Frontal | Saas-Fee
«Ich mache jeden Tag noch einen Rundgang durchs Dorf»
Arnold Andenmatten (92) gewann 1948 bei den Olympischen Winterspielen in St. Moritz mit der Schweizer Mannschaft den Militärpatrouillenlauf. Auch heute noch ist der rüstige Rentner jeden Tag im Gletscherdorf unterwegs.
Herr Andenmatten, am 23. August feiern Sie Ihren 93. Geburtstag. Wie geht es Ihnen?
Mir geht es dem Alter entsprechend gut und ich mache noch jeden Nachmittag meinen Rundgang durchs Dorf. Ungefähr drei Kilometer pro Tag. Und im Winter gehe ich noch regelmässig Ski fahren.
Mit 93 Jahren gehen Sie noch Ski fahren? Respekt!
Ich wage mich schon nicht mehr auf steile Pisten. Aber im flachen Gelände drehe ich immer noch meine Kurven. Das ist eine gute körperliche Ertüchtigung.
Drehen wir das Rad der Zeit ein bisschen zurück: Sie sind in Saas-Fee aufgewachsen und hier zur Schule gegangen. Waren Sie ein guter Schüler?
Nein, ich war kein guter Schüler. Aber später hatte ich die Möglichkeit, die Sprachen zu lernen und das ging mir «ring» von der Hand. Dazu kam eigens eine Lehrerin zu uns nach Hause, die meine Mutter engagiert hatte. Von dieser Sprachausbildung konnte ich später als Bergführer und Skilehrer sehr viel profitieren.
Sie waren eine grosse Familie und lebten von der Landwirtschaft. Mussten Sie daheim auch mithelfen?
Natürlich. Wir mussten alle mitanpacken. Der Vater starb früh an einer Lungenentzündung und darum mussten wir der Mutter zur Hand gehen. Alle Familien im Dorf lebten von der Landwirtschaft und hatten Kühe. Sogar der Pfarrer. Jeweils im Frühling haben wir ein paar Schafe gekauft. Auch ein paar Ferkel haben wir am April-Markt in Visp gekauft. Die haben wir dann im Sommer gemästet und im Herbst geschlachtet.
Nach und nach kam auch der Wintertourismus in Schwung. Wann sind Sie zum ersten Mal auf Skiern gestanden?
Als ich noch in der Primarschule war, hat die Gemeinde von einer Skifabrik mehrere Paar Ski bekommen. Dann konnte jede Schülerin und jeder Schüler ein Paar Ski holen, die wir dann im Frühjahr wieder abgeben mussten. Wir waren daheim neun Kinder und meine Eltern hatten kein Geld, um uns Ski zu kaufen. Darum waren wir froh, dass wir das Angebot der Gemeinde annehmen konnten.
«Meine Eltern hatten kein Geld, um Ski zu kaufen»
Nach der Schule haben Sie die Ausbildung zum Bergführer und Skilehrer in Angriff genommen.
Einerseits war ich sehr naturverbunden und andererseits wollte ich baldmöglichst etwas verdienen. Darum habe ich diese Berufe gewählt. Den Sommer über hatten wir genug Arbeit und konnten die vorwiegend englischen Gäste auf die Berge führen. Der Wintertourismus hingegen war noch in den Kinderschuhen.
Darum bin ich fortgegangen und habe acht Jahre lang in Davos als Skilehrer unterrichtet.
Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Davos war für damalige Verhältnisse eine grosse touristische Station. Die Städter aus dem Zürcher Unterland kamen in Scharen nach Davos, um ihren Winterurlaub in den Bergen zu verbringen. Auch viele englische Touristen waren im Bündnerland, das heisst, wir konnten nicht nur unsere sportlichen Qualitäten testen, sondern auch unsere sprachlichen.
Hatten Sie nie Heimweh nach dem Saastal?
Nein, wir waren ein paar Kollegen, die in Davos als Skilehrer unterrichteten. Zudem hatten wir viel zu tun, da blieb keine Zeit für Heimweh.
Nach der Wintersaison sind Sie wieder zurückgekommen und haben den Sommer über als Bergführer gearbeitet?
Wir hatten alle Hände voll zu tun und haben viele Alpinisten auf die Berge geführt. Im Sommer hatten wir damals mehr Touristen als im Winter.
Wie sind Sie zum Militärpatrouillenlauf gekommen?
Ich habe meinen Militärdienst unter Offizier Robert Zurbriggen geleistet. Er kam wie ich aus Saas-Fee und hat unsere Truppe motiviert, am Militärpatrouillenlauf mitzumachen. Wir haben aber nicht nur an militärischen Wettkämpfen teilgenommen, sondern auch an zivilen Sportveranstaltungen.
«Wir haben die starken Skandinavier auf die Ehrenplätze verwiesen»
Der Militärpatrouillenlauf ist vergleichbar mit dem heutigen Biathlon...
Genau. Der Wettkampf bestand aus Langlauf und Schiessen.
