Interwiew | Aidshilfe Oberwallis feiert 30-Jahr-Jubiläum

«Ein Prostitutionsverbot ist nicht sinnvoll»

«Seinen HIV-Status zu kennen, ist absolut zentral» - Désirée Grichting
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«Seinen HIV-Status zu kennen, ist absolut zentral» - Désirée Grichting
Foto: RZ

«Jeder neue HIV-Fall ist einer zu viel» - Michel Furrer
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«Jeder neue HIV-Fall ist einer zu viel» - Michel Furrer
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Die Aidshilfe Oberwallis (AHO) feiert Ende Monat ihr 30-jähriges ­Bestehen. Im Interview sprechen Präsident Michel Furrer und Fachstellenleiterin Désirée Grichting über Ansteckungsraten, die Arbeit mit Prosti­tuierten und Pläne für die Zukunft.

Kommenden Freitag lädt die Aidshilfe im Zeughaus Kultur in Glis zur Geburtstags­party. Gibt es überhaupt Grund zum Feiern?

Michel Furrer: Es liegt in der Natur der Sache, dass die Aidshilfe eigentlich ein Verein ist, der für seine Auflösung arbeitet. So gesehen, wäre es natürlich besser, wenn es uns schon länger nicht mehr geben müsste. Aber dennoch gibt es zum runden Geburtstag viel zu feiern. Einerseits wollen wir jenen Leuten Danke sagen, die uns über die Jahre hin unterstützt haben und natürlich feiern wir auch unsere Erfolge, sprich jede Ansteckung mit dem HI-Virus, die dank unserer weit gefächerten Präventionsarbeit verhindert werden konnte. Am 30. November wollen wir mit der Bevölkerung zusammen den alljähr­lichen Welt-Aids-Tag begehen.

Gegründet wurde die Aidshilfe Oberwallis auf dem Höhepunkt der Aidswelle Ende der 1980er-Jahre. Damals gab es in der Schweiz pro Jahr über 3000 Neuinfektionen mit HIV. 2017 waren es noch etwa 445. Braucht es die Aidshilfe überhaupt noch?

Michel Furrer: Natürlich braucht es uns weiterhin. Es stimmt, dass die Zahl der Neuinfektionen mit HIV in den letzten 30 Jahren stark zurückgegangen ist, dennoch ist jeder neue Fall einer zu viel. Man darf dabei nicht vergessen, dass ja nicht nur der Infizierte von der Krankheit betroffen ist, sondern auch seine Familie und sein Umfeld. Daher ist die Zahl der Betroffenen weitaus höher, als es die reine Infektionsrate den Anschein macht. Gleichzeitig ist es so, dass die gesunkene Infektionsrate dazu geführt hat, dass HIV etwas in Vergessenheit geraten ist, was die Präventionsarbeit umso wichtiger macht. Deshalb muss ich vehement widersprechen, wenn man denkt, die Aidshilfe sei überflüssig geworden. Nicht zuletzt, da unser Aufgabenbereich weit über den Kampf gegen Neuansteckungen mit HIV hinausgeht.

Désirée Grichting: Eigentlich muss man sich nur die Frage stellen, was mit den Zahlen passieren würde, wenn man die Präventionsbemühungen einstellen würde? Die Antwort spricht für sich selbst: Aidsprävention ist weiterhin nötig.

Die Behandlungsmöglichkeiten beim HI-Virus sind in den letzten Jahren massiv besser ­geworden. Das HI-Virus gilt, zumindest in unseren Breitengraden, nicht mehr als Todesurteil. Sabotiert dies Ihre Präventionsbemühungen, weil die Leute sich zu stark auf den medizinischen Fortschritt verlassen?

