem glauben, der Ihnen die Aletschregion verkaufen will, aber noch nie einen Fuss in den Aletschwald gesetzt hat?

In rund einem Monat werden Sie 82 Jahre alt. Warum haben Sie immer noch das Bedürfnis, sich zu den touristischen Belangen des Wallis zu äussern? Sie könnten es doch auch ruhiger angehen lassen.

Ganz ehrlich, ich liebe die Bühne. Das rührt noch aus meiner Zeit in Amerika her. Damals musste ich mir einen Namen machen, um überleben zu können. Und so landete ich ja bekanntermassen im Showbusiness. Ich moderierte unzählige Shows und wie viele andere auch wurde ich süchtig danach. Eines Tages kommt jedoch der Moment, in dem man merkt, dass man alt geworden ist. In dem Moment kann man sich entweder zurücklehnen und die Dinge passieren lassen, oder man erinnert sich daran, warum man an dem Punkt steht, an dem man steht. Ich habe die zweite Variante gewählt. Und weil mir die Region Aletsch und das Wallis immer sehr am Herzen gelegen haben und es noch tun, äussere ich mich auch noch, wenn ich denke, dass es in eine falsche Richtung geht. Meine Mutter sagte immer: «Arthur, wenn dü en fiine Botsch wärsch, hengi dich d Liit eu gäru.» Zum Glück habe ich in diesem Punkt aber nie auf meine Mutter gehört (lacht).

Martin Meul

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Infos

Zur Person

Vorname Art
Name Furrer
Geburtsdatum 24. Februar 1937
Familie verheiratet, drei Kinder
Beruf Hotelier, Bergführer, Skilehrer
Hobbies Fotografie, Wandern, Reisen

Nachgehakt

Mit mir an der Spitze würde es in der Aletsch Arena besser laufen.

Ja

Der Klimawandel wird vom Tourismus unterschätzt

Ja

Ich werde das Matterhorn noch einmal besteigen

Joker
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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