Visp | Doppelinterview zu den kommenden nationalen Wahlen
Das Wahlkampfgespräch der beiden Visper Kontrahenten
Sie sind beide Visper, sind gleich alt und sind beide leidenschaftliche Politiker. Doch bei den politischen Programmen gehen die Meinungen auseinander. Und auch ihre Ausgangslage ist unterschiedlich: Thomas Egger (CSP) will Nationalrat bleiben, Gilbert Truffer (SP) will es werden. Dafür kämpfen sie.
Thomas Egger, Öko-Parteien werden bei den Wahlen grosse Zuwächse prognostiziert. Wie wirkt sich das auf Ihren Wahlkampf aus?
(schmunzelt) In diesem Zusammenhang hört man viel, jetzt komme die grosse grüne Welle und mein Sitz sei verloren. Dazu sage ich: Schweizweit mag das zutreffen, im Wallis wird es keine grüne Welle geben. Wer aber trotz allem Grün wählen möchte, muss sich daran erinnern, wer den Wolf nicht regulieren will, wer für das Raumplanungsgesetz verantwortlich ist, wer die Zweitwohnungsinitiative unterstützt hat und wer das Benzin um bis zu 50 Rappen verteuern will. Wer das will, soll Grün wählen, alle anderen, so hoffe ich, machen das nicht.
Gilbert Truffer, als SP-Vertreter sind Sie vordergründig nicht grün, stehen den Grünen in Klimafragen sehr nahe. Die angesprochene grüne Welle müsste Ihrer Partei demnach entgegenkommen?
Im Oberwallis eher nicht, dafür aber im Unterwallis. Schon vor der aktuellen Klimadebatte konnten die Grünen im Grossen Rat Sitzgewinne verbuchen. Dieser Trend wird sich weiter verstärken. Doch ich widerspreche Thomas Egger bei den Themen Raumplanung und Zweitwohnungsinitiative. Beide Themen sind CVP-hausgemacht und wurden von den C-Staatsräten vernachlässigt. In der Folge ging wiederum die CVP mit Einzonungen auf Stimmenfang und hat dem Zweitwohnungsbau als solches gleichzeitig keinen Einhalt geboten. Deshalb glaube ich, dass der von Thomas Egger selber angesprochene wacklige C-Sitz nicht wegen der grünen Welle gefährdet ist, sondern wegen der falschen Politik der Vergangenheit.
Reden wir also über den Wackelsitz. Stimmen mehren sich, welche den Sitz von Thomas Egger eben tatsächlich als gefährdet sehen, und die gelbe Liste sei auch schon stärkerbesetzt gewesen. Wie nervös macht Sie das, Thomas Egger?
Gar nicht. Es ist nämlich genau umgekehrt. Das Rennen ist völlig offen, auch weil die C-Parteien vor einer völlig neuen Ausgangslage stehen. Drei von vier Walliser C-Nationalräten haben keine ganze Legislaturperiode gemacht und sind nachgerückt. Und die vierte im Bunde, Géraldine Marchand-Balet, tritt nicht mehr an. Das macht die ganze Sache unberechenbar und das heisst gleichzeitig, dass nicht unbedingt mein Sitz, sondern jeder der vier C-Sitze gefährdet ist. Es ist auch gut möglich, dass im Unterwallis ein Sitz verloren geht. Ein Wort zu unserer Liste. Die ist absolut top besetzt mit einem amtierenden Nationalrat, einer Verfassungsrätin, vier Grossräten und einem
Gemeindepräsidenten.
Wer holt den Sitz?
Egger: Dass die SP ihn holt, glaube ich nicht, die FDP wird mit dem ultraliberalen Kurs von Philippe Nantermod keinen zusätzlichen holen und die SVP wird ihren Unterwalliser Sitz von Jean-Luc Addor vielleicht sogar verlieren. Das heisst für mich in der Schlussfolgerung, dass alles genau gleich bleiben wird wie bisher und trotz anderslautenden Stimmen mein Sitz nicht gefährdet ist.
Truffer: Das wird sicher nicht der Fall sein. Ich glaube eher an einen Sitzverlust der SVP im Oberwallis, womit es für Franz Ruppen nicht mehr reichen wird. Und diesen Sitz holen wir von der SP.
