Frontal | Lalden / Erschmatt

«Deinen Charakter musst du in die Musik einbringen»

Kerstin Schnyder ist die jüngste Dirigentin im Oberwallis.
1/1

Kerstin Schnyder ist die jüngste Dirigentin im Oberwallis.
Foto: RZ

Quelle: RZ 0

Sie schliesst bald die Matura ab und dirigiert nebenbei eine Musikgesellschaft. Kerstin Schnyder (19) ist derzeit die jüngste Dirigentin im Oberwallis. Mit der RZ spricht sie über Mut, Selbstzweifel, Vorbilder und musikalische Inspirationen.

Kerstin Schnyder, welche Musik läuft bei Ihnen zu ­Hause?

Das kommt auf meine Gefühlslage an. Ich höre gerne Pop-Musik; vor allem vor einer Prüfungsaufgabe beruhigt mich diese Musik. Zwischendurch höre ich auch gerne die Musik des niederländischen Komponisten Johan de Meij, dabei tauche ich auch mal ab in eine ganz andere Welt. Was in meinem Repertoire nicht fehlen darf, ist Jazz-Musik.

Sie sind keine 20 Jahre alt und dirigieren eine Musik­gesellschaft im Oberwallis. Das braucht Mut.

Das stimmt. Hinzu kommt, dass ich eine Frau bin, was die Sache vermutlich nicht einfacher macht. Es gibt im Oberwallis wenig Dirigentinnen; unter ­ihnen bin ich zudem noch die Jüngste. Doch ich habe gros­ses Glück, dass ich in Erschmatt – einem aufgeschlossenen Bergdorf – die Musikgesellschaft dirigieren darf.

Sie profitieren bestimmt auch vom Bonus Ihres Vaters, der die Musikgesellschaft «Enzian», Erschmatt, viele Jahre erfolgreich dirigiert hat.

Auf jeden Fall. Er stammt von Erschmatt und ich spüre, wie sehr die Leute im Dorf seine Arbeit als Dirigent geschätzt haben, zudem spielen meine beiden Brüder und mein Vater weiter in der Musikgesellschaft. Das macht die Sache einfacher.

Ihr Vater ist auch eine Art Idol für Sie?

Ja, das ist er. Als ich Musik spielte und mein Vater vor der Gesellschaft stand und dirigierte, beeindruckte mich das sehr. Heute ist es umgekehrt, ich dirigierte auch einmal, als er bei uns in Erschmatt aushalf. Das ist wirklich toll. Unabhängig davon, wie viele Leute mich loben; es tut kein Lob so gut, wie jenes von ihm. Das ist etwas ganz Spezielles. Seine Meinung ist mir sehr wichtig.

Ist es tendenziell eher ein Vor- oder ein Nachteil, so jung bereits eine Musikgesellschaft zu dirigieren?

Ich sehe es klar als Vorteil an, denn eine junge Dirigentin oder ein junger Dirigent bringen verschiedene neue Aspekte in eine Musikgesellschaft ein. Nicht zu vergessen ist die Motivation, ich bin stets total motiviert bei den Musikproben, das macht richtig Spass. Ich denke, dass die Unbekümmertkeit und Lockerheit eines jüngeren Dirigenten einer Musikgesellschaft guttun.

«Ich suche in meinem Leben immer wieder die Herausforderung»

Was Ihnen als Dirigentin noch fehlt, ist die Erfahrung. Was spielt sie für eine Rolle?

Als Dirigentin wurde ich ins kalte Wasser geworfen, dadurch gewinnt man Erfahrungswerte. Natürlich ist die Erfahrung wichtig, doch jeder beginnt irgendeinmal bei null.

Warum wollten Sie denn unbedingt Dirigentin werden, Sie hätten auch weiter ein Instrument spielen können?

