Frontalinterview | Baltschieder
«Ich bin dem Tod zweimal von der Schippe gesprungen»
Fürs Fliegen opferte er alles und flog sogar in der Karibik Polizeieinsätze. Zwei Abstürze bedeuteten aber das abrupte Ende seiner Pilotenkarriere. Heute ist Fabian Zuber (45) in der Möbelbranche tätig und spricht über sein schicksalhaftes Leben.
Herr Zuber, wir schreiben den 10. Juli 2004. Was für Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Damals arbeitete ich als Pilot bei der Air Zermatt und wohnte mit meiner damaligen Freundin in Baltschieder. Dort hatte es Nebel. Ich fuhr nach Zermatt, wo wunderbares Flugwetter herrschte. Ich freute mich auf die Arbeit. Dann flog ich erste Einsätze, bis ich vier Passagiere zur Capanna Margherita (im Monte-Rosa-Gebiet, Anm. Red.) fliegen sollte. Ich traf die üblichen Vorbereitungen und hob ab. Der Flug verlief absolut problemlos.
Und dann?
Dann wachte ich im Inselspital Bern auf, wo ich als Erstes meine Freundin und meine beiden Schwestern am Bettrand sah. Was genau passiert ist, weiss ich nicht mehr. Ich erlitt unter anderem schwere Rückenverletzungen und ein Schädel-Hirn-Trauma. Die anschliessende Rehabilitation im Paraplegikerzentrum in Nottwil war langwierig, weil ich drei Monate im Rollstuhl war. Bei der anschliessenden Flugunfalluntersuchung konnte zudem nicht genau ermittelt werden, wie es zum Unfall kam. (Der Helikopter stürzte im Bereich der Hütte auf einem Schneefeld ab und alle Passagiere überlebten. Anm. Red.)
Dann folgte der lange Weg zurück…
Das zog sich tatsächlich in die Länge, aber ich wollte unbedingt zurück ins Cockpit und habe dafür alles getan. Ohne meine Familie und mein Umfeld hätte ich all das nicht geschafft. Ich war immer schon ehrgeizig und wollte so rasch als möglich wieder gesund werden. Mein Drang zur Fliegerei war mein grosser Treiber. Der Ehrgeiz und die Verbissenheit trieben mich sogar so weit, dass die damalige Beziehung scheiterte. Nur wenige konnten zum damaligen Zeitpunkt verstehen, dass ich wieder fliegen wollte.
Sie sprechen den Drang zur Fliegerei an. Wollten Sie schon früh Pilot werden?
Als Kind wollte ich Fussballer oder Pilot werden. Mein Vater betrieb damals ein Sanitärunternehmen in Randa, wo ich aufgewachsen bin, und ich stieg dort ein. Meine Zukunft war somit eigentlich aufgegleist. Als ich dann meiner «Berufung» folgte und mich entschloss, in Kanada die Pilotenausbildung zu machen, hatte ich Angst, es meinem Vater zu sagen. Ich wandte mich darum an meine Mutter, welche es verstand und akzeptierte. Mit ihrer Hilfe konnte ich schliesslich meinen Vater überzeugen.
«Nur wenige konnten verstehen, dass ich wieder fliegen wollte»
Wie finanzierten Sie die Ausbildung?
Ich wohnte bei meinen Eltern, arbeitete bei meinem Vater im Betrieb und sparte wie verrückt. Dann buchte ich den Flug nach Kanada und wusste: Jetzt gehts los. Für 35 000 Dollar hatte ich schliesslich die Lizenz im Sack. Das war 1994.
Damit ging Ihr langer Traum in Erfüllung?
Ja. (In diesem Moment klingelt Zubers Natel. Als Klingelton ertönt das Aufheulen einer Heliturbine, Anm. Red.) Jetzt aber musste ein Job her. Das war nun die grosse Herausforderung. Ich kehrte ins Wallis zurück und begann die Ausbildung zum Skilehrer. Damit konnte ich gleichzeitig Geld verdienen und hatte so zumindest im Winter Arbeit.
Und die Jobsuche?
Dafür verbrachte ich die Sommer in Kanada, wo ich wild durchs Land fuhr und einfach irgendwo anklopfte und mich anbot. Aber als junger Pilot mit wenig Flugstunden hatte ich es schwer. Hinzu kommt, dass es für einen Ausländer schwierig ist, in Kanada eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Darum musste das im Winter verdiente Geld auch für den Sommer reichen. Das war mir aber egal. Ich wollte nur eines – fliegen.
Irgendwann sind Sie dann, im wahrsten Sinne des Wortes, in der Karibik gelandet?
Das war eher Zufall. Über einen Pilotenkollegen erfuhr ich, dass in den Niederländischen Antillen Piloten für Polizeieinsätze gesucht werden. Ich bewarb mich und verbrachte ein Jahr dort. Das war interessant und spannend, hatte aber auch seine Schattenseiten.
«Ohne meine Familie und Freunde hätte ich all das nicht geschafft»
Welche?
