Berlin/Brig-Glis | SRF-Korrespondent Adrian Arnold über das Leben in Deutschland
«Für mich war es schwierig, die Anschläge zu kommentieren»
Er ist seit zwei Jahren als SRF-Korrespondent in Berlin. Adrian Arnold (42) spricht über die Anschläge der vergangenen Wochen in Deutschland, die Politik der Bundeskanzlerin und wie seine Familie mit der Angst umgeht.
Adrian Arnold, sind Sie ein Patriot?
Nein, ich bin kein Patriot. Ich schätze die Grundwerte der Schweiz und bin stolz auf meine Heimat, vor allem das Wallis. Aber Patriotismus kann gefährlich sein und den Blick fürs Wesentliche trüben. Und gerade in der Globalisierung finde ich es sehr wichtig, einen gewissen Weitblick zu wahren.
Sie kommen regelmässig mit Ihrer Familie zurück ins Wallis. Wie wichtig sind Ihnen diese Besuche?
Unsere Familie und Freunde, das Wallis und die hiesige Kultur sind für uns sehr wichtig. Hier spüren wir auch die Geborgenheit, die in einer Grossstadt wie Berlin ein bisschen verloren geht. Wir wissen aber, wo unsere Wurzeln, sind und entsprechend kehren wir auch immer wieder gerne hierher zurück.
Sie leben mit Ihrer Familie im Prenzlauer Berg, einem Stadtviertel im Osten von Berlin. Wie lebt es sich denn in diesen Tagen im terrorgeschüttelten Deutschland?
Rein arbeitstechnisch erlebe ich gerade eine sehr intensive Zeit. Ich arbeite von frühmorgens bis spätabends. Schon um die Mittagszeit mache ich erste Einschaltungen, bevor ich die Beiträge für die Tagesschau und «10vor10» produziere. Ein 14- bis 15-Stunden-Arbeitstag und sieben bis acht Tage Arbeit am Stück sind keine Seltenheit. Das zehrt ganz schön an der Substanz. Neben der Berichterstattung begleite ich natürlich auch das politische Geschehen im Land. Dabei steht die Frage der Flüchtlingspolitik immer mehr im Fokus.
«In Deutschland ist eine grosse Verunsicherung zu spüren»
Hat sich Deutschland in diesen Tagen verändert?
Die Geschehnisse der vergangenen Wochen sind nicht einfach spurlos vorbeigegangen. Es ist eine Verunsicherung zu spüren. Es ist zwar nicht so, dass die Menschen jetzt völlig aufgebracht sind und nur noch in Angst leben. Aber in den Gesprächen schwingt eine gewisse Unsicherheit mit. Die Menschen sind sich bewusst, dass der Terror jetzt auch in Deutschland angekommen ist. Und gerade bei grossen Veranstaltungen und Menschenansammlungen ist diese unterschwellige Angst spürbar.
Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach – wie haben Sie die Welle der Gewalt erlebt?
Für mich war es ein sehr schwieriger Moment, die Anschläge zu kommentieren. Bei solchen Vorfällen sind auch immer viele Emotionen im Spiel. Darum ist es wichtig, dass man als Korrespondent trotz der aufgeheizten Stimmung versucht, eine gewisse Sachlichkeit zu wahren und einzubringen. Man darf keine Mutmassungen anstellen, wie das der französische Staatspräsident François Hollande nach dem Anschlag in München getan hat. Das heizt die Stimmung noch mehr an und verunsichert die Menschen zusätzlich. In solchen Momenten sind Sachlichkeit und Fingerspitzengefühl gefragt. Man muss sich in diesem Zusammenhang eingestehen, dass die Anschläge nicht ganz überraschend gekommen sind. Die Frage war nicht, ob es passiert, sondern einzig, wann es passiert.
Wie gehen Sie als zweifacher Familienvater mit solchen Schreckensmeldungen um?