«Die Versorgungslücke ist ein Schreckgespenst der Bürgerlichen»
Gilbert Truffer
Gilbert Truffer als Nationalrat. Wie tönt das?
Truffer: Vielleicht hole ich ihn. Das wird sich zeigen. Fest steht aber schon jetzt, dass die diesjährige Konstellation für die Linke mit uns als SP gut steht und wir durchaus einen Sitz dazugewinnen können.
Vor vier Jahren brachte es die SP im Oberwallis auf mickrige drei Prozent. Dafür ist eine markante Steigerung nötig…
Truffer: Das steht fest. Vor vier Jahren wählten wir aber eine völlig falsche Strategie und unsere Stimmen verzettelten sich. Wir haben aus diesem Fehler gelernt und dieses Mal eine andere Strategie gewählt. Hinzu kommt eine völlig andere Ausgangslage mit den Wackelsitzen von Thomas Egger und Franz Ruppen. Das ist unsere grosse Chance.
Egger: Die SP Oberwallis wird nie und nimmer einen Sitz holen. Nichtsdestotrotz haben aber auch wir in der Vergangenheit Fehler gemacht. Bei den Verfassungsratswahlen haben wir verloren, weil wir nicht überall die Listen füllten. Für die anstehenden Nationalratswahlen haben wir das korrigiert und präsentieren eine ausgezeichnete Siebnerliste. So kann immer noch ein Wunschkandidat zweimal auf die Liste gesetzt werden.
Besteht aber nicht die Gefahr, dass durch die ganzen taktischen Geplänkel das Oberwallis einen Sitz verliert?
Egger: Genau darum ist es eben wichtig zu betonen, dass im Oberwallis jede Stimme für die SP, GLP, FDP oder die Grünen eine Stimme fürs Unterwallis ist. Damit laufen wir Gefahr, tatsächlich einen Oberwalliser Sitz zu verlieren und somit nur noch zu zweit in der grossen Kammer vertreten
zu sein.
Kommen wir weg von Strategien und Prognosen und wenden uns konkreten Themen zu. Die Linke will bei der Klimadebatte mehr Steuern und Abgaben. Für Sie der richtige Weg?
Egger: Jein. Ich muss differenzieren. Fliegen ist zu billig, insbesondere der innereuropäische Nahverkehr. Da muss vermehrt auf die Bahn gesetzt werden. Es braucht also eine Abgabe auf Flugtickets, deren Erträge zweckgebunden in die Förderung von Nachtzügen fliessen sollen. Beim Benzin hingegen bin ich klar gegen eine Preiserhöhung. Im Wallis, wo viele Bewohner auf das Auto angewiesen sind, würde dies einen Volksaufstand provozieren.
Truffer: Der ökologische Umbau muss über ein Umdenken bei der Technik erfolgen. Wärmepumpen statt Ölheizungen, Förderung von Fotovoltaik und grundsätzlich auf erneuerbare Energien setzen. Ich glaube, Thomas Egger und ich sind uns diesbezüglich einig (Egger bejaht, Anm. Red.). Wir müssen zwingend von den Ölstaaten unabhängig werden und ganz auf einheimische Energieträger wie beispielsweise Sonne, Wind und Wasser umsteigen. Auch bei der Abgabe auf Flugtickets, vor allem auf die Besteuerung auf Kurzstreckentickets, stimme ich Thomas Egger zu. Wir haben wahrscheinlich das beste Eisenbahnnetz Europas und sollten das effizienter nutzen. Hingegen gehen unsere Meinungen beim Benzinpreis auseinander. Dazu sage ich Ja, aber die Bergregionen sollten im Gegenzug entsprechende steuerliche Abzüge geltend machen können.
