Binn | Bernhard Goebel ist Alpsenn auf der Binneralp

«Ich mache den Käsekeller zum Hörsaal»

Bernhard Goebel: «Die Walliser  Alpen habe ich lieb gewonnen.»
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Bernhard Goebel: «Die Walliser Alpen habe ich lieb gewonnen.»
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Bernhard Goebel (48) kommt aus Hamburg, im Sommer ist er aber als Alpsenn auf der Binneralp tätig. Letztes Jahr wurde er für seinen Alpkäse sogar ausgezeichnet. Goebel über das vermeintlich idyllische Leben am Berg und den Umgang mit heiklen Situationen.

Bernhard Goebel, wie gefällt es Ihnen im Wallis?

Ich finde es ganz toll im Wallis. Es ist eine sehr gute Ergänzung zu meinem Leben in Hamburg, im Flachland, am Wasser, nah am Meer. Im Sommer in die Berge zu kommen ist eine sehr schöne Bereicherung und Abwechslung für mich – ein gegensätzliches Leben zwar, das sich aber sehr gut ergänzt. Das möchte ich nicht missen.

Und was gefällt Ihnen an Hamburg?

Die Kultur, das Stadtleben, ins Kino und Theater gehen zu können oder zu Konzerten. Ich mache auch selbst Musik. Ich koste gern alles aus, wozu ich die Möglichkeiten habe.

Jetzt sind Sie hier auf der Binneralp. Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Ich stehe morgens um 5.00 Uhr auf und fange eine halbe Stunde später an zu arbeiten. Zuerst nehmen wir den am Vortag hergestellten Käse aus der Presse, dann wird er gewogen und gesalzen. Dann beginnt für einen von uns zwei Käsern die Käsepflege im Keller, während der andere mit der Käseproduktion beginnt. Bis wir mit den zwei Produktionen, die wir momentan täglich machen, fertig sind, wird es vielleicht 15.00 Uhr. Dann muss noch alles abgewaschen und versorgt werden, sofern wir nicht noch Ziger oder Butter machen müssen. Bis zum Ende des Sommers werden wir etwa 20 Tonnen Käse gemacht
haben.

Was hat Sie bewogen, auf die Alp zu gehen?

Ich bin vor 19 Jahren mit meinem Bruder, der Landwirt ist, sechs Wochen auf die Alp gegangen, damals noch als Zu-Senn (Hilfskäser, Anm. der Redaktion). Das zweite Jahr war ich dann auf einer Alp in Graubünden. Im dritten Jahr habe ich den Sennen-Kurs besucht und habe gelernt, selber Käse zu machen. Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich das mal so lange machen
würde.

Was mögen Sie an dieser Arbeit?

Ich mag es, den gesamten handwerklichen Prozess zu machen, von der Milchannahme bis hin zum fertigen Käse. Dass ich als ausgebildeter Erzieher auch handwerklich arbeiten kann, wusste ich vorher nicht. Im Käsekeller kommt hinzu, dass man da viel Zeit zum Nachdenken hat. Ich habe für mich sogar die Möglichkeit gefunden, den Käsekeller zu einem Hörsaal zu machen, wo ich Bücher und Romane hören kann, aber auch Musik, oder Bücher, um Englisch zu lernen. Das ist eine Art des Studierens, die für mich sehr interessant ist. Man ist zwar nicht so konzentriert auf den Text und die Inhalte, aber man ist aktiv und in Bewegung und hat so vielleicht noch eine stärkere Aufmerksamkeit, als wenn man am Schreibtisch einen Text analysiert. Ich finde es auch toll, Teil einer Landwirtschaft zu sein, die schon lange existiert und diese schöne Kulturlandschaft, den Natur- und Landschaftspark Binntal, mit all seiner Vielfalt erhält. Auch das habe ich von der Alp gelernt: dass Menschen, die in einer solchen Landwirtschaft tätig sind, der Natur mindestens genauso viel zurückgeben, wie sie von ihr nehmen. Und dazu kann ich sogar ein bisschen beitragen. Weg von der Industrialisierung, weg von der Massentierhaltung, hin zu einer Landwirtschaft, in der Kühe keine Hochleistungstiere sind und nicht viel Antibiotika brauchen.

Sie waren schon auf verschiedenen Alpen, seit vier Jahren sind Sie nun auf der Binneralp. Wie unterscheiden sich die einzelnen Alpen, auf denen Sie gearbeitet haben?

Walliser Alpen habe ich lieb gewonnen, weil es sehr sonnig, warm und mediterran ist – und im Vergleich zu Graubünden, wo es eher mal regnerisch sein kann, auch trockener. Bevor ich auf die Binneralp gekommen bin, war ich fünf Sommer lang auf der Alp Vispernanz bei Visperterminen. Die Alp im Binntal ist aber viel grösser, hat seit letztem Jahr sogar eine kleine Beiz. Es arbeiten auch mehr Menschen hier und es ist viel los.

Sie sind auf diese Alp gekommen, weil Not am Mann war?