Wenn man darüber spricht, hilft das im Allgemeinen ganz gut. Mein achtjähriger Sohn beispielsweise interessiert sich schon jetzt dafür, was sein Papa im Fernsehen erzählt, und durchlöchert mich mit Fragen. Dann versuche ich jeweils, ihm Rede und Antwort zu stehen und ihm mit einfachen Worten die Sachlage zu erklären. Ansonsten leben wir als Familie normal weiter. Es bringt nichts, sich einschüchtern zu lassen. Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass auch im Strassenverkehr oder anderweitig Gefahren lauern. Insofern bringt es wenig, sich zurückzuziehen.
«Es bringt nichts, sich einschüchtern zu lassen»
Mit anderen Worten, Sie haben keine Angst um Ihre Familie?
Nein, das wäre der falsche Ansatz. Aber ich mache mir natürlich auch meine Gedanken, wenn wir uns an Orten aufhalten, wo grosse Menschenansammlungen sind. So habe ich es vermieden, mit meiner Familie während der Fussball-Europameisterschaft das Public Viewing am Brandenburgertor zu besuchen. Aber das ist eher die Ausnahme.
Wie steht es denn allgemein um die Sicherheit in der Bundeshauptstadt? Ist eine verstärkte Polizeipräsenz erkennbar?
Vor allem bei politischen Anlässen werden die Sicherheitsvorkehrungen markant verschärft. Wenn ich als Journalist eine Pressekonferenz besuche, dann werde ich extrem kontrolliert. Das war vor den Anschlägen weniger der Fall. Aber auch bei Grossanlässen oder am Flughafen ist eine verstärkte Polizeipräsenz erkennbar. Aber im Gegensatz zu Frankreich gibt man sich in den grossen Einkaufszentren oder Sehenswürdigkeiten der Stadt betont zurückhaltend.
Die Bild-Zeitung titelte vor Wochenfrist in grossen Lettern: «Droht Deutschland ein grosser Isis-Anschlag?» und berief sich dabei auf Parallelen zu Frankreich, wonach die Sicherheitskräfte mit kleinen Anschlägen von den Vorbereitungen für grosse Operationen abgelenkt worden sind. Können Sie solchen Schlagzeilen etwas abgewinnen oder ist das billige Panikmache?
Gerade diese Schlagzeile fand ich sehr spekulativ. Aber das ist Boulevard-Journalismus und dass eine Zeitung wie die Bild mit einer solchen Schlagzeile aufwartet, ist nicht ungewöhnlich. Aufgrund kleinerer Anschläge jetzt auf einen grossen Terroranschlag zu schliessen, entbehrt jeglicher Grundlage. Und es bringt auch nichts, mit solch reisserischen Schlagzeilen noch mehr Öl ins Feuer zu giessen und dadurch die Verunsicherung in der Bevölkerung weiter zu schüren.
Angela Merkel hat sich erst vor Wochenfrist zu den Anschlägen im eigenen Land geäussert. Wie werten Sie den Neun-Punkte-Plan der Kanzlerin, um die Sicherheit im Land wieder herzustellen?
In der ganzen Flüchtlingspolitik von Angela Merkel ist eine gewisse Kontinuität spürbar. Nach der ersten chaotischen Phase hat die Einführung des Integrationsgesetzes zu einer Beruhigung beigetragen. Und jetzt hat die Bundeskanzlerin den Neun-Punkte-Plan präsentiert, um eine grösstmögliche Sicherheit zu erreichen. Aus politischer Sicht ist das ein geschickter Schachzug. Realistisch betrachtet muss man aber sagen, dass trotz dieser Massnahmen weitere Anschläge wohl kaum zu verhindern sind. Aber das Risiko kann zumindest eingeschränkt werden.
Die Kanzlerin steht in der Kritik, mit ihrer Willkommenspolitik – «Wir schaffen das» – den Weg für den Terrorismus in Europa geebnet zu haben. Teilen Sie diese Meinung?
