Frontal | Brig-Glis
«Die ‹Welschen› sind offener und küssen viel mehr»
Sie lebt seit 28 Jahren im Oberwallis, fühlt und denkt aber immer noch als «Welsche». Béatrice Aeschbach-Morand (53) über ihren Beruf als Französischlehrerin, die Tücken der Integration und ihr Amt als Präsidentin des Oberwalliser «Cercle Romand».
Béatrice Aeschbach-Morand, denken Sie schon auf Deutsch oder noch auf Französisch?
Ganz klar auf Französisch. Auch meine Träume sind auf Französisch.
Sprechen wir über Ihre Person. Ihre Mutter stammt aus Ulrichen, ihr Vater aus Orsières, wo Sie auch aufgewachsen sind. Somit haben Sie Bezug zu beiden Kantonsteilen und leben im Oberwallis. Warum diese Entscheidung?
Das ist natürlich kein Zufall. Ich habe in Lausanne studiert und dort meinen zukünftigen Mann kennengelernt. Er stammt eigentlich aus der Deutschschweiz, ist aber in Steg aufgewachsen. Berufsbedingt sind wir dann zuerst nach Naters gezogen, wo wir zehn Jahre gelebt haben. Danach erfolgte der Umzug nach Glis, wo ich jetzt seit 18 Jahren zu Hause bin. Aufgrund meiner Herkunft habe ich natürlich immer noch einen grossen Bezug zum Unterwallis und unterhalte dort nach wie vor eine Vielzahl von Freundschaften. Zudem wohnen meine Geschwister und meine Mutter ebenfalls im Unterwallis. Mit ihnen stehe ich in intensivem Kontakt. Bei mir zu Hause in Glis wird aber ausschliesslich französisch gesprochen. Ich fühle mich trotz allen Verbindungen zum Oberwallis als Romand.
Wie wurden Sie als Romand damals im Oberwallis aufgenommen?
(lacht) Trotz meiner Oberwalliser Mutter bin ich nicht bilingue aufgewachsen. Darum habe ich zu Beginn beim Einkaufen zum Beispiel immer Hochdeutsch gesprochen. Interessanterweise hat dann mein Gegenüber soweit es ging auf Französisch geantwortet. Das gab mir dann Ansporn, so rasch als möglich Dialekt zu lernen. Das aber ging ein paar Jahre. Heute spreche ich an sich gut Dialekt, habe aber einen «welschen» Akzent. Und dennoch stosse ich noch oft an Grenzen. An Gesprächen beispielsweise habe ich manchmal Hemmungen meine Meinung einzubringen, weil nicht in meiner Muttersprache gesprochen wird. Trotzdem aber glaube ich, bin ich hier gut integriert.
Braucht es für die Integration also nur Sprachkenntnisse?
Nein, aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das alleine nicht reicht, es ist aber ein erster wichtiger Schritt. Was mir persönlich geholfen hat, war die Mitgliedschaft bei einem Verein. In meinem Fall war das beim Natischer Frauenturnverein. Dadurch lernte ich Gleichgesinnte kennen und kam so ins Gespräch. Später, als ich schwanger war und Mutter wurde, lernte ich andere junge Eltern kennen. Die Bedürfnisse und Gewohnheiten sind dieselben. Kontakte ergeben sich dann von selbst.
«Der Lötschbergtunnel ist schlecht für den Zusammenhalt im Wallis»
Wie glauben Sie, ergeht es diesbezüglich Oberwallisern, welche ins Unterwallis ziehen?
(überlegt eine Weile) Die Unterwalliser sind per se offener. Obwohl der Unterwalliser von der Mentalität her auch ein «Bergler» ist, so unterscheidet er sich schon vom Oberwalliser.
Beispiel?
Wenn ein «Fremder» im Unterwallis irgendwo eingeladen wird, so wird er bei der Begrüssung wie ein Bekannter empfangen. Er kriegt drei Küsschen auf die Wange und es wird ihm sofort das Gefühl vermittelt, einer von ihnen zu sein. So was habe ich im Oberwallis nie erlebt. Dort geht man zuerst auf Distanz und nähert sich, vorausgesetzt das Interesse ist vorhanden, Schritt für Schritt an. Nebst der unterschiedlichen Sprache ist das meiner Meinung nach der grösste Unterschied. Sonst sind wir alle dieselben «Sturköpfe».
«Die Romands leben Familienbeziehungen intensiver»
Kommen wir nun zum «Cercle Romand», welchen Sie seit drei Jahren präsidieren. Was für einen Zweck hat der Verein?
