Frontalinterview | Brig-Glis

«Für meinen Schutz brauche ich keine Waffe, ich habe Hände»

Jörg Sauter
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Als Wärter im Briger Untersuchungsgefängnis ist Jörg Sauter (60) Staatsdiener hinter Gittern. Im Interview spricht er über seinen krisensicheren Job, die vielseitige Arbeit und die Betreuung einiger «Stammgäste.»

Herr Sauter, wie wurden Sie Gefängniswärter?
Ich arbeitete jahrelang als Polier. Als solcher fühlte ich mich ständig unter Druck gesetzt – von meinen Chefs und von den Mitarbeitern auf den Baustellen. Das stimmte nicht mehr für mich und ich wollte etwas völlig anderes machen. Da wurde ich auf ein entsprechendes Stelleninserat aufmerksam. Ich bekam die Stelle, machte dann die notwendige Ausbildung und bin mitttlerweile seit 28 Jahren Gefängniswärter in Brig.

Ausbildung? Was beinhaltet die?
Die ist vielseitig. Von Konfliktbewältigung über Beobachtung, soziale Themen oder aber auch Gesetzeslehre ist alles dabei. Mit den Jahren wurden die Gesetze immer wieder angepasst. Wobei das für unsere tägliche Arbeit weniger relevant ist, da ja nicht wir jemanden hinter Gitter bringen oder ihn wieder freilassen. Das macht die Justiz. Wir betreuen diese lediglich während ihres Aufenthalts.

Welche Art von Verdächtigen sind bei Ihnen?
Das Spektrum ist breit. Von Drogendeal über Körperverletzung bis zu Mördern hatten wir alles bei uns. Wobei es zu erwähnen gilt, dass bei unseren sämtlichen Insassen nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt, da diese noch nicht rechtmässig verurteilt sind. Ist dies dann der Fall, so werden diese in Vollzugsanstalten verlegt oder aber wieder freigelassen. Dementsprechend sind die Insassen jeweils mehr oder weniger lange bei uns.

Entsteht so ein persönlicher Kontakt?
Zu denen, welche nur kurz da sind, entsteht nicht gross Kontakt. Ist jemand über Monate oder sogar Jahre hier, so sind wir (im Untersuchungsgefängnis sind drei Wärter tätig, Anm. der Red.) für die Insassen die erste Bezugsperson. Jedoch darf es nicht allzu emotional werden, da wir unsere Arbeit machen müssen. Bedauern dürfen wir nicht haben, da wir ja nichts für deren Aufenthalt können.

Nebst Wachaufgaben gehen Sie auch einkaufen, kochen selber und waschen die Wäsche der Insassen. Hört sich fast an wie in einem Hotel…
(schmunzelt...) Mit dem Unterschied, dass die Insassen 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen sind und sich nur eine Stunde täglich im bewachten Hofgang aufhalten dürfen. Aber es stimmt, wir sind eine Art Mädchen für alles. Verlangt ein Insasse nach speziellen Lebensmitteln, so kaufen wir diese einmal pro Woche ein. Natürlich auf seine Kosten. Es gibt aber auch Insassen, welche kein Geld haben. Dann gibt es halt nichts.

Apropos Lebensmittel. Was gibts an Weihnachten?
Am Mittag Schweinebraten, für die muslimischen Insassen Rindsbraten. Beides mit Teigwaren, Gemüse und anschliessend einem Dessert. Am Abend dann einen kalten Teller mit verschiedenen Pasteten und Salat. Aber kein Alkohol. Für die Mahlzeiten haben wir pro Person und Tag zwölf Franken zur Verfügung.

Hört sich definitiv nicht nach Wasser und Brot an…
Gutes Essen sorgt für gute Stimmung. So haben wir weniger Probleme.

Bleiben wir beim Thema Weihnachten. Wie verhalten sich die Insassen während dieser Zeit?
Wir haben insgesamt 20 Einzelzellen und diese sind zurzeit alle besetzt (in Brig werden nur Männer inhaftiert. Frauen sind in Martinach, Anm. der Red.). Davon sind im Moment die Hälfte Muslime. Die anderen sind Christen. Da ist schon eine gewisse Wehmut spürbar, dass sie lieber anderswo sein würden als hier. Alle zwei Wochen kommt übrigens ein Seelsorger vorbei. Gerade an Weihnachten wird dieses Angebot rege genutzt. Für die muslimischen Insassen hingegen gibt es das nicht.