Désirée Grichting: Die Weiterentwicklung der Behandlungsmöglichkeiten ist sehr zentral. Bei einer wirksamen Therapie ist eine HIV-positive Person nicht mehr ansteckend. Dieses Bewusstsein versuchen wir weiterhin stärker in der Gesellschaft zu verankern. Was unsere Präventionsbemühungen betrifft, so muss man sagen, dass Neuansteckungen oftmals nicht durch Personen passieren, die um ihre Krankheit wissen, sondern dort passieren, wo jemand gar nicht weiss, dass er infiziert ist oder vor Kurzem infiziert wurde. Unsere Präventionsmassnahmen konzentrieren sich daher unter anderem auch stark darauf, dass jeder Mensch seinen HIV-Status kennt, sprich sich testen lässt.

Wie zufrieden sind Sie mit den Testraten?

Désirée Grichting: Die Zahlen sind gut, könnten aber besser sein. Seinen HIV-Status zu kennen, ist wie gesagt absolut zentral, wenn es um wirksame HIV-Prävention geht.

Wie viele Neuansteckungen mit dem HI-Virus gibt es denn im Oberwallis pro Jahr?

Désirée Grichting: Für das Oberwallis liegen keine konkreten Zahlen vor. Im ganzen Kanton werden etwa zehn bis 20 Neuansteckungen mit HIV im Jahr registriert.

In Zusammenhang mit HIV war und ist auch immer von Risikogruppen zu lesen. Gibt es diese Gruppen tatsächlich oder sind dies nur Vorurteile?

Désirée Grichting: Es gibt sogenannte Gruppen, die ein höheres Risiko haben, sich mit dem HI-Virus zu infizieren. Auf diese Gruppen fokussieren wir uns unter anderem bei unserer Präventionsarbeit. Da wären einerseits die Sexarbeiter/innen, Migranten aus Gebieten mit einer hohen HIV-Rate und Männer, die Sex mit Männern haben. Zu betonen ist aber, dass HIV natürlich auch im Rest der Bevölkerung weitergegeben wird.

Während Infektionen mit dem HI-Virus in den letzten Jahren relativ stabil sind, nehmen die Fälle von anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) wie Chlamydien oder Syphilis zu. Woran liegt das?

Désirée Grichting: Für diesen Anstieg gibt es ­sicher mehrere Gründe. Einerseits wurden diese STI in den letzten Jahren verstärkt getestet. Dadurch wurden und werden mehr Fälle erkannt. Bei den STI ist es nämlich so, dass diese sehr lange unbemerkt bleiben können, sodass nur ein Test eindeutige Klarheit bringt, ob man infiziert ist oder nicht. Eine weitere Hypothese ist, dass beispielsweise die Präservative nicht oder nicht korrekt angewendet werden und es deshalb zu mehr Übertragungen kommt.

Warum steigt denn die HIV-Rate nicht mit, schliesslich werden all diese Krankheiten durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen?

Désirée Grichting: Ein Präservativ schützt sehr gut vor HIV, aber nur bedingt vor anderen STI. Andere STI können nämlich auch durch sogenannte Schmierinfektionen übertragen werden. Dennoch ist die Verwendung eines Präservativs zum Schutz vor STI definitiv wichtig. Weiter ist es aber auch zentral, sich bei wechselnden Sexualpartnern regelmässig testen zu lassen und bei einer Infektion sich und den Partner zu behandeln. Oftmals werden STI verharmlost, da die Behandlungsmöglichkeiten recht gut sind. Man darf aber nicht vergessen, dass auch diese Krankheiten schwere Folgeschäden verursachen können.

Neben dem Kampf gegen sexuell übertragbare Krankheiten ist die Aidshilfe Oberwallis noch in anderen Gebieten tätig. Zum Beispiel in der Betreuung der Sexarbeiter/innen im Oberwallis.

Michel Furrer: Als ich vor acht Jahren in den Vorstand der Aidshilfe Oberwallis kam, war es dieser Bereich unserer Arbeit, der mich zunächst am meisten irritiert hat. Schnell habe ich aber erkannt, dass die Arbeit, die wir im Umfeld des Sexgewerbes leisten, enorm wichtig ist. Die Schicksale, denen man hier begegnet, sind hoch emotional und jeder gelungene Ausstieg oder jede Verbesserung für die/den Sexarbeiter/in ist neuer Antrieb, die Arbeit weiterzuführen.

