Frontal | Alt Bundesrat Adolf Ogi

«Die Chancen für Olympische Spiele stehen gut»

Am 18. Juli 2017 feierte Adolf Ogi seinen 75. Geburtstag.
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Am 18. Juli 2017 feierte Adolf Ogi seinen 75. Geburtstag.
Foto: RZ

In Kandersteg wurde eine Strasse nach dem früheren Bundesrat benannt.
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In Kandersteg wurde eine Strasse nach dem früheren Bundesrat benannt.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Erst vor wenigen Tagen feierte alt Bundesrat Adolf Ogi seinen 75. Geburtstag. Im RZ-Frontal­interview spricht er über sein Schaffen, Heimat und die Olympischen Spiele.

Herr Ogi, wie kann man Ihnen eine Freude bereiten?
Mit Aufmerksamkeit, einem einfachen «Grüess Gott», mit der Natur… Es sind vor allem kleine Dinge, die mir Freude machen und ich hoffe, dass ich noch lange die nötige Sensibilität habe, sie aufzunehmen, zu verstehen und zu spüren.

Materielle Sachen?
Habe ich bewusst nicht erwähnt. Ich habe erst kürzlich mein Haus in Kandersteg umgebaut und meiner Familie und mir selbst damit eine Freude bereitet.

Sie haben erst vor wenigen Tagen Ihren 75. Geburtstag gefeiert. Was bedeutet Ihnen diese Zahl?
Dass ich langsam in einem fortgeschrittenen Alter bin. Ich bin aber bereit, dieses Alter zu akzeptieren. Mensch sein heisst, «cho, aber umi ga». Das relativiert unsere Bedeutung, auch die von einem alten Bundesrat. Ich stemme mich nicht gegen das Altwerden und weiss, dass das Leben vergänglich ist.

Sie sind nach wie vor ein viel gefragter Referent und Interviewpartner. Warum tun Sie sich das an?
Ich differenziere zwischen Referent und Interviewpartner. Referent ist immer eine Herausforderung. Für mich ist die nächste Rede immer die schwierigste. Das heisst, immer sehr gut vorbereiten und nicht in Routine verfallen. Das mache ich nach wie vor sehr gerne. Gemäss NZZ habe ich während meiner Amtszeit im Bundesrat 2333 Reden ausserhalb des Parlaments gehalten. Bei Interviewanfragen bin ich sehr zurückhaltend. Rund um meinen 75. Geburtstag hatte ich aber viele Anfragen, die ich auch angenommen habe. Nicht zuletzt auch deshalb, weil just auf meinen Geburtstag ein neues Buch über mich erschienen ist, in dem 75 Wegbegleiter von mir Anekdoten über mich erzählen.

Sie wurden in der Vergangenheit zigmal interviewt und porträtiert. Gibt es irgend­etwas, das noch nicht über Sie gesagt oder geschrieben wurde?
Ja, das gibt es. Vor allem meine Jugendzeit wurde vielleicht zu wenig beleuchtet. Aber das ist gegen aussen auch nicht so wichtig wie für mich. Was man in der Jugend aufnimmt und erfährt, prägt den Menschen für sein ganzes weiteres Leben. Das ist eine Weichenstellung.

Was hat Sie in dieser Zeit geprägt?
Meine Eltern, vor allem mein Vater. Ich wäre gerne Skirennfahrer geworden, aber mein Vater hatte andere Pläne. Obwohl er Skischulleiter und Mitglied der Nationalmannschaft in der Nordischen Kombination war, hat er mir diesen Wunsch verwehrt. Mein Vater wollte, dass ich Fremdsprachen lerne. Heute bin ich ihm dankbar dafür. Er hat mir aber auch viele andere Sachen mitgegeben. Und mir den Unterschied zwischen Intelligenz und Weisheit beigebracht.