Beim Thema ökologischer Umbau ist auch immer die Rede von einer drohenden Versorgungslücke. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Egger: Die wird kommen. Fachstellen prognostizieren uns aufgrund des Atomausstiegs für das Winterhalbjahr 2034/2035 eine Versorgungslücke von bis zu einem Drittel des benötigten Stroms. Aber natürlich nur, wenn wir das drohende Blackout nicht durch die massive Förderung alternativer Energieträger, wie im Wallis beispielsweise Wasser, kompensieren werden. Dann darf auch der einheimische Rohstoff Holz nicht ausser Acht gelassen werden. Der Bund erzielt jedes Jahr Milliardengewinne. Damit könnte ein Fonds zur Holzförderung für grosse Schnitzelanlagen gespiesen werden. Auch die Speicherung von Energie wird uns künftig beschäftigen. Dabei denke ich an Batterietechnik, an welcher bei uns im Wallis intensiv weitergeforscht werden könnte. Zum einen wäre unser Kanton damit ein Vorreiter, zum anderen werden damit wiederum attraktive Arbeitsplätze geschaffen.
Truffer: Der Versorgungsengpass ist ein Schreckgespenst der Bürgerlichen, welche damit die Atomlobby aufrechterhalten wollen. Zum Blackout wird es nicht kommen (Egger widerspricht im Hintergrund vehement, Anm. Red.). Holz als Energieträger kann man wegen des CO2-Ausstosses vergessen. ETH-Forscher haben vor Kurzem Solarzellen, welche auf beiden Seiten funktionieren, vorgestellt. Entscheidend dabei ist der Stellwinkel, insbesondere im Winter, wenn Schnee liegt, weil dann mehr Strom produziert werden kann. Deshalb gilt: Wir müssen künftig voll und ganz auf Fotovoltaik, Wasser und Wind als Energieträger setzen.
«Im Wallis wird es keine grüne Welle geben»
Thomas Egger
Ist denn die Politik schon so weit?
Truffer: Eben nicht. In der Schweiz investieren wir immer noch in die Weiterentwicklung der Atomkraft. Das ist doch falsch. In die Forschung und Entwicklung von Fotovoltaik muss investiert werden und natürlich die dafür notwendigen Gesetze verabschiedet werden.
Egger: (schüttelt den Kopf) Dass wir die Atomlobby unterstützen, ist absurd und weise ich zurück. Im Gegenteil. Ich unterstütze den Atomausstieg. Das Schweizervolk will das ja auch und hat das an der Urne schon bestätigt. Ich bin im Gegenzug auch dafür, dass jede Möglichkeit genutzt werden sollte, um Fotovoltaikanlagen aufzustellen oder Kleinwasserkraftwerke auszubauen. Im Umkehrschluss sollte dagegen aber nicht ständig eingesprochen werden. Ansonsten funktioniert der beschlossene Atomausstieg nicht.
Kommen wir zum Thema Einwanderung. Damit konnte Ihr gemeinsamer politischer Kontrahent, die SVP, in den letzten Jahren oftmals punkten. Das Thema ist in der Zwischenzeit etwas in den Hintergrund gerückt. Wie schätzen Sie das ein?
Egger: Wir mussten die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen und meiner Meinung nach ist das einigermassen gelungen. Trotzdem gibt es noch Probleme beim Vollzug, so etwa im Tourismus und in der Landwirtschaft. Unsere Wirtschaft ist fundamental auf die ausländischen Arbeitskräfte angewiesen. Die touristischen Betriebe, die Spitäler und Lonza benötigen diese ausländischen Arbeitskräfte. Das Asylwesen wurde übrigens geregelt, weil Italien die Grenzen dichtgemacht hat und nicht wegen der Leistungen der SVP.
Italien hat somit der SVP quasi das Thema weggenommen.
Truffer: Ich kann mich dem im Prinzip anschliessen, möchte aber hinzufügen, dass wir im Wallis beim Thema Asyl immer schon eine Art Sonderstellung hatten. Im Gegensatz zu Gemeinden in anderen Kantonen bezahlen die Walliser Gemeinden nichts an Asylzentren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Flüchtlingsthema zumindest im Moment erledigt ist. Hingegen werden wir eines Tages vielleicht mit Klimaflüchtlingen konfrontiert. Und noch ein Wort zur Zuwanderung: Auch die Baubranche ist auf ausländische Mitarbeiter angewiesen. Das beweisen auch aktuell die Zahlen der Maurerlehrlinge an der Briger Berufsfachschule. Vor einigen Jahren waren es noch 45, heute sind es gerade noch vier, davon zwei mit Migrationshintergrund. Wer also arbeitet in Zukunft noch auf dem Bau?
