Frontalinterview | Werner Imboden, der Kutscher von Zermatt
«Ich habe schon viele Promis durch Zermatt kutschiert»
Er ist ein Dorforiginal und eine Frohnatur. Werner Imboden (58) ist der letzte Kutscher von Zermatt. Warum er seinen Pferden Künstler-namen gibt und warum er stolz darauf ist, ein Walliser zu sein, verrät der FC-Sitten-Fan auf einer Kutschenfahrt durch Zermatt.
Nachdem mir Werner Imboden seinen Hengst «Charlie Chaplin» vorgestellt hat, starten wir auf eine Rundfahrt durchs Dorf.
Werner Imboden, Sie sind seit 40 Jahren als Kutscher unterwegs. Wie haben Sie den Wandel von Zermatt in all den Jahren erlebt?
Als ich Mitte der 70er-Jahre als Kutscher angefangen habe, war hier in Zermatt – wie sagt man – noch ein warmer Geist spürbar. Die Hektik war weit weniger verbreitet als heute. Alle Gäste, die eine Kutschenrundfahrt gemacht haben, haben das sichtlich genossen. «Z’der Zit heiwer hiä ä Rägglätta Ross ka.»
Und heute sind Sie der letzte Kutscher von Zermatt, der diese Arbeit hauptberuflich betreibt...
Alle haben aufgehört. Der letzte Compagnon, den ich hatte, war Toni Dorsaz. Aber auch er hat vor 24 Jahren damit aufgehört. Als ich noch ein Dreikäsehoch war, gab es mindestens 40 bis 50 Kutscher, die für die Gäste zur Verfügung standen. Heute bin ich der letzte Kutscher.
Erfüllt Sie das mit Wehmut?
Jein. Einerseits ist es natürlich schade, dass die alten Zeiten vorbei sind. Andererseits konnte ich natürlich davon profitieren, dass alle anderen aufgehört haben. Dadurch wurde mein Geschäft profitabel. Früher war ich immer gestresst und habe die Gäste einfach so herumkutschiert. Inzwischen habe ich mir aber eine gewisse Gelassenheit angeeignet und kann meine Arbeit in vollen Zügen geniessen. Das merken auch meine Fahrgäste. Ich habe immer ein Lächeln auf den Lippen.
Werner Imboden spitzt die Lippen und pfeift. «Charlie Chaplin» spitzt die Ohren und trabt gemächlich nach rechts in eine Seitengasse. Imboden winkt den Gästen am Strassenrand zu.
Worin liegt der Reiz, Gäste aus aller Welt im Matterhorndorf herumzukutschieren?
Ich rede gerne mit meinen Fahrgästen und erzähle ihnen viel über unsere wunderschöne Heimat. Ob ich einen Amerikaner, einen Engländer, einen Japaner, einen Deutschen oder einen Schweizer Gast kutschiere, ist mir egal. Wichtig ist einzig, dass er sich wohlfühlt und die Kutschenfahrt geniessen kann.
Imboden pfeift abermals. «Charlie Chaplin» reagiert sofort und wechselt die Strassenseite. Während Elektrofahrzeuge an uns vorbeifahren, bleiben viele Touristen interessiert stehen und zücken die Fotokamera. Werner Imboden strahlt übers ganze Gesicht und winkt den Touristen belustigt zu.
Gibt es Mentalitätsunterschiede?
(überlegt lange) Doch, natürlich gibt es Unterschiede. Die «gäbigsten» Gäste sind die Japaner. Ganz einfach darum, weil sich diese Leute von Herzen freuen können. Das Lachen der Japaner geht unter die Haut und steckt an. Das muss man sehen und erleben. Diese positive Energie steckt an.
Hatten Sie auch schon Gäste in der Kutsche, die herumgestänkert haben?
(lacht) Natürlich. Einmal hatte ich eine Gästegruppe dabei, die schon nach fünf Minuten ausgestiegen ist. Ich sei viel zu langsam unterwegs, bemängelten sie. Diese Leute können sich der Hektik des Alltags auch in den Ferien nicht entziehen. Das ist schade. Aber darüber muss man hinwegsehen.
Sie haben doch sicher auch schon prominente Leute in Zermatt herumkutschiert. Verraten Sie uns einen
Namen?
Oh ja. Ich habe viele prominente Sänger, Schauspieler und Politiker durch Zermatt kutschiert. Aber im Grunde genommen interessiert es mich gar nicht, wer in meiner Kutsche sitzt. Ich will einfach meinen Teil dazu beitragen, dass sich die Gäste in Zermatt wohlfühlen. Ob sie nun prominent sind oder nicht.
Ach kommen Sie, nur einen Namen...
Mit Gitte Haenning (dänische Sängerin und Schauspielerin, Anm. d. Red.) habe ich einmal eine stündige Rundfahrt gemacht. Sie hat mir viele Fragen gestellt und wir haben viel gelacht. Nach der Rundfahrt hat sie sich herzlich bedankt und hat mich geküsst. (Imboden schüttelt den Kopf und lacht). «Was ich verküsst wärde...». Meine Frau hat mir gesagt, lass dich nur verküssen, ich komme auf keine dummen Gedanken.
Sind Sie eigentlich heute lieber als Kutscher unterwegs als früher?
