Frontal | Daniel Salzgeber, Chorherr und Internatspräfekt
«Die moralische Verurteilung muss aufhören»
Er ist Augustiner-Chorherr, Internatspräfekt und Lehrer am Kollegium Brig. Daniel Salzgeber (56) spricht über die Nachwuchssorgen des Ordens, die Rolle der Kirche und sagt: «Wenn wir uns abschotten, werden wir zu einer kleinen Sekte, die unbedeutend wird.»
Herr Salzgeber, wir stehen in der Karwoche. Was bedeutet für Sie Ostern?
Für mich ist Ostern das Versprechen, dass Gott einst all unsere Sehnsüchte nach Sinn in Erfüllung gehen werden lässt.
Wo und wie verbringen Sie diese liturgischen Feiertage?
Ich werde diese Feiertage im Hospiz verbringen. Wir beherbergen erneut viele Familien mit Kleinkindern aus dem Unterwallis. Das Hospiz ist ja eine französischsprachige Enklave im Oberwallis, weil wir zum Orden der Augustiner-Chorherren vom Grossen Sankt Bernhard gehören. Dieses Jahr ist auch der Bischof zwei Tage auf dem Simplon und feiert mit uns die Liturgien.
Der traditionelle Kreuzweg auf dem Simplonpass zieht jedes Jahr Hunderte von Menschen an. Sind Sie auch mit dabei?
Wenn ich auf dem Simplon bin, gehe ich immer gern mit. Dieser Kreuzweg ist speziell, weil wir gemeinsam in der Natur unterwegs sind und weil er mehrsprachig geführt wird. Neben vielen Deutsch und Französisch sprechenden Teilnehmern kommen auch immer mehr Italienisch sprechende Personen. Auch ihnen wollen wir gerecht werden.
Verbinden Sie diese Tage mit mehr Arbeit oder können Sie auf dem Simplon auch Energie tanken?
Es ist in erster Linie das Gebet und die liturgischen Feiern, bei denen ich viel Kraft tanken kann. Auch die Begegnung mit den vielen Menschen tut gut. Zudem ist es sehr wertvoll, mit vielen Leuten den Kreuzweg gehen zu dürfen. Vor allem auch mit solchen, die das Jahr über vielleicht weniger in die Kirche gehen. Das sind Momente, die unglaublich wichtig sind.
Ihr Orden hat eine 1000-jährige Tradition und hält trotz Nachwuchsproblemen am Simpiler Hospiz fest. Ist das für Sie eine Verpflichtung, hier zu wirken?
Auf der einen Seite ist es ein Geschenk, auf der anderen Seite auch eine Verpflichtung. Wir mussten in den letzten Jahren viele Wirkungsstätten schliessen. Als ich Ende der 1980er-Jahre in den Orden eingetreten bin, waren wir 90 Chorherren, heute sind wir noch 30. Deshalb können wir leider auch niemand mehr in die Missionen nach China schicken, was mein Traum gewesen wäre. In Taiwan haben wir nur noch drei Mitbrüder. Weil wir immer weniger sind, stellt sich halt auch die Frage nach der Aufrechterhaltung des Hospizes auf dem Simplon. Nicht zuletzt, weil wir ein «welscher» Orden sind. Bisher konnten wir zum Glück daran festhalten, das Hospiz auf dem Simplon weiterzuführen.
Das Hospiz wird auch rege besucht?
Das ist so. Wir zählen im Jahr circa 18 000 Übernachtungen. Davon sind rund zwei Drittel Schüler, die Exerzitien machen. Am Wochenende haben wir oft Gruppen (v. a. Firmlinge) und im Sommer viele Familien. Dazu kommen im Sommer Wanderer und im Winter Skitourengänger. Aber auch Kirchenchöre und Musikgesellschaften verbringen gerne ein Wochenende bei uns.
Sie haben es angesprochen. Auch der Augustiner-Orden hat ein Nachwuchsproblem. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Kopfzerbrechen?
Es tut weh mitanzusehen, dass eine Überalterung einsetzt. Aber das ist eine Zeiterscheinung. Früher hatten viele Orden Aufgaben übernommen, die heute von anderen Institutionen gedeckt werden. Ich denke da etwa an die Orden, die im Schulwesen oder in der Pflege von Kranken tätig gewesen sind. Diese Aufgaben hat bei uns inzwischen der Staat übernommen. Darum gibt es Orden, die heute in ihrem Gründungscharisma überflüssig sind. Das Ordenswesen jedoch an sich, dass Menschen Gott folgen in einem Leben nach den Gelübden der Armut, Keuschheit und des Gehorsams, wird es auch in Zukunft geben. Dabei müssen wir auch neue Formen finden, wie zum Beispiel das Ordensleben auf Zeit. Schon jetzt gibt es Personen, die sich für eine bestimmte Zeit dem Ordensleben verpflichten. Wir selbst haben seit einigen Jahren sogenannte «Oblatinnen», Frauen, die mit uns leben und Arbeit und Gebet mit uns teilen. Das Ordensleben muss sich immer wieder neu erfinden und, vom Heiligen Geist inspiriert, neue Wege
suchen.
Sie sind Präfekt und Religionslehrer am Kollegium Brig. Wie erleben Sie die Jugendlichen im Religionsunterricht?
