Frontalinterview | Franz Ruppen über seine Krebserkrankung
«Es war, als hätte mir jemand ins Gesicht geschlagen»
Vor vier Jahren erkrankte Franz Ruppen an Krebs. Zusammen mit dem Onkologen Dr. Reinhard Zenhäusern spricht er über seine Krankheit, die Angst vor einem Rückfall und die Bedeutung des Spendenevents «Bärgüf» vom kommenden Samstag.
Franz Ruppen, 2012 erkrankten Sie an Lymphdrüsenkrebs. Wie fühlten Sie sich, als der Arzt Ihnen die Diagnose Krebs mitteilte?
Franz Ruppen: Das ist etwas, was man nicht mehr so schnell vergisst. Ich war bei meinem Hausarzt, weil ich ständig müde war und mich unwohl fühlte. Mein Blut wurde daraufhin untersucht. Am Nachmittag wurde ich gleich wieder in die Praxis gerufen und der Arzt sagte zu mir, ich solle mich setzen, denn er befürchte, ich hätte Leukämie und am nächsten Tag würde ich in der Onkologie im Spital untersucht werden. Viel mehr weiss ich von dem Gespräch nicht mehr, es war, als hätte mir jemand ins Gesicht geschlagen.
Die Symptome waren recht diffus. Dr. Zenhäusern, ist es normal, dass sich eine Krebserkrankung durch solch «harmlose» Symptome ankündigt?
Dr. Zenhäusern: Krebserkrankungen können sich in der Tat sehr heimtückisch ankündigen, mit sehr allgemeinen Symptomen wie Müdigkeit, Schwitzen und Leistungsabbau. Diese Symptome können aber auch durch viele andere Erkrankungen ausgelöst werden. Es ist darum eminent wichtig, dass bei einem möglichen Verdacht auf Krebs die nötigen Untersuchungen eingeleitet werden. Bei Franz Ruppen war dies der Fall.
Auch weil es bei Krebs um Zeit geht, je früher man die Krankheit erkennt, desto besser sich die Heilungschancen.
Dr. Zenhäusern: Wichtig ist, dass die Krankheit richtig diagnostiziert wird. Der Zeitfaktor spielt eher eine psychologische Rolle. Wenn ein Arzt einen Verdacht auf Krebs äussert, kann man den Patienten natürlich nicht ein paar Wochen auf die definitive Diagnose warten lassen, das wäre mental eine viel zu grosse Belastung. Aus diesem Grund werden bei einem Verdacht auf Krebs die notwendigen Untersuchungen schnell eingeleitet. Sobald man weiss, mit was man es zu tun hat, kann man, falls es der Krankheitsverlauf zulässt, die Situation entschleunigen und die weiteren Massnahmen gezielt planen. Zentral aber ist, dass der Patient weiss, was Sache ist.
Zu Beginn geht es aber sehr schnell. Hat Ihnen das Angst gemacht?
Franz Ruppen: Zunächst habe ich nicht wirklich realisiert, was los ist. Da die Untersuchungen in der Onkologie im Spital Brig an einem Freitag gemacht wurden, musste ich das Wochenende über auf die Resultate warten. Das war eine schwierige Zeit. Am Montag hiess es dann: «Morgen werden Sie ins Berner Inselspital verlegt.» Ich fragte mich dann, wie das gehen soll, da ich ja ganz normal im Arbeitsprozess stand. Ich hatte ja noch Berge von Akten zu erledigen. Erst als ich schon ein, zwei Tage in Bern war, habe ich realisiert, dass mein Leben sich von Grund auf geändert hat. Plötzlich war ich in einer Situation, von der ich viel gehört, aber nie erlebt hatte. Diesen Gedanken zu akzeptieren, brauchte eine gewisse Zeit.
Dr. Zenhäusern: Diese Situation ist eine der grossen Herausforderungen bei Krebserkrankungen. Die Patienten wissen zwar, dass sie ernsthaft erkrankt sind, behalten aber gleichzeitig die Hoffnung, dass sich das Ganze auch schnell wieder einrenken lässt. Bei sehr akuten Fällen von Krebs muss man aber sofort mit der Therapie beginnen. Dieses schnelle Auflösen der gewohnten Lebensumstände kann dazu führen, dass die Patienten den Boden unter den Füssen verlieren. In solchen Momenten spielt Vertrauen eine gewaltige Rolle, denn der Patient verliert von einer auf die andere Minute fast die gesamte Kontrolle über sein Leben.