Es fällt auf, Sie sind nicht bewaffnet. Warum?
Das ist zum Schutz von uns allen. Wären wir bewaffnet und würden wir überwältigt werden, so wären dann alle anderen auch in Gefahr. Ich schütze mich wenn nötig mit den Händen.

Wie oft kommen die zum Einsatz?
Nie. Randaliert jemand, so versuchen wir in erster Linie, die Situation verbal zu entspannen. Erfahrungsgemäss klappt das ganz gut. Falls nicht, können wir auch auf die Hilfe der Polizei zurückgreifen.

Wie gehen Sie mit Angst um?
Bis jetzt hatte ich noch nie richtig Angst. Wäre das der Fall, muss man den Job wechseln. Auf alle Fälle darf man die nicht zeigen.

Sie haben schon mal einen Ausbruch erlebt. Wie haben Sie darauf reagiert?
Das war vor einigen Jahren. Eines Morgens war die Zelle leer. Erstaunlich war vor allem die Art und Weise des Ausbruchs. Er schaffte es irgendwie, ein eisernes Bettgestell zu demolieren. Mit der am Bett verschweissten und an der Wand verankerten Konsole schaffte er es, die mehrere Zentimeter dicke Fensterscheibe zu beschädigen. Durch die Beschädigung erreichte er es, den ganzen Abdeckrahmen wegzureissen und so das Fenster aus der Verankerung zu stemmen und sich durch die Öffnung abzuseilen. Noch heute ist es für mich ein Rätsel, wie er eine solche Leistung aufbringen konnte. Er wurde dann eineinhalb Jahre später wieder gefasst, kam aber nicht mehr zu uns zurück.

War das bis jetzt Ihr emotionalster Moment?
Nein, definitiv nicht. Wir hatten einmal einen Toten zu beklagen. Das ging mir persönlich sehr nahe, da ich ihn schon vor seinem Aufenthalt bei uns kannte. Ich hatte damit eine lange Zeit zu kämpfen.

Hinter jedem Gefangenen steckt trotz allem ein Mensch und somit auch eine persönliche Geschichte. Hatten Sie trotz der vielen Tristessen auch schon Situationen zum Schmunzeln?
(überlegt eine Weile...) Da kommt mir ganz klar ein Insasse in den Sinn, welcher länger bei uns war. Ein paar Wochen nach seiner Entlassung klingelte es an der Tür. Ich staunte nicht schlecht, als ich feststellte, dass er es war. Er wisse nicht wohin und wolle zurück, da es ihm gut gefallen habe. Natürlich konnten wir ihn nicht aufnehmen. Was dann aus ihm wurde, ist mir nicht bekannt.

Haben Sie auch Insassen, welche nicht das erste Mal bei Ihnen sind. Oder anders gefragt, gibt es welche, die immer wiederkehren?
Natürlich gibt es «Stammgäste». Bei deren Ankunft versteht man sich blind und muss sie nicht über die Regeln oder den Tagesablauf aufklären. Trotzdem kann man sich dann nicht die eine oder andere Bemerkung verkneifen.

Zum Beispiel?
Jetzt bist du schon wieder da. Hast du nichts gelernt seit letztem Mal? So entsteht dann schon so etwas wie eine persönliche Bindung. Man kennt sich ja.

Trotzdem kann angenommen werden, dass Sie alle Insassen gleich behandeln?
Ja, da sind wir Profi. Und dennoch gibt es von meiner persönlichen Einstellung gewisse Unterschiede. Ich habe Mühe, Tätern zu begegnen, welche sich an Kinder vergangen haben. So etwas verachte ich aufs Schärfste. Und dennoch werden diese von uns behandelt wie alle anderen auch.

Vor Ihrer Pensionierung arbeitete lange Zeit auch Ihre Frau an Ihrer Seite. Wie gingen Sie gemeinsam mit dem Erlebten bei Ihnen zu Hause um?
Klar wurde zu Hause darüber geredet. Das war und ist immer noch ein wichtiger Bestandteil der Verarbeitung. Aber aus Rücksichtnahme auf unsere Kinder und auf die Inhaftierten selbst, erwähnten wir nie Namen, sondern nur die Zellennummer. Beide wussten dann, von wem die Rede war.

Peter Abgottspon

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Infos

Zur Person

Vorname Jörg
Name Sauter
Geburtsdatum 14. August 1955
Familie Verheiratet
Beruf Polier
Funktion Gefängniswärter
Hobbies meine tägliche Arbeit

Nachgehakt

Unsere Gefängnisse sind luxuriös. Joker
Mir ist schon mal einer ausgebüxt.. Ja
Ich hätte gern auf Alcatraz gearbeitet. Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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