Frontal | Patrizia und Roland Kummer, Mühlebach
«Es bringt nichts, mit dem Schicksal zu hadern»
Roland Kummer (56) ist vor zwei Jahren an Krebs erkrankt. Wie er damit umgeht, wie ihn seine Tochter Patrizia (32) unterstützt und warum sie am «Bärgüf»-Event teilnimmt, lesen Sie im RZ-Interview.
Roland Kummer, vor rund zwei Jahren wurde bei Ihnen Krebs diagnostiziert. Wie kam die Diagnose zustande?
Ich hatte starke Rückenschmerzen, worauf ich zu meinem Hausarzt ging. Nach einer Blutuntersuchung hat er mich dann zum Onkologen geschickt, der bei mir das Multiple Myelom, eine seltene Form der Krebserkrankung, diagnostizierte. Dabei vermehrt sich eine Art von Plasmazellen im Knochenmark.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Ihnen der Arzt die Hiobsbotschaft mitteilte?
Natürlich ist man im ersten Moment schockiert. Trotzdem war ich froh, dass man die Ursache für meine Rückenschmerzen rasch herausgefunden hatte und die entsprechenden Massnahmen eingeleitet wurden. Die Ärzte sagten mir, sie wüssten zwar nicht, woher die Krankheit käme, aber sie wüssten, was dagegen zu unternehmen ist. Das war für mich die Hauptsache.
Wie sind Sie mit der Diagnose umgegangen?
Damit rechnet niemand, aber es bringt nichts, mit dem Schicksal zu hadern oder nach den Ursachen zu suchen. Meine Energie setze ich lieber für die Genesung ein, damit ich bald wieder auf die Beine komme. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber ich bin in sehr guten Händen und auf dem Weg der Besserung. Trotzdem ist es natürlich extrem hart, wenn das Leben auf den Kopf gestellt wird. Ich mache mir darum jeden Tag einen Plan, was ich erreichen möchte.
Wie ging es weiter? Mussten Sie sich einer langwierigen Therapie unterziehen?
Nachdem das Blutbild nach einer ersten medikamentösen Behandlung auf die richtigen Werte eingestellt worden war, konnte im Inselspital in Bern eine Stammzellenbehandlung gemacht werden. Mit einer Chemotherapie wurde das Blut so präpariert, dass das Immunsystem auf null gesetzt wurde. Dann wurden die eigenen Stammzellen wieder in den Blutkreislauf gegeben, sodass das Immunsystem wieder aufgebaut wurde. Weil die Plasmazellen das Kalzium aus den Knochen gedrückt haben, entstand eine Art von Osteoporose. Dadurch sind mir an drei Rückenwirbeln die Deckblätter eingesunken und ich bin heute noch in meinen Bewegungen eingeschränkt.
Patrizia Kummer, wie haben Sie von der Krankheit Ihres Vaters erfahren?
Nach dem Besuch beim Onkologen hat ihm der zuständige Arzt gesagt, dass es wahrscheinlich eine Krebserkrankung sein könnte. Daraufhin hatten wir ein sehr gutes Gespräch miteinander. Mein Vater war sofort sehr positiv eingestellt, was mir wiederum ein gutes Gefühl gab. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass er das überleben wird. Daran zweifle ich keine Sekunde. Darum hat mich die Krankheit meines Vaters auch nicht belastet.
Herr Kummer, neben den körperlichen Schmerzen zehrt die Krankheit auch an der Psyche. Wie sind Sie damit umgegangen?
Über die Therapie wird man sehr gut informiert, auch dass die Haare ausfallen. Darauf konnte ich mich sehr gut einstellen. Trotzdem habe ich zur Schere gegriffen und mir selber die Haare geschnitten. Später sind mir sogar meine Barthaare ausgefallen. Dazu hatte ich extreme Knochenschmerzen. Das war brutal. Aber ich wusste, es wird wieder besser.
Sind Sie nie in ein Loch gefallen?
Nach der Stammzellentherapie konnte ich wieder nach Hause. Die ersten zehn Tage nach meiner Rückkehr habe ich mich schlecht gefühlt. Ich merkte, irgendetwas stimmt nicht. Als ich zur Kontrolle ging, haben sie mich wieder ins Spital eingewiesen. Der Grund: Ich hatte mir eine Lungenentzündung geholt. 2018 hatte ich fünfmal eine starke Erkältung und dazu eine Brustfellentzündung, weil mein Immunsystem schlecht funktionierte. Das war eine sehr harte Zeit. Trotzdem habe ich mich immer wieder aufgerafft und das Beste aus der Situation gemacht.
Wie gehen Sie mit der Krankheit im Alltag um?
Ich habe noch nie einen Hehl aus meiner Krankheit gemacht und rede offen darüber. Am Tag, als ich die Diagnose bekam, waren zufällig meine Kollegen in unserem Restaurant. Ich habe sie sofort darüber informiert. Natürlich musste ich mein Leben umstellen. Aber ich habe mir vorgenommen, mir in Zukunft ein bisschen mehr Zeit zu lassen, um gewisse Sachen anzugehen.
