Frontal | Rolf Hermann, Schriftsteller

«Ich will den Naturpark Pfyn-Finges bekannter machen»

Rolf Hermann: «Mit meinem neuen Werk betrete ich literarisches Neuland.»
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Rolf Hermann: «Mit meinem neuen Werk betrete ich literarisches Neuland.»
Foto: Aline Fournier

Rolf Hermann: «Wenn ich schreibe, lese ich die Texte immer laut vor.»
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Rolf Hermann: «Wenn ich schreibe, lese ich die Texte immer laut vor.»
Foto: Valérie Giger

Quelle: RZ 0

Der Schriftsteller Rolf Hermann (45) ist neuer Botschafter des Naturparks Pfyn-Finges. Im Frontalinterview spricht er über seine Anliegen und über sein neustes Werk «Flüchtiges Zuhause».

Rolf Hermann, Sie pendeln gewissermassen zwischen zwei Welten, leben als freier Schriftsteller in Biel, sind aber bei Ihren Vorlesungen auch oft im Wallis anzutreffen. Wo ist Ihr eigentliches Zuhause?
Ich bin in diesem Sommer fünfundvierzig geworden und habe zu meiner eigenen Überraschung festgestellt, dass ich nun praktisch die Hälfte meines Lebens ausserhalb des Wallis verbracht habe. Zunächst in den USA, dann in Bern und nun lebe ich seit einer Weile mit meiner Familie in Biel. Immer wieder kehre ich auch ins Wallis zurück, wo viele liebe Menschen zu Hause sind. Und wenn ich mir dann jene Dinge anschaue, die mir seit meiner Kindheit vertraut sind – ein Berg, eine Tankstelle, eine Wiese, eine Brücke, eine Scheune –, so stellen sich unzählige Erinnerungen ein, die irgendwann vielleicht den Weg in ein Buch finden. Überhaupt stelle ich je länger, je mehr fest, dass ich mich an mehreren Orten zu Hause fühle, ja dass sogar das Pendeln zwischen Biel und Wallis, zwischen Schreib- und Erinnerungsort eine Art Zuhause sein kann.

Sie wohnen seit mehr als zehn Jahren in Biel. Bekommt man in der Ausserschweiz einen etwas anderen, differenzierten Blick aufs Wallis?
Mit der räumlichen Distanz verändert sich auch der Blick auf die Dinge, die wir als selbstverständlich betrachten. Zum ersten Mal habe ich das erlebt, als ich als junger Mann nach Amerika ging. Ich hatte den Sommer über als Schafhirt im Nanztal gearbeitet und kaum war der Alpsommer vorbei, befand ich mich im Flugzeug nach Iowa und musste mich dort neu orientieren. Das bedeutete auch, dass ich mich mit mir selber und mit meiner Herkunft auseinandersetzte. Und das Erstaunliche dabei war, dass manche Verhaltensmuster, die ich mir im Wallis automatisch angeeignet hatte, zum Beispiel der Händedruck bei einer Begrüssung oder das abwechselnde Bezahlen einer Getränkerunde in einer Beiz, plötzlich hell und warm zu leuchten begannen. In dem Sinn würde ich nicht behaupten, dass ich aufgrund meines Lebens in Biel einen differenzierteren Blick aufs Wallis habe als jemand, der hin und wieder aufbricht, weggeht und sich ähnliche Fragen stellt wie ich damals in Iowa.

In Ihrem neusten Werk mit dem sinnigen Titel «Flüchtiges Zuhause», das in diesen Tagen erscheint, blicken Sie auf Kindheits- und Jugendjahre in einem Tal zurück, um das himmelhoch die Berge stehen. Erkennen Sie sich darin wieder?
Alle Geschichten, die in «Flüchtiges Zuhause» enthalten sind, gehen von meinen Erinnerungen aus. Manchmal war da zu Beginn nur ein Bild – eine Fahrt mit dem Subaru durch einen Tunnel im Winter, das Stillstehen eines Regionalzuges in einem kleinen Bahnhof, der Dunst, der über der Rhone schwebt – und sofort tauchten weitere Bilder und Szenen auf, bis sich so etwas wie das Zentrum einer möglichen Erzählung aus den Erinnerungsfetzen herausschälte. Und um dieses Zentrum herum komponiere ich dann eine Geschichte, die ihr ganz konkretes Eigenleben erhält. Im Prozess des Schreibens mache ich dabei eine paradoxe Erfahrung: Je mehr ich mich auflöse, desto anwesender werde ich. Immer in der Hoffnung, dass sich möglichst viele Leserinnen und Leser in meinen Geschichten wiedererkennen.