Franz Ruppen: Wenn dir jemand sagt, dass du von einer auf die andere Minute alles stehen und liegen lassen musst, kann man sich vorstellen, wie einschneidend eine solche Situation ist.
Sie waren anschliessend zwei Monate im Inselspital, die gesamte Therapie dauerte acht Monate. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Franz Ruppen: Nach zwei Wochen musste ich mich einer Operation unterziehen, danach folgten sieben Chemotherapien. Körperlich war das natürlich eine enorm grosse Belastung. Mental war es ein Auf und Ab. Ich hatte gute Phasen, in denen ich sehr positiv in die Zukunft geschaut habe, dann aber auch Momente, in denen ich dem Aufgeben sehr nahe war. Mein Umfeld hat mit, aber sehr geholfen, mich immer wieder aufzurappeln und nach vorne zu blicken. Natürlich war da auch immer eine gewisse Angst.
Nach der Therapie sind Sie recht schnell ins Berufsleben zurückgekehrt, zuerst 50 Prozent, ein paar Monate später wieder voll.
Franz Ruppen: Ja, nachdem die Therapie abgeschlossen war, merkte ich, dass es jede Woche wieder ein Stück besser ging.
War der Gedanke, wieder an die Arbeit zu gehen, wichtig für Ihre Motivation und den Genesungsprozess?
Franz Ruppen: Am Anfang war es natürlich ungewiss, wie meine Zukunft aussehen wird. Während den ersten Wochen der Therapie war es nicht möglich zu arbeiten. Schon nur aufgrund der Müdigkeit, mit der ich auch heute noch zu kämpfen habe. Der Gedanke an Arbeit kam erst später wieder, während der Therapie dachte ich nur daran, wieder gesund zu werden.
Dr. Zenhäusern: Wichtig ist, dass man nicht vergisst, dass die Behandlung von Krebs kein Sprint, sondern ein Marathon ist. Spricht man von Krebs, denkt man meist an Chemotherapie und Bestrahlung. Das ist aber nur das «Handwerk». Da folgt man den bekannten Therapieansätzen und Checklisten. Das Drumherum spielt aber eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Da geht es dann um Fragen wie: «Wie kann der Patient wieder ins Berufsleben einsteigen?» oder «Wie können die Folgen der Krankheit auf das soziale Umfeld abgemildert werden?» Patentlösungen gibt es da nicht. Manchen Menschen gibt der Gedanke an Arbeit Kraft, andere kommen zum Schluss, dass sie ihr Leben vollkommen umkrempeln möchten und wieder andere versinken in einer Depression. Darum sind Netzwerke wie die Krebsliga von grosser Bedeutung. Im Spital behandeln wir die Krankheit. Bereits während und insbesondere auch nach der Therapiephase ist jedoch die psychosoziale Situation der Patienten nicht zu vergessen, durch die Mitbetreuung durch Sozialarbeiter, Psychoonkologen, Physio- und Ernährungstherapie wird die Hilfe für den Wiedereinstieg in ein normales Leben und die Abmilderung der sozialen Folgen der Krankheit vorbereitet.
Viel Menschen, die an Krebs erkranken, greifen nach jedem Strohhalm, sprich Wundermitteln und anderen Dingen. Wie stehen Sie als Onkologe dazu?
Dr. Zenhäusern: Grundsätzlich ist es so, dass man alles unterstützen kann, was das psychische Befinden des Patienten verbessert. Wenn jemand irgendwelche Kräuter nehmen will und sich dadurch besser fühlt, soll er das tun. Man muss nur schauen, dass die wissenschaftlich fundierten Therapien dadurch nicht vernachlässigt werden. Man darf nicht vergessen, dass Krebspatienten Todesangst haben. Ich weiss nicht, ob ich bei einer Krebserkrankung nicht auch auf solche «Wundermittel» zurückgreifen würde.
Franz Ruppen, was war Ihr «Wundermittel»?
Franz Ruppen: Für mich war es wichtig, trotz des Ernstes der Situation den Humor nicht zu verlieren. Ich wollte nicht, dass die Krankheit mein Denken vollständig übernimmt. Ich habe mich auch nie im Internet über die Krankheit informiert, um mich nicht zusätzlich verrückt zu machen. Das hört sich im Nachhinein leicht an. Tatsächlich hatte ich zum Teil grosse Zweifel, ob ich mit allem weitermachen will. Aber mit zunehmender Verbesserung des Gesundheitszustands habe ich die Arbeit und das politische Engagement wieder aufgenommen.