Wir sind hier an Ihrem zweiten Wohnsitz in Kandersteg, umgeben von einer wunderschönen, schon fast kitschigen Kulisse. Was bedeutet Ihnen Heimat?
Heimat ist da, wo man seine Wurzeln hat, seine Familie, Freunde. Mit der Heimat kann man sich identifizieren. Damit verbindet man Geschichten und Erfahrungen, die zeitlebens wach bleiben.

Sie haben mehrere wichtige Funktionen besetzt. So waren Sie unter anderem Direktor des Schweizerischen Skiverbandes, 13 Jahre lang im Bundesrat und UNO-Sonderbotschafter Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden. Auf welches Ereignis oder welche Leistung sind Sie besonders stolz?
Wenn man in den Bundesrat gewählt wird, nach einer nicht einfachen Kandidatur, ist das schon eine Genugtuung. Zugleich ist es eine unglaubliche Verantwortung, eine «Burdi», die man aufnimmt. In diesem Zusammenhang steht natürlich die Neat mit dem Gotthard- und Lötschbergtunnel. Das war ein hartes Stück Arbeit und hat viel Mut gebraucht, diese Projekte im Bundesrat, im Parlament und im Volk durchzubringen. Das war nebst anderem die grösste Genugtuung meiner Amtszeit. Als Direktor des Schweizerischen Skiverbandes war es der
Medaillensegen in Sapporo und der erste Gesamtweltcupsieg im alpinen Nationencup.

Was würden Sie heute anders machen?
Gar nichts. Ich habe zwar Fehler gemacht, aber gesamthaft betrachtet würde ich alles noch mal gleich angehen. Ich würde vielleicht besser Italienisch lernen, ein bisschen weniger hart im Umgang mit meinen Mitarbeitern sein, aber sonst würde ich nicht viel anders machen. Ich habe viele Chancen in meinem Leben bekommen und habe sie auch genutzt. Dafür bin ich dem Herrgott dankbar.

Klimawandel, Terrorismus, Migration, Wirtschaftskrisen – die Schweiz im 21. Jahrhundert ist wie viele andere Länder in Europa mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Täuscht der Eindruck oder werden die Herausforderungen an Politik und Gesellschaft immer grösser?
Zur aktuellen Politik möchte ich mich nicht äussern. Nur so viel: Ich hoffe einfach, dass der Bundesrat für die Schweiz die besten Lösungen findet. Das wünsche ich ihm von ganzem Herzen. Es ist heute sicher schwieriger zu regieren als zu meiner Zeit. Wir hatten sehr gute Kontakte ins Ausland, die Welt war aber weit weniger im Wandel und die Herausforderungen weniger gross. Auch die Art der Kommunikation ist heute mit den ganzen elektronischen Möglichkeiten viel anspruchsvoller. Das macht die Sache nicht einfacher.

Die Schweiz steht für Demokratie und gelebte Solidarität. Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Schwere zwischen Stadt und Land immer breiter und die Verteilkämpfe immer härter werden…
Das ist sicher nicht ganz falsch. Die gelebte Demokratie fängt schon im Bundesrat an. Meiner Meinung nach brauchen wir vier Deutschschweizer, zwei Welsche und einen Tessiner Bundesrat. Zudem sollte einer der vier Deutschschweizer Bundesräte aus dem ländlichen (Berg-) Gebiet kommen. Wir leben seit 1848 in Frieden und Freiheit zusammen. Das ist nur möglich, weil wir die Minderheiten pflegen und auch die Randregionen berücksichtigen. Diese Klammerfunktion hat bis jetzt das Militär gehabt. Weil das Militär seine gesellschaftliche Bedeutung verloren hat, ist diese Kraft leider etwas aus den Köpfen geraten. Wir müssen die Kraft und den Weitblick haben, auch in Zukunft alle politischen Kreise und Strömungen in wirtschaftliche, politische und touristische Entscheide miteinzubeziehen.

Zum Tourismus: Der Konkurrenzkampf wird immer härter. Die Gäste immer anspruchs­voller. Was tun?
Der Stellenwert vom Tourismus in der Politik ist viel zu wenig gross. Aber auch in den Medien müsste der Tourismus einen grösseren Stellenwert erhalten. So müsste das Fernsehen ein regelmässiges Sendegefäss schaffen, um den Tourismus zu propagieren und das Bewusstsein dafür zu sensibilisieren.