Nein. Wenn jemand einen Terroranschlag plant, muss er nicht unbedingt als Flüchtling nach Europa kommen. Es gibt auch andere Mittel und Möglichkeiten, um in ein europäisches Land einzureisen. Der Terror ist nicht erst gestern in Europa angekommen.
Mit anderen Worten: Die politischen Gegner von Angela Merkel nutzen die Gunst der Stunde, um ihre Flüchtlingspolitik zu kritisieren?
Gerade jetzt in Wahlkampfzeiten wird diese Thematik gerne ausgereizt und zwischen den Parteien ausgespielt. Natürlich machen sich die Menschen in Deutschland und in ganz Europa ihre Gedanken zur Flüchtlingsfrage. Die deutsche Regierung verneint aber auch nicht, dass mit dem Flüchtlingsstrom auch Menschen mit terroristischen Absichten nach Europa gekommen sind. Aber man muss realistischerweise auch sagen, dass die Flüchtlinge auch ohne die Willkommenskultur der Deutschen nach Europa gekommen wären. Die Anschläge nur mit dem Flüchtlingsstrom in Verbindung zu bringen, dünkt mich eine zu einfache Logik.
«Die ganze westliche Welt kann zum Ziel von Fanatikern werden»
Durch die Angst und die latente Gefahr von Anschlägen haben Gruppen von fremdenfeindlichen Hetzern und Populisten von links und rechts einen immer grösseren Zulauf. Ist dieser gefährliche «Trend» zu stoppen?
Schwierig. Durch die Anschläge und die politische Ist-Situation ist es für Populisten momentan einfacher, grosse Menschenmassen um sich zu scharen. Ob das länger anhalten wird, wird die Zukunft zeigen. Solange eine grosse Unsicherheit besteht und es immer wieder zu Anschlägen kommt, ist dieser Zulauf wohl schwer zu stoppen.
Wie schätzen Sie die momentane Gefahrenlage für die Schweiz ein?
Nun gut, die Schweiz ist kein Bündnispartner in der Anti-IS-Koalition. Dadurch sind wir nicht unmittelbar in der Gefahrenzone. Aber ausschliessen kann man einen Anschlag natürlich nie. Deutschland hingegen ist seit dem vergangenen Dezember ein Bündnispartner der Koalition. Dadurch hat sich das Risiko natürlich extrem verschärft. Aber die ganze westliche Welt kann zum Ziel von irgendwelchen Fanatikern werden.
Was denken Sie, kann die Politik den Bürgern das gewohnte Gefühl von Sicherheit zurückgeben?
Nein, ich glaube nicht. Man kann den Menschen zwar das Gefühl vermitteln, dass die Politik alles versucht, um die Sicherheit zu gewährleisten. Aber letztendlich entscheidet das, was in der Wirklichkeit passiert. Wir müssen wohl oder übel lernen, mit der Gefahr zu leben und damit umzugehen.
Artikel
Kommentare
Ulrike Eising - ↑19↓2
Herr Arnold bringt es auf den Punkt. Er berichtet über das, was deutsche Journalisten nicht schreiben dürfen. Ich verstehe auch, dass er immer wieder ins Wallis zurückkommt. Ich möchte, obwohl Deutsche, meinen Standort, nachdem ich das Wallis kennen- und lieben gelernt habe, nicht mit einem Standort in Deutschland tauschen. Ich wünsche weiterhin viel Erfolg und danke für die sorgsam recherchierte und faire Berichterstattung!
antworten
Outsider - ↑23↓2
Adrian Arnold macht das super. Er ist sprachlich gewandt und sicher im Ausdruck! Es ist ein sprachlicher Genuss, ihm zuzuhören, auch wenn er wie in letzter Zeit sehr oft über sehr negative Ereignisse berichten musste...... Auch was die Materie betrifft, über die er berichtet: er ist bestens informiert und hat wahrscheinlich auch ein gutes Netzwerk aufgebaut......
antworten