Gegründet wurde dieser bereits 1939. Damals waren viele frankofone Lokführer bei der SBB in Brig stationiert. Diese wollten sich regelmässig treffen und sich miteinander in ihrer Muttersprache unterhalten. So hat sich das ergeben. Mittlerweile zählen wir über 30 Familien, die Mitglieder sind. Die Beteiligung an den Aktivitäten ist recht hoch. Wir treffen uns zum Bocciaspielen, jassen zusammen und organisieren mehrere gemeinsame Essen. Mitglied werden kann jeder, welcher französischer Muttersprache ist. So haben wir neben Romands aus dem Wallis und der restlichen Schweiz auch im Oberwallis lebende Mitglieder aus Paris oder aber Marseille. Vor allem reicht es, wenn einer der Familie frankofone Wurzeln hat. Dann ist der restliche Teil der Familie automatisch auch aufgenommen. So kommt es bei den Vereinstreffen zum Austausch zwischen Oberwallisern und Romands.
Dann kann man sagen, dass der Verein auch eine Art Brückenbauer zwischen den Sprachgrenzen ist?
Absolut. Bei den Treffen wird natürlich konsequent französisch gesprochen. So kann es vorkommen, dass sich dabei zwei Oberwalliser auf Französisch unterhalten. Das fördert das gegenseitige Verständnis. Integration ist nicht nur ein internationales Thema.
Beruflich sind Sie Lehrerin und unterrichten ab nächstem Schuljahr an der OMS Französisch. Zudem sind Sie in der Erwachsenenbildung tätig. Wie erleben Sie dort das Verständnis bei den Schülern für den anderen Kantonsteil?
Unterschiedlich. Einfach gesagt: Wer grundsätzlich interessiert an anderen Sprachen ist, der lernt irgendeine Sprache. Da spielt es keine Rolle, um welche es sich handelt. Wer sich halt nicht für andere Sprachen und Kulturen begeistern lässt, bleibt auf der Strecke.Anzumerken gilt jedoch. dass das Interesse aber auch von der Lehrperson geweckt werden muss. Wenn diese wenig Interesse hat, so überträgt sich das auf die Schüler. Grundsätzlich ist es aber schon so, dass das Interesse an Französisch abnimmt. Bei den jungen Leuten steht Englisch viel höher im Kurs. Viele Neudeutsche Wörter stammen vom Englischen ab. Die Mehrzahl Lieblingslieder der Jugendlichen werden auf Englisch gesungen. Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Aber auch bei den Erwachsenen. Dort ist die Anzahl Kursteilnehmer in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen.
«Der Röstigraben ist viel tiefer als wir wahrhaben wollen»
Der Oberwalliser zeigt also nicht so viel Interesse am anderen Kantonsteil?
Für mich persönlich ist der Pfynwald der Röstigraben. Ich kenne Oberwalliser, welche noch nie weiter unten waren als bis Leuk. Umgekehrt ist es genauso. Für viele Unterwalliser, hört das Wallis in Siders auf. Ich würde sogar sagen, dass sich das Verhältnis innerhalb des Kantons fast schon auf Stufe Gleichgültigkeit befindet. Das mag vielleicht eine extreme Ansicht sein. Aber seien wir doch ehrlich. Seit der Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels zieht es die Oberwalliser vermehrt nach Thun und Bern zum Einkaufen. Vorher wurde auch mal in Siders oder Sitten eingekauft. Diesbezüglich hat der Tunnel, trotz der vielen positiven Seiten, ganz klar geschadet.
Was kann die Politik dagegen unternehmen?
Das Interesse an einer anderen Sprache kann die Politik nicht wecken. Was sie aber tun kann, ist Zweisprachigkeit vorleben. Nehmen Sie zum Beispiel die Staatsräte Jean-Michel Cina oder aber Oskar Freysinger. Beide sprechen ausgezeichnet Deutsch und Französisch. Das ist seitens der Politik ein starkes Zeichen. Beide können sich in beiden Kantonsteilen unter die Leute mischen und sind durch ihre sprachliche Kompetenz populärer. Auf Stufe Schule glaube ich, sind wir trotzdem nicht so schlecht unterwegs. Ich persönlich als Lehrerin stehe auch in der Verantwortung und habe die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen zu begeistern. Aber auch die Medien können viel dazu beitragen.
Was denn konkret?
Vermehrt Beiträge, Artikel oder Sendungen von beiden Kantonsteilen produzieren. Sie dürfen auf gar keinen Fall den Kopf in den Sand stecken und das Gefühl haben, dass das auf wenig Interesse stösst. Ich bin mir sicher, dass sich die Hartnäckigkeit auszahlt. Wenn das konsequent gemacht wird, so wird das mit der Zeit auch das Interesse beim Leser oder Zuschauer wecken. Wie bei einer Werbekampagne. Wenn ein neues Produkt auf den Markt kommt, muss es dem Konsumenten auch mehrere Male präsentiert werden, bis er es richtig wahrnimmt. Je mehr wir vom anderen erfahren, umso eher wird er plötzlich interessant.
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