Sie sind jetzt geheilt. Haben Sie Angst, dass der Krebs wiederkommen könnte?
Franz Ruppen: Wie es mich getroffen hat, kann es jeden treffen. Der Krebs kann zurückkommen. Ich glaube aber, dass Angst ein schlechter Berater ist. Aber, ich bin sensibler geworden, was körperliche Symptome betrifft und suche darum heute wohl schneller einen Arzt auf als früher. Der Gedanke ist aber trotzdem immer irgendwo im Hinterkopf.
Hat sich Ihre Sicht auf das Leben geändert?
Franz Ruppen: Ja, ich denke, dass ich abgeklärter bin und mich nicht mehr von Kleinigkeiten aufregen lassen. Das, was man früher als Problem gesehen hat, wird durch eine solche Krankheit stark relativiert.
Am Wochenende findet nun der Spenden-Event «Bärgüf – Gemeinsam gegen Krebs» statt. Sie beide sind Vorstandsmitglieder des Vereins, der das gesammelte Geld verwalten wird. Was machen Sie mit den finanziellen Mitteln?
Dr. Zenhäusern: Wie gesagt, eine Krebsbehandlung besteht nicht nur aus den medizinischen Aspekten. Bei solchen Anlässen geht es einerseits darum, das Thema Krebs zu enttabuisieren, denn es ist nach wie vor ein Tabu. Was die Gelder betrifft, viele Aspekte einer Krebsbehandlung werden nicht von den Krankenkassen abgedeckt. Zum Beispiel können Familien, in denen ein Elternteil erkrankt ist, mit einer Auszeit für die Kinder unterstützt werden. In der Langzeitpflege von Krebspatienten arbeiten viele Freiwillige, auch hier kann mit Spendengeldern noch viel verbessert werden. Dann ist es auch wichtig, dass man die Krebsforschung unterstützt. Nicht die Grundlagenforschung, wie sie die Pharmafirmen und Universitäten auf der Suche nach neuen Therapien betreiben. Zum Beispiel kostet auch die Auswertung der Daten aus dem kantonalen Tumorregister Geld. Da wird zum Beispiel analysiert, wie erfolgreich ein Therapieansatz in der Masse ist. All dies sind Aspekte von Krebserkrankungen, die mit solchen Event wie «Bärgüf» vorangetrieben werden können.
Franz Ruppen: Und es geht natürlich auch um Solidarität. Einerseits zwischen Kranken und ehemaligen Patienten untereinander. Aber auch um Solidarität zwischen Gesunden und Kranken. Für mich als ehemaligen Patienten ist es sehr berührend zu sehen, mit wie viel Engagement die Organisatoren, der Lions Club Simplon, aber auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Sache sind. Krebs ist eine Sache, die man alleine kaum bewältigen kann. Es braucht dafür die Hilfe von anderen Menschen. Dafür ist «Bärgüf» ein tolles und starkes Zeichen.
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Kommentare
Fredy Majoleth - ↑24↓0
Ich kenne Franz Ruppen persönlich, wusste aber bis heute nichts über Seine Krankheit der letzten 4 Jahren. Ich selber kann die Aussagen von Franz bestätigen, war und bin ich selber jahrelang davon betroffen. Auch nach 18 Jahren ist die Krankheit bei mir noch nicht ausgeheilt. Bin immer noch in Dauerbehandlung beim Hausarzt und versch.- Spitäler in ZH & BE. Noch heute erwache ich in Schweiss gebadet; alle Glieder schmerzen mich. Tags über bin ich oft sehr müde und mag auch kaum essen. Ich weiss, dass bis zur endgültigen Heilung noch einige Zeit vergehen wird. Dank der Unterstützung meiner Familie, Ärzten, Spitäler und Pflegepersonal. Das Umfeld - Kollegen und Freunden, die mir bei Bedarf immer zur Seite stehen, sehe ich ein grösseres "Blau* am Horizont. Es bleibt mir nur noch Danke zu sagen all meinen Helfer und Freunden! Dir Franz als Leidensgenosse weiterhin viel Mut und Zuversicht! Dein Kämpferherz wird Dich weiterhin zur vollkommenen Genesung tragen. LG Fredy Majoleth
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