Sie haben verschiedene Bücher geschrieben. Wo würden Sie Ihr neustes Werk einordnen?
Nach drei Gedichtbänden und «Das Leben ist ein Steilhang», einem Buch mit für die Bühne geschriebenen Texten auf Walliser- und Hochdeutsch, nähere ich mich nun in «Flüchtiges Zuhause» in Form von klassischen Erzählungen einer Kindheit und Jugend im Wallis. Ich betrete also literarisches Neuland.

Sie wurden schon mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?Jede Auszeichnung, die ich erfahren durfte, hat mich enorm gefreut. Ich habe sie als Zeichen der Wertschätzung meiner Arbeit verstanden. So was macht Mut, mit dem eigenen Schreiben fortzufahren. Eine der ersten Auszeichnungen, die ich erhalten habe, war der Kulturförderpreis des Kantons Wallis. Das war für mich von grosser Bedeutung. Ich erinnere mich, wie ich sofort eine Flasche Dôle entkorkte, mit meinen Liebsten anstiess und mir vornahm, schon in der darauffolgenden Woche mein nächstes Buch fertigzustellen. Ganz so schnell ging es dann freilich nicht.

Sie stehen für Bühnenkunst, Literatur, sind Erzähler und Dichter. In dieser Reihenfolge?
Ich mache da keine Reihenfolge und keine Unterscheidungen. Wenn ich schreibe, lese ich mir die Texte immer laut vor. Sie sind also schon im Entstehen darauf angelegt, irgendwann vorgelesen zu werden. Ob als Erzählungen, als Gedichte oder als Texte auf Walliserdeutsch. Zu schreiben, ohne die Texte mit einem Publikum zu teilen, ist für mich unvorstellbar. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und für kurze Zeit Teil eines intimen Moments zu sein, in dem die Stimme eines Einzelnen die Welt neu erschafft.

Was liegt Ihnen näher, die hochdeutsche Sprache oder die Walliser Mundart?
Ob der Text auf Walliser- oder auf Hochdeutsch entsteht, ist bereits entschieden, bevor ich zu schreiben beginne. Es gibt da einen Klang, den ich wahrnehme, und dem folge ich. Und weil es sowohl in den hochdeutschen als auch in den walliserdeutschen Texten darum geht, eine Kunstsprache zu finden, also eine Sprache, die etwas darzustellen versucht, das auch für andere von Bedeutung ist, kommt mir in der Spracharbeit zuweilen beides – das Hochdeutsche und das Walliserdeutsche – unheimlich fern und dann auch wieder unheimlich nah vor.

Manfred Papst hat anlässlich Ihrer Verleihung des Kulturpreises der Stadt Biel gesagt, dass alles Schreiben aus der Einsamkeit kommt. Macht Schreiben einsam?
Für mein Schreiben benötige ich einen Rückzugsort, einen Ort der Stille, der es mir erlaubt, mich voll und ganz auf die Sprache zu konzentrieren. Der Akt des Schreibens kann für mich also nur in der Einsamkeit passieren. Das heisst aber nicht, dass das Schreiben einsam macht. Im Gegenteil: Sobald die Texte so weit sind, dass ich sie mit meiner Frau oder einem guten Freund besprechen kann, oder sie – in einer späteren Phase – als Buch erscheinen, sie vorgelesen, diskutiert werden, ist man als Autor im intensiven Austausch mit anderen.