Aber ein eigentliches Patentrezept gegen den Gästeschwund gibt es nicht?
Klar gibt es ein Patentrezept: besser sein. Den Willen zu entwickeln, besser zu sein als die Konkurrenz, freundlicher zu sein und neue Ideen zu verwirklichen. Eine neue Begeisterung für den Tourismus zu schaffen und Land und Leute besser zu vermarkten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns in einer sogenannten Wohlfühloase bewegen. Das muss sich ändern. Auch die Bürokratie hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Hier ist die Politik gefordert, die bürokratischen Hürden abzubauen. Die Aktion von Saas-Fee im letzten Winter hat aufgezeigt, was möglich ist, um Logiernächte zu generieren und das Angebot attraktiver zu gestalten. Auch wenn man über die Form geteilter Meinung sein kann.

Die Olympischen Winterspiele sollen 2026 in der Westschweiz ausgetragen werden. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein?
…ich bin ja der, der mit der Kandidatur 2006 auch verloren hat. Wir haben zwar alles gegeben, aber letztlich hat es doch nicht gereicht. Zur Frage: Die Schweiz als Wintersportland muss versuchen, Olympische Winterspiele zu organisieren. Ich bin zwar nicht aktiv im Organisationskomitee vertreten, bin aber bereit, im Hintergrund mitzuhelfen. Die Chancen für die Austragung stehen doch gut.

Bei einer Austragung der Olympischen Winterspiele 2026 wäre Kandersteg mit der Skischanze ebenfalls ein Austragungsort. Sie wären dann 84 Jahre alt…
Mit der Sprungschanze haben Sie recht. Wir haben in der Vergangenheit grosse Anstrengungen unternommen und die Sprungschanzen saniert. Im nächsten Jahr werden die Nordischen Junioren und U23-Weltmeisterschaften in Kandersteg und im Goms ausgetragen. Darauf freue ich mich sehr. Das ist eine Herausforderung, aber zugleich eine grosse Chance für die beiden Wintersportregionen. Sollte «Sion 2026» tatsächlich den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele erhalten, so hoffe ich, dass ich als 84-Jähriger die Wettkämpfe noch miterleben darf. Das wäre eine grosse Genugtuung für mich. Nach 1928 und 1948 müsste das Internationale Olympische Komitee mit der Vergabe an die Schweiz die olympische Bewegung für die nächsten hundert Jahre absichern.

In fünf Tagen feiern wir den Nationalfeiertag. Ein Grund, über den neuen Schweizer Psalm «Weisses Kreuz auf rotem Grund», der von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft lanciert wurde, zu reden. Der neue Psalm wird von vielen Altpolitikern unterstützt. Wie stehen Sie dazu?
Ich will mich dazu nicht äussern. Nur so viel: Ich werde am 1. August die alte Version laut und deutlich mitsingen. «Sie ist noch im Amt».

Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?
Nur das Beste. Geschickte Problemlösungen für das Land. Den Mut, langfristige Visionen zu realisieren und die Kraft, das Land zusammen- zuhalten, Minderheiten zu respektieren und die Rand- und Berggebiete nicht zu vernachlässigen. Und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. Das wünsche ich der Schweiz und den politischen Verantwortlichen auf allen Stufen von ganzem Herzen.

Walter Bellwald

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Infos

Vorname Adolf
Name Ogi
Geburtsdatum 18. Juli 1942
Familie verheiratet, zwei Kinder Caroline und Mathias (+)
Funktion Alt Bundesrat
Hobbies Politik, Lesen, Wandern und meine Stiftungen, vor allem die Stiftung «Freude herrscht»
Der neue Bundesrat sollte ein Tessiner sein. Ja
Die Berner Reitschule sollte geschlossen werden. Ja
Ich bin zu früh aus dem Bundesrat zurückgetreten. Nein
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

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