Das Fach Religion ist leider schwach dotiert am Kollegium. Momentan haben wir noch drei Stunden pro Woche, ab dem nächsten Schuljahr sind es dann nur noch zwei Lektionen für die fünf Jahre. Die Schüler sind aber durchaus interessiert, weil sie sehen, wie wichtig und vielfältig die Religion ist. Ohne den Schlüssel der Religion gibt es kein Verständnis der Geschichte, der Kultur oder der Gegenwart. Auch die Wertvorstellungen gingen verloren. Wir leben in einer multikulturellen Welt, die auch vor dem Oberwallis nicht halt macht. Darum ist es wichtig, Verständnis zu schaffen und eine Brücke zum Glauben anderer zu bilden. Gerade die Jugendlichen sind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Der Religionsunterricht ist das einzige Fach, das sinnstiftend wirkt. Auch ethische Fragen werden hier erörtert. Ich denke da an Themen wie die Würde jedes Menschen, Organspende, Sexualität, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Umwelt- und Tierschutz usw. Diese Themen interessieren junge Menschen und sie wollen Antworten darauf.
Über gleichgeschlechtliche Ehen wird zurzeit heftig debattiert. Wie stehen Sie dazu?
Die katholische Doktrin ist klar: Der homosexuell orientierte Mensch wird akzeptiert; homosexuelle Handlungen hingegen als Sünde verurteilt. Hier stehe ich im Widerspruch zur Lehrmeinung. Die Kirche muss die Ergebnisse der Humanwissenschaften miteinbeziehen, die festhalten, dass ein gewisser Prozentsatz aller Menschen, egal welcher Kultur, gleichgeschlechtlich orientiert ist. Jetzt stellt sich die Frage, wie geht man damit um? Das Kriterium jeder Liebe ist der Respekt gegenüber dem anderen. Dann spielt es meiner Meinung nach keine Rolle, ob es eine hetero- oder homosexuelle Beziehung ist. Momentan kann ich homosexuelle Menschen begleiten, aber ich darf ihre Beziehung nicht segnen. Das braucht sicher noch eine gewisse Zeit. Wenn man die Aussagen von Papst Franziskus richtig deutet, dürfte sich das in diese Richtung entwickeln.
Die Kirche steht unter einem starken öffentlichen Druck. Vor allem die Aufdeckung der Missbrauchsfälle hat viele Gläubige aufgeschreckt. Wie kann die Kirche das Vertrauen der Gläubigen zurückgewinnen?
Es war höchste Zeit, dass diese kriminellen Machenschaften aufgedeckt wurden. Die Kirche darf nicht mehr schweigen und muss alles tun, damit den Opfern Gerechtigkeit geschieht. Natürlich müssen wir auch Massnahmen treffen, damit sich solche Fälle nicht wiederholen. Wir können nur dann glaubwürdig sein, wenn wir trotz unserer Schwächen überzeugt unseren Glauben leben. Dazu gehört auch, dass wir mit der moralischen Verurteilung aufhören. Es geht nicht darum, Menschen auszuschliessen, sondern alle zu begleiten. Nehmen wir zum Beispiel die wiederverheirateten Geschiedenen: Für mich ist es ein Skandal, dass diese nach wie vor von der Kommunion ausgeschlossen sind. Es steckt ein falsches Sakramentenverständnis dahinter. Die hl. Kommunion ist nie Belohnung für Heilige, sondern vielmehr Kraft für uns schwache Menschen. Das Gleiche gilt in der Frage von konfessionsverschiedenen Ehen/Familien. Es kann doch nicht angehen, dass hier Protestanten nicht zur Eucharistie zugelassen werden. Wir müssen uns allen Menschen zuwenden. Wenn wir uns abschotten, dann werden wir zu einer kleinen Sekte, die unbedeutend wird.
Sie sagen Ihre Meinung frei heraus und haben auch schon Politiker öffentlich gemassregelt. Gehen die christlichen Werte in unserer Gesellschaft verloren?
Wir leben in einer Gesellschaft, die stark vom Individualismus geprägt ist. Auch die Scheinwelt mit der Werbung und dem Körperkult ist allgegenwärtig. Zudem sind wir sehr kapitalistisch eingestellt. Dabei gehen Werte der Solidarität und der nötige Respekt vor der Würde eines jeden Menschen verloren. Ich denke da an elementare Fragen des Schutzes menschlichen Lebens. Es gehört geradezu zur Aufgabe der Kirche, dass sie sich in solchen Fragen positioniert und Stellung bezieht. Selbst wenn Kritiker der Meinung sind, dass sie sich nicht in politische Diskussionen einmischen sollte.
Zurück zu Ihrer Person: In Ihrer Freizeit spielen Sie leidenschaftlich gerne Tischtennis. Was fasziniert Sie an dieser Sportart?
Tischtennis ist eine Art Schachspiel. Einerseits braucht es viel Reaktion und Beweglichkeit, andererseits aber auch taktisches Verständnis, um eine Partie zu lesen. Zudem ist es Psychohygiene für mich. Ich kann mich dabei voll auspowern.
Stimmt es, dass Sie nur ungern verlieren?
Wenn ich ein Tischtennis-Match spiele, dann will ich auch gewinnen. Sonst brauche ich gar nicht erst anzutreten. Je nachdem, wer mich besiegt, kann mich das tatsächlich ganz schön «fuchsen» (lacht).
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