Ja. Früher hatte ich noch nicht die Erfahrung und Gelassenheit, wie ich mit den Gästen umzugehen hatte. Das ist heute anders. Inwischen habe ich ein ganz feines Gespür entwickelt, was die Gäste wollen und wie ich mit ihnen umgehen kann.
Heute zieht uns «Charlie Chaplin» durch die Strassen Zermatts, Ihr Lieblingspferd ist aber «Madame
Elona»...
Mit «Madame Elona» zu arbeiten, war eine Freude. Die Stute hatte einen sehr feinfühligen Charakter. Wenn ich gut zu ihr war, hat sie super gearbeitet. War ich böse zu ihr, hat sie mich nicht mehr angeschaut. Heute ist das Pferd in seinem wohlverdienten Ruhestand bei einem Bauern. Aber auch «Charlie Chaplin» ist ein sehr treues Tier und macht gute Arbeit.
Ihre Pferde tragen alle Künstlernamen. Wie kommt das?
Einerseits sind es wohlklingende Namen und andererseits haben meine Gäste ihre helle Freude, wenn ich ihnen sage, wie meine Pferde heissen. Weil «Charlie Chaplin» immer Flausen im Kopf hat, habe ich ihn nach dem gleichnamigen britischen Komiker und Schauspieler benannt. «Madame Elona» hatte etwas Anmutiges, Graziöses – daher der Name. Und einmal hatte ich einen Hengst, der immer gefurzt hat. Darum habe ich ihm den Namen «Beethoven» gegeben. Meine Gäste haben sich darüber halb totgelacht.
Wie schwer ist es eigentlich, die Pferde an den Fussgänger- und Elektrobusverkehr zu gewöhnen?
«Es git Reschini und Reschini.» Mit «Charlie Chaplin» hatte ich diesbezüglich nie Probleme. Aber andere Pferde haben mehr Probleme im Strassenverkehr. Viele Tiere sind sehr sensibel und reagieren entsprechend auf Lärm. Da braucht es viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Andere Tiere hingegen passen sich sehr schnell der Umgebung an. Und auch die Tagesform ist entscheidend. Das ist wie bei uns Menschen. An einem Tag sind wir gut drauf, ein andermal haben wir schlechte Laune.
In diesem Augenblick verschnellert «Charlie Chaplin» seine Gangart. Es gibt einen Ruck.
Hoppla. «Es hed gad äs Tanzji gigä». (Werner Imboden spricht beruhigend auf das Pferd ein.)
Hat es auch mal Zwischenfälle gegeben bei Ihrer Arbeit?
Davor ist niemand sicher. Aber glücklicherweise ist nie etwas Ernsthaftes passiert. Ich erinnere mich noch gut vor rund viereinhalb Jahren, als sich einmal das Leitseil verheddert hat. Daraufhin wollte ich das Seil losmachen und bin unglücklich gestürzt. Dabei hat sich das Pferd erschrocken und ist durchgebrannt. Ich habe mir bei dem Unfall die Achsel ausgerenkt. Das waren höllische Schmerzen.
Sie bezeichnen sich selber als Frohnatur. Gibt es auch Momente, wo Sie sich selber masslos aufregen können?
Das gehört zu meinem Naturell. Vor ein paar Jahren hatte ich eine kleine Krise und musste mich auf meinen Lebensinhalt besinnen. Dank meiner Frau und meinen zwei Söhnen bin ich wieder auf den Weg gekommen. Daraus habe ich viel gelernt und habe mir inzwischen eine gewisse Gelassenheit angeeignet. Heute geht es mir fantastisch.
Sind Sie eigentlich lieber im Sommer oder im Winter als Kutscher unterwegs?
Ich liebe den Sommer. Aber auch der Winter hat seinen Reiz. Wenn es schneit und ich mit dem Schlitten im Dorf unterwegs bin, «isch das es Träumli». Dann kann es auch mal vorkommen, dass ich den Schneeflocken zuschaue und für einen kurzen Augenblick die Welt um mich herum vergesse. Schade ist nur, dass ich nur noch selten mit dem Schlitten fahren kann, weil der Schnee sofort weggeräumt wird.
Ein Elektrofahrzugfahrer gewährt «Charlie Chaplin» den Vortritt. Werner Imboden bedankt sich lautstark und herzlich.
Was schätzen Sie an Zermatt?
Ich liebe meinen Heimatort, das Matterhorn, die Menschen hier. Es gibt für mich keinen schöneren Ort als Zermatt. Ein Schweizer zu sein, ist nicht selbstverständlich und ein Walliser zu sein, ist noch viel wertvoller. Schau dir meine Mütze an. Dreizehn Sterne, unser Kanton, der FC Sitten. Das ist doch fantastisch. Ich flippe aus.
Sie sprechen es an. Sie sind bekennender FC-Sitten-Fan...
Als Walliser muss man FC-Sitten-Fan sein. Auch wenn ich Christian Constantin nicht immer verstehe. Aber man muss ihn einfach gern haben. Wenn es ihn nicht gäbe, wäre der FC Sitten schon lange weg vom Fenster.
In der Zwischenzeit biegt «Charlie Chaplin» wieder auf den Bahnhofplatz ein. Die Dorfrundfahrt neigt sich langsam dem Ende zu.
Wie lange werden Sie noch als Kutscher in den Strassen Zermatts unterwegs sein?
Solange es meine Gesundheit erlaubt. Mir gefällt meine Arbeit und ich freue mich immer wieder, den Gästen Zermatt zu zeigen.
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