Was schlagen Sie also vor?
Egger: Im Wallis herrscht ein Missverhältnis zwischen Ausbildung und Arbeitsmarkt. Wir bilden – pointiert gesagt – viele Wirtschaftswissenschaftler und Juristen aus, welche dann ausserkantonal arbeiten. Das Ziel müsste aber sein, Arbeitskräfte auszubilden, welche im Kanton eine Arbeit finden. Wir müssen wieder mehr junge Leute in die Berufsbildung bringen und wegkommen von der «Verakademisierung» der Berufe wie beispielsweise im Pflegebereich oder aber im Lehrerwesen. Der einheimische Arbeitsmarkt muss gefördert werden, damit eben nicht zwangsläufig ausländische Arbeitskräfte rekrutiert werden müssen.
Apropos Ausland. Wie beurteilen Sie das provokative Wahlplakat der SVP mit den Würmern, welche am «Schweizer Apfel» nagen?
Truffer: Ich bin links und nett und werde am Wahltag, dem 20. Oktober, zu den Siegern gehören (lacht). Aber dazu gilt es zu erwähnen, dass die CVP mit ihrer Aktion in den sozialen Medien nicht minder politische Gegner diffamiert. Dort werden Namen von Kandidierenden ohne deren Einverständnis erwähnt und für was sie einstehen und werden dann öffentlich kritisiert. Dieser Stil geht in die genau gleiche Richtung. Ich bin eigentlich überrascht, dass die CVP einen solchen Stil an den Tag legt, denn das passt nicht zu der Partei. Es zeigt aber gleichzeitig, dass die Partei realisiert, was es geschlagen hat, und dass CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister entsprechend hyperventiliert und nervös ist.
Egger: Ich distanziere mich mit aller Deutlichkeit von der Aktion. Denn dabei wird auf die Person gezielt, was sich nicht gehört. Im Wahlkampf darf ruhig mit harten Bandagen gekämpft werden, wobei aber Themen und Lösungen im Mittelpunkt stehen sollten und nicht die Person.
Eine zentrale Frage, welche die Schweiz künftig beschäftigen wird, ist das viel diskutierte Rahmenabkommen mit der EU. Wie stehen Sie dazu?
Egger: So wie es vorliegt, lehne ich das Abkommen entschieden ab: Ich will keine fremden Richter, keine Unionsbürgerrichtlinie, keine Lockerung des Lohnschutzes und schon gar nicht die staatlichen Beihilferegelungen der EU. Jetzt kommt das grosse Aber: Ich will gleichzeitig auf keinen Fall die bilateralen Beziehungen mit der EU aufs Spiel setzen. Die sind für die Schweiz zentral. Es grenzt an Erpressung, wenn die EU sagt, dass ohne das vorliegende Rahmenabkommen die bilateralen Beziehungen auf dem Spiel stehen. Wir sind ein autonomer Staat. Ich erwarte von der EU, dass sie mit uns auf Augenhöhe diskutiert. Das ist aber bis jetzt nicht passiert. Deshalb braucht es eine Nachverhandlung, was mit der neuen EU-Kommission auch möglich sein wird. Davon bin ich überzeugt, denn schliesslich sind beide Seiten aufeinander angewiesen.
Truffer: Auch ich lehne das Abkommen, so wie es sich präsentiert, ab. Wir brauchen den Lohnschutz, die flankierenden Massnahmen müssen eingehalten werden und bei den anderen Themen schliesse ich mich der Meinung von Thomas Egger an. Eines dürfen wir in der ganzen Diskussion nicht vergessen. Ich denke, es gibt kein anderes Land, welches nicht Mitglied der EU ist, das in der Vergangenheit so viele positive Dinge mit der EU aushandeln konnte wie die Schweiz. Das zeigt das diplomatische Verhandlungsgeschick der Schweiz, welche offenbar eine hervorragende Arbeit leistet. Darauf sollten wir jetzt auch unser Vertrauen setzen, damit bei Nachverhandlungen auf Augenhöhe ein Rahmenabkommen zustande kommt, welches für beide Seiten passt und welches die bilateralen Beziehungen mit der EU nicht aufs Spiel setzt.
Peter Abgottspon
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