Frontal | Helga Hreinsdottir über ihre Heimat
«Ich vermisse die richtige isländische Badekultur»
Sie ist Betriebsleiterin des Visper Schwimmbads und Campings Mühleye und gelernte Schwimm- und Sportlehrerin. Helga Hreinsdottir (41) über ihre Heimat Island, ihre Vergangenheit als Fussballerin und ihr Leben im Oberwallis.
Frau Hreinsdottir, was führt Sie in die Schweiz?
Da muss ich etwas ausholen. Nach meinem Sportstudium in Island habe ich fünf Jahre Sport unterrichtet. Dann ging ich nach Norwegen und anschliessend nach Deutschland, wo ich mich im Bereich Wassertherapie weiterbildete. Danach wollte ich aber nicht sofort nach Hause und schaute mich nach einer Stelle um und landete schliesslich in Leukerbad. Das war ideal, weil so konnte ich meine Leidenschaft für das Wasser ausleben, Ski fahren und die Berge geniessen. Dort habe ich dann auch meinen Mann kennengelernt, welcher ebenfalls dort arbeitete und aus Deutschland stammt. Gewohnt habe ich in Leukerbad und dann in Albinen. Seither bin ich hier.
Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch und verstehen auch Dialekt. Wie kommt das?
Mit 16 war ich für ein Austauschjahr in Deutschland und lebte fast ein Jahr dort. Deutsch ist in Island auch Schulfach. Zudem ist Isländisch dem Altgermanischen sehr ähnlich. Und während meiner vierjährigen Tätigkeit in Leukerbad sprach ich viel Deutsch. Wobei ich Walliserdeutsch zwar verstehe, aber wenn ich sicher sein will, alles richtig zu interpretieren, ist mir Hochdeutsch lieber.
Sie führen seit zwei Jahren den Camping und das Schwimmbad Mühleye und damit ein Team von zehn Mitarbeitenden. Wie sind Sie das geworden?
Von Leukerbad wechselte ich dann hier nach Visp und arbeitete als Bademeisterin und Schwimmlehrerin. Durch einen Wechsel in der Führung wurde mir vor zwei Jahren die Stelle als Betriebsleiterin angeboten. Diese Aufgabe habe ich dann gerne angenommen und bin so quasi hineingerutscht.
Wie wurden Sie als «Auswärtige» als Chefin akzeptiert?
Damit habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht und bin eigentlich nie angeeckt.
Wie streng sind Sie?
(lacht) Nicht so streng. Ich habe zwar meine Linie und gebe auch klare Vorgaben, welche die Mitarbeiter zu respektieren haben. Aber innerhalb dieser Linien können sie machen, wie sie wollen. Ich darf auch sagen, dass ich super Mitarbeiter habe.
Sie arbeiten in Visp und wohnen in Jeizinen. Wie kommt das?
Als Isländerin bin ich sehr naturverbunden, wie die Oberwalliser auch. Mein Mann arbeitet dort im Winter bei den Bahnen und im Sommer auf einem Bauernbetrieb. Dort oben haben wir unsere Ruhe, sind in der Natur und können viel mit unserem Border Collie «Anton» unternehmen.
Man hört, Ihr Hund fahre Ski?
(lacht) Das werde ich oft gefragt. Ehrlich gesagt fährt er nicht, sondern läuft neben mir her. Aber das klappt ganz gut.
Man spürt, Sie sind sehr naturverbunden. Wie erleben Sie diesbezüglich die Oberwalliser. Gibt es Parallelen?
Absolut. Die Natur und die Berge waren ja auch mit ein Grund, warum ich in die Schweiz kam. Ich spüre hier die grosse Naturverbundenheit und den Respekt gegenüber der Umwelt. Zudem sind beide immer wieder mit Naturereignissen konfrontiert. Dann geht es hier auch eher gemächlich zu und her. Ich glaube, die Isländer und die Oberwalliser sind sich sehr ähnlich. Die isländische Naturverbundenheit widerspiegelt sich zudem auch in der Nationalflagge mit den Farben Blau, Weiss und Rot. Blau für Wasser, Weiss für Eis und Schnee und Rot für Vulkane und Feuer.
«Die Oberwalliser sind genauso naturverbunden wie die Isländer»
Gibt es auch Unterschiede?
Ja sicher. Erstens ist die Schweiz viel kleiner und gleichzeitig aber auch viel stärker besiedelt. In Island, mit rund 330 000 Einwohnern kann es sein, dass man während einer mehrstündigen Autofahrt praktisch niemand zu Gesicht bekommt. Dann gibt es auch Unterschiede, was den Umgang mit Wasser angeht. Das Wallis ist zwar eine Wasserregion, aber so richtiges isländisches Wasser und die entsprechende Badekultur vermisse ich halt schon.
