Visp | Christoph Föhn ist seit 41 Jahren bei den "Fleigutätscher" dabei
«Eine klassische Guggenmusik hat in einer Beiz nichts verloren»
Christoph Föhn ist das älteste Aktivmitglied der Guggenmusik «Fleigutätscher». Zum 60-Jahr-Jubiläum der Formation spricht er über die ersten Jahre der Truppe, den Kulturwandel Ende der 1980er-Jahre und seine Leidenschaft für die Guggenmusik.
Christoph Föhn, Ihr Vater Peter gründete 1958 zusammen mit seinen Kollegen Willy Sterren und Hermann Seematter mit den «Fleigutätschern» die heute älteste noch existierende Guggenmusik im Oberwallis. Was wissen Sie über die Beweggründe der drei Männer, dies zu tun?
Dazu muss man etwas ausholen. Alle drei waren Mitglieder der Musikgesellschaft «Vispe» und der Blaskapelle «Sempre avanti», die mein Vater damals präsidierte. Damals war es Usus, nach Musikfesten und Ähnlichem immer noch in den Beizen zu «stegreifen», also einfach spontan aufzuspielen. 1958 kam mein Vater dann auf die Idee, dass man während der Fasnacht so auch einmal um die Häuser ziehen könnte. Zusammen mit ein paar anderen Musikern taten sie das dann auch und die «Fleigutätscher» waren geboren. Die «Fleigutätscher» entstanden sozusagen als Ableger der Musikgesellschaft und der Blaskapelle, was die Truppe viele Jahre lang auch stark geprägt hat.
Stichwort «Fleigutätscher». Wie kam es zu dieser Namensgebung? «Fleigu» ist wegen des Übernamens der Visper ja naheliegend, doch warum das «Tätscher»?
Zum Aufspielen in den Beizen, eine Strassenfasnacht, wie wir sie heute kennen, gab es ja damals noch nicht, gehörte auch das Vortragen von Schnitzelbänken. Weil dabei halt die Visper «getätscht» wurden, passte der Name «Fleigutätscher» natürlich perfekt.
Heute stehen bei den Guggenmusiken vor allem Stücke aus dem Rock- und Popbereich auf dem Programm, was wurde damals gespielt?
Es wurden vor allem Schlagerstücke gespielt, richtige Lumpenlieder halt. Dann und wann mischte sich aber auch mal ein Walzer ins Repertoire. Ein weiterer grosser Unterschied zu heute ist dabei auch, dass keine Proben für die Auftritte stattfanden. Hinzu kommt, dass die Instrumentierung ganz anders war. Damals wurden auch Klarinetten und Saxofone gespielt, auf der anderen Seite gab es viel weniger Schlagwerk.
Was sind Ihre ersten Erinnerungen an die «Fleigutätscher», die ja fünf Jahre vor Ihrer Geburt gegründet wurden?
Bis Anfang der 1980er-Jahre war es so, dass jedes Mitglied für sein Kostüm selbst verantwortlich war. Es gab auch kein Vereinslokal, ein strukturierter Verein wie heute waren die «Fleigutätscher» zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht. Das hiess, dass die Mitglieder oft bei uns zu Hause in der Küche geschminkt werden mussten. Meine erste Erinnerung an die «Fleigutätscher» ist also, wie diese bei uns zu Hause den letzten Schliff bekamen. Als Bub war das für mich das Grösste. Etwas, bei dem ich eines Tages unbedingt dabei sein wollte. Sobald ich dann die OS besuchte, durfte ich mit meinem Vater und seinen Kollegen auf Tour.
Was heisst, dass die «Fleigutätscher» kein Verein im eigentlichen Sinne waren?
Wie gesagt war die Struktur eher locker. In diesem Sinn feiern wir in diesem Jahr 60 Jahre fasnächtlich musikalisches Wirken der «Fleigutätscher» und nicht den nach Obligationenrecht eingetragenen Verein. Der grosse Strukturwandel mit allem vereinstechnischen Drum und Dran kam Ende der 1980er-Jahre.
«In anderen Dörfern spielten wir nie»
Bis dahin waren wir wirklich eine reine Beizen-Guggenmusik, wir nahmen daher auch nur an sehr wenigen Umzügen teil. Und auch in anderen Dörfern spielten wir nie auf. Die «Vespianer», die 1978 gegründet wurden, waren von Anfang an ganz anders aufgestellt, so wie man die Guggenmusiken heute kennt.
Stichwort «Vespianer». Wie war das Verhältnis damals zu dieser Guggenmusik? Sah man sich als Konkurrenten?
Nein. Auch die «Vespianer» wurden teils von Mitgliedern der Musikgesellschaft gegründet, die teilweise früher sogar bei uns mitmachten. Allerdings wollten diese Leute etwas Neues, nach dem Vorbild der Luzerner Guggenmusiken. Das hiess: andere Instrumentierung, mehr Rhythmus, eine Guggenmusik für die Strasse und die Bühne halt. Weil wir so unterschiedlich waren – hier die acht- bis 12-köpfigen «Fleigutätscher», die in den Beizen spielten, und da die über 30 Mann starken «Vespianer», die auf der Strasse Musik machten – hatten wir immer ein gutes Verhältnis.
Heute sind auch die «Fleigutätscher» eine Guggenmusik für die Strasse und die Bühne. Wie und wann kam es zu der Abkehr von der Beizenfasnacht?