Ich konnte zwar fliegen und weitere Erfahrungen sammeln, mein Ziel war es aber immer, ins Wallis zurückzukehren. Ich wollte in der heimischen Bergwelt fliegen. In der Karibik wurde mir das richtig bewusst. An Anlässen meiner Walliser Freunde konnte ich nicht teilnehmen. Darunter hat das hiesige soziale Umfeld zweifellos gelitten.
Nach weiteren Stationen kehrten Sie zurück und erhielten eine Stelle bei der Air Zermatt…
Zuerst als Flughelfer und später als Pilot. Dann geschah der Unfall bei der Capanna Margherita. Bekanntlich kämpfte ich mich zurück und mein Privatleben änderte sich mit der Heirat 2010. Das Interessante dabei ist, dass es sich bei meiner Frau um die damalige Beziehung handelte, welche nach meinem Unfall scheiterte. Wir fanden wieder zueinander.
Dann aber ereignete sich 2010 der zweite Unfall bei der Monte-Rosa-Hütte…
Ich streifte beim Landeanflug mit dem Rotor die Hütte und kippte aus geringer Höhe zur Seite. Der Helikopter erlitt Totalschaden. Meine gesundheitlichen Auswirkungen waren glücklicherweise kleiner als beim ersten Unfall. Jedoch hatte dieser Konsequenzen für mein Arbeitsverhältnis, welches dann gegenseitig beendet wurde. Rückblickend betrachtet, bin ich dem Tod zweimal von der Schippe gesprungen. Irgendetwas hat dafür gesorgt, dass ich die Unfälle überlebt habe.
Leiden Sie heute an Folgeschäden?
Ich leide an einer inkompletten Paraplegie.
Über beide Unfälle wurde in den Medien berichtet. Wie gingen Sie damit um?
Ich war damit beschäftigt, alles zu verarbeiten. Etwas, was mir bis heute nicht vollständig gelungen ist. Dann kam die mediale Berichterstattung dazu, was normal ist. Schade nur, dass, aus meiner Optik, nicht immer alles ganz korrekt wiedergegeben wurde. Auch wenn die Untersuchungsergebnisse der beiden Unfälle keine negativen Auswirkungen auf meine Lizenz hatten, fühle ich mich verantwortlich für alles, was passiert ist. Darum tut eine manchmal etwas verzerrte Berichterstattung weh. Deshalb habe ich auch lange überlegt, mich für dieses Interview zur Verfügung zu stellen.
«Irgendetwas hat dafür gesorgt, dass ich die Unfälle überlebt habe»
Sind Sie denn heute mit Ihrem neuen Leben als Mitarbeiter eines im Kanton Bern ansässigen Möbelbausystem-Unternehmens glücklich?
(überlegt) Ja. Ich habe zwei gesunde Kinder, eine wunderbare Frau und eine Arbeitsstelle. Dort wurde mir eine neue Herausforderung angeboten, wofür ich sehr dankbar bin. Natürlich, meine Passion und Leidenschaft war und ist die Fliegerei. Aber das ist jetzt vorbei und das muss ich akzeptieren. Ich musste die Zeichen der Zeit erkennen. Wobei zu erwähnen ist, dass es dafür Anzeichen gab.
Was für welche?
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Air Zermatt war ich lange auf Stellensuche. Wo auch immer ich mich bewarb, verfolgte mich meine Vergangenheit. Natürlich wurde mir das bei einer Absage nie so direkt gesagt. Es wurden jeweils andere Gründe angeführt. Aber ich spürte es schon irgendwie. Dann plötzlich klappte es doch noch und ich erhielt eine Stelle in Zürich. Aufgrund verschiedener Umstände stimmte das für meine Familie und mich nicht und ich kündigte bereits nach drei Monaten. Da wurde mir bewusst, dass ich mir damit die wohl letzte Chance für einen Neubeginn als Pilot verspielt habe. Irgendetwas zog mich aber zurück ins Wallis. Offenbar hat auch hier wieder jemand dafür gesorgt, dass das Schicksal etwas anderes für mich vorgesehen hat. Die Zeit ist nun definitiv vorbei. Es ist gut, wie es ist, und das ist auch eine Chance für Neues.
Denken Sie an etwas Konkretes?
Ich werde ein Buch schreiben. Ich pendle jeden Tag von meinem Wohnort Baltschieder nach Bern. Dabei habe ich Zeit, meine Gedanken festzuhalten. Auch wenn sich das Buch nicht verkaufen lassen sollte. Es würde mir bei der Verarbeitung helfen. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich alles für die Fliegerei geopfert habe. Ich verzichtete auf vieles und ging Risiken ein. Mein ganzes Leben war darauf ausgerichtet und dann das abrupte Ende. Trotzdem: So ehrgeizig, wie ich meine bisherigen Ziele verfolgt habe, genau so werde ich auch das Buchprojekt angehen. Das Ganze steht zurzeit aber erst am Anfang.
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