Erklären Sie uns diese…
In Island können eigentlich alle schwimmen. Damit wächst man auf und es ist auch Pflicht. Da wir eine Insel sind, hat das auch mit der Sicherheit zu tun. Dann gibt es in praktisch jeder isländischen Ortschaft nebst einer Schule und einer Kirche ein Bad. Dort trifft man sich und tauscht sich aus, auch werden soziale Kontakte geknüpft und gepflegt. In den Bädern ist natürliches, qualitativ hochstehendes Thermalwasser und in den einzelnen Becken hat es verschiedene Temperaturen, in welchen dann abwechslungsweise gebadet wird. Die richtigen warmen Quellen unter freiem Himmel, das vermisse ich hier.
Einen weiteren, eher amüsanten Unterschied gibt es doch auch, was die Zusammensetzung der Familiennamen angeht?
Oh ja, klar. Das ist eine isländische Eigenheit. Der Vorname meines Vaters ist Hrein, und ich bin seine Tochter. Darum mein Nachname Hreinsdottir. Wäre ich ein Junge geworden, so würde ich Hreinsson heissen. Bei einer Eheschliessung verändert sich der Name nicht. Ich bleibe ja immer Hreins Tochter.
Apropos Eheschliessung und Namen. Stimmt es, dass in Island aufgrund der überschaubaren Einwohnerzahl vor einer Heirat vorgängig eine allfällige Verwandtschaft überprüft wird? Oder ist das ein Gerücht?
(lacht) Pflicht ist das nicht. Aber es gibt tatsächlich eine Datenbank, in welcher eine allfällige Verwandtschaft aufgrund des Namens und dessen Herkunft überprüft werden kann.
«Wir haben zu zweit einen ‹Islandclub› gegründet»
Werfen wir einen Blick auf Ihre Vergangenheit. In Island spielten Sie früher aktiv Fussball. Einmal war Ihr Trainer sogar Heimir Hallgrimsson (Anm. der Red. – Hallgrimsson ist der aktuelle Co.-Trainer Islands und coachte das Team an der EM in Frankreich.) Wie erlebten Sie diese Zeit?
Fussball hat in Island einen sehr hohen Stellenwert. Bei uns war das damals nicht anders. Als Heimir unsere Mannschaft übernahm, spielten wir in der 2. Frauenliga. Mit ihm stiegen wir innerhalb einer Saison auf. Er ist ein hervorragender Trainer, welcher es verstand, aus jeder Einzelnen das Beste herauszuholen. Das war eine tolle Zeit. Übrigens, er ist gelernter Zahnarzt, und damals trainierte er uns im Nebenamt.
Stehen Sie noch im Kontakt mit ihm?
Nein. Das ist zu lange her.
Bleiben wir beim Fussball. Wie erlebten Sie Island an der EM?
Das war fantastisch. Der Erfolg mit der Viertelfinalqualifikation ist aber kein Zufall. In Island haben wir mit ganzjährig betriebenen Fussballhallen eine hervorragende Infrastruktur. Hinzu kommen die grosse Kämpfermentalität, ausgezeichnete Trainer und das Zusammengehörigkeitsgefühl, welches uns stark macht. Ich denke, dass die Erfolge an der EM uns Isländer wieder zusammengeschweisst haben. Nach der Bankenkrise, welche uns sehr stark getroffen hat, driftete unsere Gesellschaft auseinander. Jetzt, so habe ich den Eindruck, stehen wir wieder mehr zueinander. Sinnbildlich für das «Wir-Gefühl» stand meiner Ansicht nach auch der mittlerweile europaweit bekannte Schlachtruf «Huh!».
«Soziale Kontakte unterhalten die Isländer beim Baden»
Sie sprechen das Zusammengehörigkeitsgefühl der Isländer untereinander an. Sie aber leben hier im Oberwallis. Sind Ihnen weitere hier ansässige Landsleute bekannt?
Aufgrund der schon angesprochenen kleinen Einwohnerzahl ist es schon fast logisch, dass wir nicht gerade «weit verbreitet» sind. Trotzdem habe ich eine Isländerin kennengelernt, welche in Sitten wohnt. Zusammen haben wir einen inoffiziellen «Islandclub» gegründet. (lacht herzlich) Aber man trifft im Ausland schon nicht so oft auf Landsleute.
Hatten Sie schon einmal isländische Gäste in Visp?
Ob man es glaubt oder nicht, ja. Auf dem Campingplatz übernachteten welche. Ich war aber nicht der Grund, weshalb sie hierherkamen. Sie erfuhren erst bei der vorgängigen Reservation und dem Mailkontakt anhand meines Namens von meiner Herkunft.
Ihre Geschwister und Eltern sind in Island. Wie halten Sie Kontakt?
Wir unterhalten regen Kontakt. Ist ja in der heutigen Zeit kein Problem mehr. Dann besucht man sich gegenseitig. Ich fliege im Schnitt einmal pro Jahr hin und komme aber wieder gerne zurück.
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