Anfang der 1980er-Jahre kamen bei uns zum ersten Mal einheitliche Kostüme auf. Das führte dazu, dass eine neue Generation zu den «Fleigutätschern» stiess. Beim ersten Jubiläum, 1988, waren wir auf 18 Personen angewachsen. Dies setzte sich in den nächsten Jahren fort. Mit dem Zuzug junger Leute, unter denen auch solche waren, die keinen direkten Bezug zur Musikgesellschaft hatten, wurden dann regelmässige Proben eingeführt. Wir begannen aktuelle Lieder zu spielen, die Instrumente wurden teils gewechselt, die Rhythmusgruppe massiv aufgestockt und es entstand im Grossen und Ganzen die Besetzung, die wir heute haben. Hinzu kamen dann auch klare Vereinsstrukturen und man fing an, Lieder selber zu arrangieren.
Damit war es aber auch mit der Beizenmusik vorbei. Bedauern Sie das?
Es hat sich halt so entwickelt. Mich freut aber sehr, dass im Oberwallis wieder kleinere Formationen auftauchen, die wie die «Fleigutätscher» damals Musik in den Beizen machen. Man muss dazu auch sagen: Eine klassische Guggenmusik mit über 30 Leuten hat in einer Beiz nichts verloren. Die Lautstärke ist einfach zu viel für die Gäste. Ich bin auch der Überzeugung, dass eine Musik, die in der Beiz spielt, sich nicht als Platzhirsch fühlen, sondern primär die Gäste unterhalten sollte. Wer in der Beiz einfach drauflosbrettert, kann diesem Anspruch nicht gerecht werden. Deshalb ist es schön, wenn es zur Fasnacht beides gibt, Formationen für die Strasse und jene für die Beizen.
Die «Fleigutätscher» sind heute in der ganzen Region nicht zuletzt für ihre aufwendig gestalteten Masken bekannt. Wie kam es dazu, dass diese heute jedes Jahr ein essenzieller Teil des Kostüms sind, während man lange Zeit nicht einmal einheitliche Kostüme hatte?
Das Tragen von Masken hat sich in der Tat bei den Oberwalliser Guggenmusiken nie wirklich durchgesetzt, ganz im Gegensatz zu den Fasnachtshochburgen Luzern oder Basel, wo ohne Maske gar nichts geht. Dass dies bei den «Fleigutätschern» anders ist, liegt ausschliesslich an unserem Musikus Philipp Hutter.
«Wir sind alle sehr stolz auf unsere Masken»
Seine Leidenschaft für das Herstellen der Masken ist grenzenlos, pro Jahr investieren er und sein Helfer Lukas Andenmatten an die 500 Arbeitsstunden allein in die Masken. Hätten wir die beiden nicht, würden wir vielleicht keine Masken tragen. Wir sind aber alle sehr stolz auf unsere Masken.
Sie selbst sind seit 41 Jahren mit ein paar kleinen Unterbrüchen bei den «Fleigutätschern» dabei und mit 55 Jahren das älteste Aktivmitglied. Warum machen Sie immer noch mit?
Es gefällt mir weiterhin, Musik zu machen. Das ist ein wichtiger Punkt. Dann geniesse ich es, mit diesen jungen Leuten Zeit zu verbringen. Neben meiner politischen Arbeit (Christoph Föhn ist Vize-Gemeindepräsident in Visp, An. d. Red.) sind die «Fleigutätscher» zudem ein toller Ausgleich und es macht mir einen gewaltigen Spass, zu sehen, was sich für Leute hinter der Maske verbergen.
Wie meinen Sie das?
Jeder Guggenmusiker hat ja noch ein anderes Leben, in dem er keine Maske trägt. So unterschiedlich wie das Leben, so unterschiedliche Lebensentwürfe haben unsere Mitglieder. All diese Leute treffen sich dann in der Guggenmusik, um gemeinsam ihre Leidenschaft für die Fasnacht auszuleben und langjährige Freundschaften entstehen zu lassen. Da entstehen Emotionen und es macht eine Gänsehaut, wenn diese Leute dann gemeinsam nach längerer Probenzeit Stücke von der Bühne schmettern. Diese Emotionen sind es, die mich faszinieren. Wie gross diese Emotionen sind, zeigt sich spätestens dann, wenn Mitglieder nach Jahren austreten und am Strassenrand eine Träne verdrücken müssen, wenn wir noch Aktiven an ihnen musizierend vorbeiziehen.
Sie selbst sind nicht nur dabei, sondern arbeiten voll mit. Unter anderem als OK-Präsident des grossen Jubiläumsfestes an diesem Wochenende. Was steht auf dem Programm?
Am Freitagabend steigt in der Mehrzweckhalle in Visp eine grosse Party, natürlich mit Guggenmusiken, aber auch mit Z'Hansrüedi und anderen Musikern. Am Samstag spielen wir und andere Formationen dann in Visp auf dem Kaufplatz und in der unteren Bahnhofstrasse auf und am Nachmittag gibt es einen Umzug durch das Dorf. Am Abend ist dann wieder Party in der Mehrzweckhalle angesagt und am Sonntag lassen wir dann noch eine Ausklangsmatinee mit Konzerten auf dem Kaufplatz über die Mittagszeit folgen. Alle unsere Mitglieder sind intensiv an der Vorbereitung und geben alles für ein unvergessliches Jubiläumsfest. Wir werden es natürlich richtig krachen lassen (lacht).
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Kommentare
Markus Imbodu, Visp - ↑24↓6
Viele Guggenmusiken und Bands so mein Eindruck sind zunehmend "Statisten" und werden vom Partyvolk kaum beachtet und geschätzt. Vieles in der Fasnacht ist purer Kommerz - Tradition hin oder her.
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