Also ich spiele noch immer Klarinette und Cornet und helfe zwischendurch auch einmal in einer anderen Musikgesellschaft aus. Doch zurück zur Frage: Das wäre auch in der Musikgesellschaft «Enzian» in Erschmatt möglich gewesen. Ich suche in meinem Leben generell gerne die Herausforderung. Bei mir muss immer etwas gehen, ich will nicht stillstehen. Und: Ich mag den Druck.

Sie sprechen die Herausforderung und den Druck an. Gibt es Druck als Dirigentin bei einer Dorfmusik?

Auf jeden Fall gibt es den. Ich leite erstmals eine Dorfmusik und muss mich bei den Leuten beweisen und meine Arbeit bestätigen, das ist mit Druck verbunden. Erwähnen will ich auch die Vorurteile, die gewisse Leute haben; diesen muss man stets gegenüberstehen und dagegenhalten. Natürlich schwimmt zwischendurch einer gegen den Strom, dann ist es wichtig, meine Leistung abzurufen und die «Nörgler» auf meine Seite zu ziehen. Schlussendlich gilt es, das Miteinander zu fördern, denn nur so kann sich eine Musikgesellschaft weiterentwickeln.

Werden Sie als 19-jährige Dirigentin in einem eher konservativen Kanton denn immer ernst genommen?

(überlegt lange) Ich bin ein Mensch, der sich selber nicht zu ernst nimmt und der auch einmal über sich selbst lachen kann. In der Musik bin ich jedoch anders: Wenn ich schon den ganzen Aufwand betreibe und die Zeit für die Vorbereitung in Anspruch nehme, dann soll es auch perfekt sein. Ich trete den Musikantinnen und Musikanten der «Enzian» respektvoll gegenüber und nehme die Leute stets ernst. Das kommt zurück. Mein Empfinden ist, dass die Mitglieder der Musikgesellschaft am gleichen Strick ziehen und die Leute hinter mir stehen. Das vereinfacht vieles.

Woher kommt eigentlich Ihre Begeisterung zur Musik?

Ich habe eher spät begonnen, Klarinette zu spielen. Obwohl ich in einer musikalischen Familie aufgewachsen bin, liess man es uns Kindern immer frei, ob wir musizieren wollen. Bestimmt hat mein Interesse am Dirigieren auch mit meinem Vater zu tun. Ich erinnere mich, als ich ihn früher als Dirigent beobachtet habe. Das erfüllte mich mit Stolz, wie er vor einer Musikgesellschaft stand und den Takt angab. Bereits damals spürte ich den Wunsch, es ihm gleichzutun. Schlussendlich den Dirigentenkurs zu besuchen, war jedoch ganz allein meine Entscheidung.

«Mein bisheriger ­Höhepunkt war das ­Jahreskonzert»

Sind Sie überrascht, dass es so schnell geklappt hat, selber vor einer Musik zu stehen?

Ja und Nein. Eines führte zum anderen. Schlussendlich bin ich einfach sehr glücklich, dass ich nun so viele Erfahrungswerte als Dirigentin sammeln darf.

Woher holen Sie all die Ideen, die Musikstücke und die Inspiration für die Proben?

Ich habe in meinem Leben generell stets Augen und Ohren offen. Es gibt vieles zu sehen, es gibt vieles zu hören, doch schlussendlich musst du deinen eigenen Weg gehen. Du musst deinen eigenen Charakter in die Musikgesellschaft geben. Andere zu kopieren, ist nicht mein Ding. Ich erinnere mich daran, wie viel Zeit ich investiert habe, passende Stücke zu suchen. Ich kenne nicht derart viele Stücke und Komponisten, doch ich hörte stundenlang Musik und dabei entwickelte sich mein ganz persönliches Musikprogramm fürs Jahreskonzert.

Das tönt nach einer schwierigen Aufgabe. Die Literatur wird vom Schwierigkeitsgrad her doch meist der Musik angepasst.

Das ist richtig. Deshalb ist es wichtig, dass die Stücke weder zu schwierig noch zu einfach sind. Dann brauche ich die passenden Instrumente im Ensemble und auch die Vielfalt. Schlussendlich machts der Mix. Doch ich beobachte das Ganze sehr kritisch, mein schärfster Kritiker bin vermutlich ich selber.