Wie wichtig war Ihr persönliches Umfeld für die Genesung?
Das Umfeld ist extrem wichtig. Einerseits was die Betreuung angeht und andererseits auch als mentale Stütze. Daraus konnte ich viel Kraft schöpfen und mit viel positiven Gedanken an die Sache herangehen.
Auch für die Angehörigen ist eine solche Diagnose schwer zu verarbeiten. Patrizia Kummer, wie sind Sie damit umgegangen?
In erster Linie war es uns wichtig, gemeinsam mit der Familie nach Lösungen zu suchen. Als mein Vater erkrankte, stand ich vor meiner Olympiasaison in Pyeongchang. Dadurch war ich viel unterwegs. Mein Vater war in dieser Zeit im Spital, ich war an den Rennen auf der ganzen Welt unterwegs und meine Mutter musste den ganzen Laden daheim allein schmeissen. In diesem Winter hat es noch so viel geschneit und ich machte mir ernsthaft Sorgen, ob sie das allein bewältigen kann. Darum war ich sehr dankbar, dass ich mich auf meinen Bruder und seine Partnerin verlassen konnte, die in der Ausserschweiz wohnen. Sie haben meiner Mutter jedes Wochenende und jede freie Minute im elterlichen Betrieb unterstützt. Zwei Tage bevor ich nach Südkorea abgeflogen bin, konnte ich meinen Vater noch vom Spital abholen und nach Hause fahren, sodass ich mit einem guten Gefühl an die Olympischen Spiele fliegen konnte.
Ihr Vater steht Ihnen nicht nur menschlich sehr nahe, sondern ist auch Ihr wichtigster Ansprechpartner im sportlichen Bereich. Inwiefern hat seine Krankheit auch Ihre sportlichen Leistungen beeinflusst?
Indirekt hatte seine Krankheit sicher einen Einfluss auf meine Entscheidungen. Nicht aber auf die Rennen selbst. Wenn ich am Start gestanden bin, habe ich mich auf das Rennen fokussiert.
Roland: Patrizia war eh immer allein am Start…
Patrizia: Genau. Aber er fehlte natürlich, um mich abseits der Rennpiste zu beraten.
Roland: Vier Monate musste ich mich auf mich selbst konzentrieren und konnte die Rennen von Patrizia nicht mitverfolgen.
Patrizia: Ich habe mich in dieser Zeit auch zurückgehalten und ihm keine Videos von meinen Trainings geschickt. Ich wusste, er braucht seine Energie momentan für sich selber.
Roland: Später hat sie dann wieder Videos geschickt. Das war auch eine gute Ablenkung für mich.
Herr Kummer, Sie waren immer mit Patrizia zu den Rennen unterwegs. Wie schwierig war es für Sie, daheim vor dem Fernseher zu sitzen und die Rennen von der Couch aus anzusehen?
Ich bin eigentlich immer Anfang Saison mitgegangen. Auch im besagten Herbst wollten wir für Pyeongchang buchen. Als ich die Diagnose bekommen habe, war klar, dass ich nicht mitreisen kann. Das hatte aber keinen Einfluss auf die Leistungen von Patrizia. Ich war ja schon in der Vergangenheit nicht an jedem Rennen mit dabei.
Haben Sie Ihr trotz Ihrer Krankheit wertvolle Tipps mit auf den Weg gegeben?
Tipps im eigentlichen Sinne gebe ich sowieso keine, das kann ich gar nicht. Wir reden aber viel miteinander über ihre Verfassung, und durch das Gespräch kann sie mal den einen oder anderen Rückschluss daraus ziehen.
Seit der Krebsdiagnose sind fast zwei Jahre vergangen. Wie geht es Ihnen heute?
Ich bin auf dem aufsteigenden Ast. Ich hoffe, dass ich ab Dezember keine Medikamente mehr nehmen muss. Auch die Blutwerte sehen gut aus. Von daher bin ich überglücklich. Bis ich körperlich wieder auf der Höhe bin, braucht es aber sicher noch seine Zeit.
Bleibt die Angst, dass Sie die Erkrankung wieder einholen könnte?
Angst und Geld habe ich noch nie gehabt (lacht). Im Ernst, es besteht immer die Gefahr, dass die Krankheit wieder kommt. Aber wieso soll ich Angst haben? Das hilft mir nicht weiter und würde mich nur unnötig verunsichern.
Am Wochenende findet der Spenden-Event «Bärgüf – Gemeinsam gegen Krebs» satt. Wie unterstützen Sie diese Veranstaltung?
Patrizia: Krebs ist eine Volkskrankheit und geht uns alle an. Darum finde ich es sehr wichtig, dass man sich für den Event engagiert. Ich werde am kommenden Samstag zusammen mit meinen Kollegen vom Team Z krebskranke Patienten im Rollstuhl schieben. Darauf freue ich mich.
Roland: Dass es Menschen gibt, die einen solchen Event organisieren, ist wunderbar. Da kann man nur den Hut davor ziehen.
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