Waren Sie ein besserer Läufer oder haben Sie besser geschossen?
Sowohl als auch. Ich war ein guter Läufer und habe auch nicht schlecht geschossen. Beim Schiessen haben wir jeweils auf Tafeln aus 150 Metern Entfernung geschossen. Wenn man die Tafel nicht getroffen hatte, bekam man einen zeitlichen Zuschlag.
Bei den Olmypischen Winterspielen in St. Moritz haben Sie 1948 im Militärpatrouillenlauf die Olympische Goldmedaille gewonnen. Wie haben Sie sich für den Wettkampf qualifiziert?
Wir mussten mehrere Ausscheidungen bestreiten, um uns für die Olympiastaffel zu qualifizieren. Die Voraussetzung war, dass alle vier Läufer aus der gleichen Einheit kamen. Wir hatten eine starke Konkurrenz aus dem Bündnerland und dem Berner Oberland. Aber unsere Staffel hat sich ideal ergänzt und dadurch haben wir uns für die Olympischen Spiele qualifiziert.
Die Ausrüstung von damals ist nicht vergleichbar mit den Rennanzügen und Skiern von heute…
Wir waren damals bei den Rennen auf Holzskiern unterwegs. Aber: Wir hatten bereits Anzüge, aus einem sehr leichten Stoff. Das war für uns natürlich etwas Spezielles.
Erinnern Sie sich noch an das Rennen?
Ich weiss nicht mehr genau, welche Runde ich gelaufen bin. Ich weiss nur, dass die Skandinavier unsere grössten Konkurrenten waren. Schliesslich konnten wir uns aber in einem spannenden Rennen durchsetzen und gewinnen. Mit Robert Zurbriggen und Heinrich Zurbriggen sind noch zwei weitere Saaser in meiner Mannschaft mitgelaufen.
Obwohl Sie eine starke Patrouille hatten, rechnete niemand mit dem Erfolg. Kam der Olympiasieg auch für Sie überraschend?
Natürlich. Die Mannschaften aus Finnland und Schweden waren auf dem Papier viel stärker einzustufen als unsere Staffel. Umso schöner war es, dass wir die starken Skandinavier auf die Ehrenplätze verweisen konnten.
Wie haben Sie den Erfolg gefeiert?
So weit ich mich erinnere, fiel die Feier recht bescheiden aus. Wir haben uns also nicht die Nacht um die Ohren geschlagen. Stattdessen haben wir im kleinen Rahmen mit einem Glas Rotwein auf den Erfolg angestossen. Aber natürlich hatten wir eine grosse Genugtuung und Zufriedenheit, mit dem Olympiasieg heimzukehren.
Gab es einen grossen Empfang für Sie und Ihre Kollegen im Saastal?
Als wir von St. Moritz zurückgekommen sind, mussten wir noch einen Teil der Strasse von Saas-Balen bis Saas-Fee zu Fuss herauflaufen. Als wir dann endlich im Dorf angekommen sind, hat die Musik auf dem Kirchplatz aufgespielt. Das ganze Dorf war auf den Beinen und viele Schaulustige hatten sich eingefunden, um dem Empfang beizuwohnen. Wir hatten eine Riesenfreude.
Sie waren nicht nur ein guter Langläufer, sondern auch ein guter Skifahrer?
Das ist so. Aber nicht nur ich, auch meine Kollegen waren gute Skifahrer. Das wiederum hatte den Vorteil, dass wir auch auf Langlaufskiern gut abfahren konnten. Das gab letztendlich auch den Ausschlag, warum wir beim Olympiarennen in St. Moritz die Nase vorn hatten.
Verfolgen Sie heute auch die Biathlon-Rennen am Fernsehen?
Weniger. Wenn ich mir Wintersport anschaue, dann sind es mehr die alpinen Rennen, die mich interessieren.
«Beim Empfang auf dem Kirchplatz hat die Musik aufgespielt»
Während früher auch im Saastal viel dem Langlaufsport gefrönt wurde, setzen die Jugendlichen heute fast nur noch auf den alpinen Skirennsport. Bedauern Sie das?
Ich finde es schade, dass die Jungen vorwiegend Ski fahren. Denn auch der Langlaufsport hat seinen Reiz. Aber die Infrastruktur ist im Saastal halt vor allem auf den alpinen Sport ausgerichtet.
Ein Wort noch zum Tourismus im Saastal. Wie haben Sie die touristische Entwicklung erlebt?
Allein von der Infrastruktur und vom Angebot her hat eine enorme Entwicklung stattgefunden. Allerdings habe ich den Eindruck, dass früher mehr Leute auf die Berge wollten. Darum gibt es auch immer weniger Bergführer.
Am 23. August feiern Sie Ihren 93. Geburtstag. Was wünschen Sie sich?
Mit 93 Jahren habe ich keine speziellen Wünsche mehr. Ich nehme einen Tag nach dem anderen. Meinen Geburtstag werde ich im kleinen Rahmen feiern.
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