Das ist richtig, ich bin über das Alpofon (eine Notfall-Telefonnummer für Alppersonal, Anm. der Redaktion) auf diese Alp vermittelt worden, nachdem davor ein Team hier war, das offenbar überfordert war.

Beneiden Sie Ihre Freunde, die ans Meer gehen, die Sonne geniessen und baden, während Sie den Sommer auf der Alp verbringen?

Da ich von Hamburg her einen weiten Weg habe, kann ich während der Anreise Halte einlegen. Ich habe mir vorher ungefähr zwei Wochen frei genommen, um Freunde zu besuchen, und ich kann in dieser Zeit auch ans Meer fahren. Wenn Mitte September die Alp zu Ende ist, habe ich wieder die Möglichkeit, zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Je nachdem, mit wem man zusammenarbeitet, kann man auch auf der Alp mal einen Tag frei nehmen und wandern. Das geht vor allem in der Anfangszeit, bevor die Kühe kommen.

Letztes Jahr haben Sie mit dem Alpkäse sogar Gold gewonnen. Spüren Sie einen gewissen Druck, diese Leistung zu wiederholen?

Am Anfang habe ich diesen Druck tatsächlich gespürt oder mir sogar selbst gemacht. Es war letztes Jahr so, dass ich nach fünf Jahren das erste Mal wieder hauptverantwortlich Käse gemacht habe. Ich kenne das von mir selbst, dass ich mir zu viele Gedanken mache, sehe dann aber auch schnell, dass aus dem Produkt etwas wird und sich der Käse gut anfühlt. So gewinne ich wieder Selbstvertrauen und Sicherheit.

Haben Sie auch schon heikle Situationen erlebt?

Heikle Situationen entstehen meiner Erfahrung nach nur, wenn man arbeitet und arbeitet und hinter der Arbeit herrennt, nicht fertig wird und immer erschöpfter wird. Man wird konfuser, macht Fehler, vielleicht sogar noch mehr Fehler. Dann muss man langsamer arbeiten, um den Überblick zu bewahren. Eine heikle Situation habe ich mal erlebt, als ein Rührwerk ausgefallen ist – das war allerdings noch auf einer anderen Alp. Dann merkt man aber, dass es auch mal ohne Rührwerk geht, obschon man von Hand rühren muss, während alle anderen Arbeiten nebenher auch noch getan werden müssen. Solche Erfahrungen fördern in mir das Vertrauen, dass es insgesamt schon gut geht. Ich musste zum Glück noch nie erleben, dass mal eine ganze Produktion verloren gegangen ist.

Auf der Alp lebt man oft auf engem Raum mit Menschen zusammen, die man vorher nicht kennt. Funktioniert das gut?

Wenn man in einem Team zusammenarbeitet, wo alle am Limit sind, kann es schon mal zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Dann muss man lernen, damit umzugehen, zu kommunizieren, das Nötige rechtzeitig zu sagen und die Arbeit aufzuteilen. Das funktioniert meistens, aber nicht immer.

Wollten Sie den Bettel auch mal hinschmeissen?

Nein. Der Sommer 2003 war bisher der schwierigste. Ich war auf einer Alp in Graubünden, in der Gegend von Chur. Es war ein sehr heisser Sommer. Ich habe es mir eigentlich nicht zugetraut, diese Arbeit zu machen, und ich war nah dran abzusagen. Da war aber ein Bauer, der dringend einen Senn brauchte. Da habe ich erlebt, dass es trotzdem geht, und seither habe ich nie mehr eine Alp abbrechen wollen. Es ist ja auch so, dass die Zeit, rund drei Monate, überschaubar ist. Ich finde, dass man das schon durchhalten und Schwierigkeiten oder Konflikte lösen kann.

Mitte September wird der Alpsommer zu Ende sein. Freuen Sie sich schon auf die Alpabfahrt?

Ja, darauf freue ich mich schon. Die Alpabfahrt ist sicher ein Höhepunkt. Es gibt aber auch andere Höhepunkte, zum Beispiel den 1. August. Da gibt es ein Alpfest und es wird Raclette gemacht. Man weiss, dass man bis dahin den grössten Teil der Arbeit hinter sich hat, und die Arbeit wird langsam übersichtlicher. Es braucht dann wahrscheinlich nur noch eine Produktion am Tag statt jeden Tag zwei, weil es weniger Milch hat. Aber ich möchte die Zeit davor trotzdem auskosten.

Kommen Sie nächstes Jahr wieder?

Ohne jetzt und hier schon zusagen zu wollen, es sieht danach aus. Wenn die Bauern mich fragen, komme ich gern wieder ins Binntal, in diese spektakuläre Umgebung.

Christian Zufferey

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Infos

Zur Person

Vorname Bernhard
Name Goebel
Geburtsdatum 3. Februar 1971
Familie ledig
Beruf Erzieher
Funktion Alpsenn auf der ­Binneralp
Hobbies Klavier ­spielen, Fotografieren

Nachgehakt

Es gibt keinen besseren Käse als Walliser Alpkäse aus Rohmilch.

Nein

Das Wallis ist für mich wie eine zweite Heimat.

Ja

Ich würde gern einen Sommer am Meer verbringen.

Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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