Woher holen Sie Ihre Ideen und Inspiration für Ihre Geschichten?
Ideen finde ich überall. Ein Satz, den ich in einem Kiosk höre, eine Erinnerung, die sich in meinem Inneren herauskristallisiert, ein Artikel oder ein Leserbrief im «Walliser Boten» etwa, eine Fernsehsendung über Unkraut, die ich mir anschaue: Alles ist Material. Und ich kann es mir anverwandeln.

Sie lesen heute Abend beim Naturpark Pfyn-Finges aus Ihrem neusten Werk. Ist es für Sie eine Art Heimkommen?
Mir kommt es fast so vor, als ob es vor allem für den Erzählband «Flüchtiges Zuhause» eine Art Heimkommen ist.

Sie werben als neuer Botschafter für den Naturpark Pfyn-Finges. Wie kam es dazu?
Der Naturpark Pfyn-Finges hat mich im Frühsommer angefragt, ob ich Botschafter sein möchte, und ich habe mit Freude eingewilligt. Denn dass ich dem Raum meiner Kindheit und Jugend nicht nur durch mein Schreiben, sondern nun für eine Weile auch als Botschafter verbunden bin, bedeutet mir viel.

Was sind Ihre Anliegen?
Mein wichtigstes Anliegen ist es, den Naturpark noch bekannter zu machen. So werde ich zum Beispiel an Lesungen die Literaturveranstalter bitten, speziell darauf hinzuweisen, dass ich zurzeit auch zusätzlich zum Autor auch als Botschafter einer Region da bin, die es zu besuchen lohnt.

Wie gut kennen Sie den Naturpark?
Mir ist der Naturpark sehr vertraut, bin ich ja in ihm aufgewachsen. Ich habe die Dorfdiscos in Erschmatt, Feschel, Leuk, Salgesch, Susten und Varen besucht, bin oft im Pfynwald spazieren gegangen. Meine Eltern kommen aus Albinen. Meine erste Freundin lebte in Siders. Im Winter bin ich über die Pisten der Torrentalp gerauscht. Wenn es aus Kübeln goss, stand ich staunend am Rand des Illgrabens – und vieles, vieles mehr.

Wie sehen Sie die Verankerung des Naturparks in der Bevölkerung? Braucht es Nachhilfe, um die Menschen in der Region zu sensibilisieren?
Nachhilfe braucht es meines Erachtens keine. Ich kenne viele Leute, die die Arbeit des Naturparks schätzen und vom breiten Angebot, das der Naturpark zur Verfügung stellt, profitieren. Seien das nun Wanderungen unter fachkundiger Führung, kulturelle Anlässe, bei denen sich die einheimische Bevölkerung einbringen kann, die Promotion lokaler Produkte – um hier nur eine winzige Auswahl zu nennen. Auch finde ich, dass gerade die Absicht, sogenannte enkeltaugliche Projekte umzusetzen, also Projekte, die auch für unsere Enkel dereinst sinnstiftend sein können, seitens der Bevölkerung auf viel Begeisterung trifft. Das sind Anliegen, für die ich mich gerne einsetze.

In Ihren Werken liest man auch Texte über den Naturpark…
In «Das Leben ist ein Steilhang» gibt es eine Reihe von Texten, die im Naturpark spielen. Beispielsweise wird darin ein Schafhirt aus Unterems von einem Kuhhirten aus Oberems als «Främdä» beschimpft. Oder ein Mann, der Angst hat, seine Ferien auf Mallorca zu verbringen, geht aus Protest in die Western-Bar in Gampel und flippert wild drauflos. Doch auch im neuen Erzählband «Flüchtiges Zuhause» ist der Naturpark vertreten. Und das nicht nur in Form von Föhren.
(Das Interview wurde schriftlich geführt.)

Walter Bellwald

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Infos

Vorname Rolf
Name Hermann
Geburtsdatum 3. Juli 1973
Familie verheiratet, drei Kinder
Beruf Schriftsteller
Funktion Botschafter des Naturparks Pfyn-Finges
Hobbies Spazieren, Skifahren, Musikhören
«Flüchtiges Zuhause» ist mein bestes Werk.  Joker
Der Naturpark Pfyn-Finges bekommt zu wenig Wertschätzung.  Nein
Das Wallis ist eine literarische Wundertüte. Ja
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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