Désirée Grichting: Praktisch umfasst unsere Arbeit im Sexgewerbe vor allem Prävention. Dazu besuchen wir einmal im Monat die verschiedenen Salons und Etablissements und ­klären die Leute vor Ort über sexuell übertragbare Krankheiten auf. Solche Kontakte haben wir pro Jahr rund 250 Mal. Andererseits betreiben wir eine Beratungsstelle in unserem Büro, wo die Sexarbeiter/innen sich melden können, wenn sie Fragen zu Themen wie persönliche oder berufliche Schwierigkeiten, Sozialversicherungen oder zum Ausstieg aus dem Gewerbe ­haben.

Wie geht es den Sexarbeiter/innen im Oberwallis ganz grundsätzlich?

Désirée Grichting: Ich denke, es geht ihnen recht gut. Obwohl dies natürlich sehr individuell ist. Wir haben im Kanton Wallis ein Prostitutionsgesetz, bei welchem die AHO intensiv mitgearbeitet hat, was für die Arbeit der Sexarbeiter/innen sehr wichtig ist.

In letzter Zeit wird wieder vermehrt über ein Prostitutionsverbot gesprochen. Wie stehen Sie dazu?

Désirée Grichting: Ein Prostitutionsverbot ist nicht sinnvoll. Ganz im Gegenteil. Ein solches Verbot würde die Sexarbeiter/innen noch stärker in den Untergrund treiben. Dann hätten wir kaum noch Zugang zu ihnen und könnten ihnen viel weniger gut helfen. Oftmals wird bei der Diskussion um ein solches Verbot das Argument ins Feld geführt, man wolle den Menschenhandel bekämpfen, die Sexarbeiter/innen davor schützen. Nicht jede/r Sexarbeiter/in ist jedoch automatisch Opfer von Menschenhandel. Dies sind zwei grundlegend verschiedene Themen, welche getrennt werden müssen. Prostitution ist von Menschenhandel betroffen, jedoch genau so, wie andere Bereiche der Gesellschaft wie zum Beispiel das Baugewerbe, die Gastronomie, die Hauswirtschaft oder die Landwirtschaft. Die Probleme werden durch ein Prostitutionsverbot nur grösser, die Situation der Sexarbeiter/innen schlechter.

Ein Geburtstag, wie ihn die Aidshilfe Oberwallis Ende Monat feiert, ist auch immer ein guter Moment, um den Blick in die Zukunft zu richten. Was planen Sie langfristig?

Désirée Grichting: HIV ist nun seit rund 30 Jahren ein Thema. Nun ist es so, dass die Menschen, die HIV-positiv sind, so langsam aber sicher in die Alters- und Pflegeheime eintreten. Daher sind wir dabei, ein Projekt auf die Beine zu stellen, das sich mit dieser Thematik befasst. Es geht darum, sich Gedanken zu machen, wie die ­Altersheime mit diesen Menschen umgehen können und ob Konflikte zu erwarten sind.

Michel Furrer: Es besteht in diesem Zusammenhang sicher auch das Risiko, dass es zu Diskriminierungen kommen kann. Darum ist es wichtig, sich schon heute Gedanken darüber zu machen, wie die Heime mit dieser Situation umgehen können. Weiter wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Die Welt ist im steten Wandel und somit ändern sich die Probleme der sexuellen Gesundheit in allen Bereichen. Wir wollen bereit sein.

Martin Meul

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Infos

Zur Person

Vorname Désirée
Name Grichting
Geburtsdatum 22. Februar 1988
Familie verheiratet, zwei Kinder
Beruf Sozialarbeiterin
Funktion Fachstellenleiterin Aidshilfe Oberwallis
Hobbies Basteln, Kochen, Skifahren

Zur Person

Vorname Michel
Name Furrer
Geburtsdatum 6. Oktober 1977
Familie verheiratet
Beruf OS Lehrer
Funktion Präsident Aidshilfe Oberwallis
Hobbies Musi, Tennis

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