«Mein allerschärfster Kritiker bin vermutlich ich selber»

Ihr Stil ist es auch, nicht auf ein Thema zu setzen, warum eigentlich?

Ich denke, das schränkt einen Dirigenten klar ein. Du hast dabei nur einen Bereich, indem du nach Stücken suchen kannst. Ich mag die Vielfalt und bin überzeugt, dass die Musikanten diese Abwechslung ebenfalls schätzen.

Sie sind Kollegiumsschülerin in Sitten und stehen im Abschlussjahr. Als Dirigentin braucht es dabei ein gutes Zeitmanagement.

Ich muss derzeit in der Tat alles sehr sorgfältig planen und muss meine Agenda zu hundert Prozent im Griff haben. Ich kann nicht vor die Musikgesellschaft treten und dann sagen, dass ich diese Woche viele Prüfungen habe. Einerseits interessiert das niemanden und andererseits liegt es nur an mir, diese Termine und das Zeitmanagement entsprechend zu koordinieren.

Woher haben Sie die ganze Energie?

(lacht) Ich weiss es nicht. Aber ja, ich bin ein Energiebündel. Natürlich bin ich manchmal auch müde, doch das lasse ich mir nie anmerken, denn auch dabei gilt; es interessiert keinen. Deshalb darf man das auch nie zeigen. Ich bin sehr froh, dass ich diese kleinen aber oft entscheidenden Sachen bereits früh lernen durfte.

Wo lernt man so was?

Ich besuchte einmal einen Workshop des berühmten Dirigenten Philippe Bach. Der hat mich total fasziniert und brachte solche Aspekte zum Vorschein. Sein A und O war: Es interessiert dort draussen keinen Menschen, ob es dir gut oder schlecht geht, die Leute wollen einfach Musik spielen, etwas lernen und Spass haben. Das Positive dabei ist, dass deine Begeisterungsfähigkeit auf die Musikanten rüberspringen kann.

Wie geht es eigentlich nach der Matura weiter?

Ich werde nach der Schule in Fribourg Psychologie und Pädagogik studieren. Eines Tages möchte ich in dieser Branche arbeiten. Bereits jetzt halte ich Ausschau nach einem Musikverein in Fribourg.

Am übernächsten Wochenende findet in Erschmatt das Bezirksmusikfest statt. Es gehört zur Tradition, dass der einheimische Dirigent das Gesamtspiel dirigiert. Wird dieser Moment Ihr bisheriger Höhepunkt sein?

Nein. Ich habe den Höhepunkt dieses Jahres bereits hinter mir. Das war das Jahreskonzert, indem wir die Arbeit eines ganzen Jahres vortragen konnten. Natürlich freut es mich auch, ein Gesamtspiel zu dirigieren, doch die Seriosität bei einem Jahreskonzert ist wesentlich höher als bei einem Gesamtspiel eines Bezirkmusikfestes.

Simon Kalbermatten

Artikel

Infos

Zur Person

Vorname Schnyder
Name Kerstin
Geburtsdatum 1. September 1995
Wohnort Lalden
Schule Kollegium
Hobbies Musik, Wandern, Lesen

Nachgehakt

Eines Tages dirigiere ich eine Musikgesellschaft aus der 1. Stärkeklasse.  Ja
Im Wallis gibt es zu wenig Dirigentinnen. Ja
Dirigieren ist schöner, als selber Musik zu spielen.  Ja 
Der Joker darf nur einmal gezogen werden.  

Artikel

Kommentare

Noch kein Kommentar

Kommentar

schreiben

Loggen Sie sich ein, um Kommentare schreiben zu können.

zum Login

Sitemap

Impressum

MENGIS GRUPPE

Pomonastrasse 12
3930 Visp
Tel. +41 (0)27 948 30 30
Fax. +41 (0)27 948 30 31