Frontal | Generalvikar Richard Lehner
«Das Bistum Sitten hat nicht zu wenig Priester»
Richard Lehner (53) ist als Generalvikar im Bistum Sitten tätig. Im Frontalinterview nimmt er Stellung zu den Querelen in einzelnen Pfarreien und zum vermeintlichen Priestermangel.
In einer Woche feiern wir das Hochfest Allerheiligen. Wie verbringen Sie diesen kirchlichen Feiertag?
Wie fast jedes Jahr werde ich an Allerheiligen als Aushilfspriester tätig sein. Dieses Jahr werde ich im Obergoms die Gottesdienste feiern. Am Nachmittag werde ich dann noch das Grab meiner Eltern in Bürchen aufsuchen. Allerheiligen ist für die katholische Kirche ein sehr wichtiger Tag, an dem viele Leute in die Kirche kommen und die Gräber besuchen. Darum ist es wichtig, dass wir diese Menschen an diesem Tag auch begleiten.
Mit dem Herbst zieht auch die Ruhe ins Land. Gehen Sie in diesen Tagen Ihre Arbeit etwas bedächtiger an?
Für mich ist es das ganze Jahr über wichtig, meine Arbeit bedächtig anzugehen, nicht nur im Herbst. Wir haben hier im Domkapitel die schöne Tradition, jeden Tag frühmorgens miteinander die heilige Messe zu feiern. Im Anschluss folgt das sogenannte Stundengebet mit den Domherren. Das ist für mich sehr wichtig. Aber der Herbst hat sicher die angenehme Nebenerscheinung, dass nicht nur die Natur zur Ruhe kommt, sondern auch die Menschen sich eine gewisse Gelassenheit aneignen und sich mehr besinnen.
Im vergangenen Jahr mussten Sie als «Feuerwehrmann der katholischen Kirche» viele Brandherde im Oberwallis löschen. Wie haben Sie die Querelen um Pfarrer Paul Martone in Gampel/Steg und um Pfarrer Anthony C. Kandath in Grächen erlebt?
Es ist ganz normal, dass die Zusammenarbeit zwischen den kirchlichen und weltlichen Behörden und der Pfarrei nicht immer reibungslos vonstattengeht. Dann muss ich in meiner Rolle als Generalvikar vermitteln. Das braucht mitunter viel diplomatisches Geschick und einen breiten Rücken, weil praktisch jeder Entscheid auch kritische Stimmen nach sich zieht. Aber damit muss ich leben.
Während Pfarrer Paul Martone selber um eine Versetzung gebeten hat, hielt Pfarrer Kandath stur an seinem Mandat in Grächen fest. Warum haben Sie nicht früher interveniert?
Pfarrer Kandath hat gute Arbeit geleistet, was die Feier der Gottesdienste betrifft. Aber es hat Spannungen mit der Bevölkerung gegeben. Das haben wir auch so wahrgenommen und haben darum im Bistum schon im Sommer beschlossen, einen Nachfolger für Pfarrer Kandath zu suchen. Das ist allerdings nicht immer ganz einfach und nimmt zudem eine gewisse Zeit in Anspruch. Darum konnten wir auch nicht früher reagieren.
Pfarrer Kandath eilte schon vor seiner Tätigkeit in Grächen ein zweifelhafter Ruf voraus. War es im Nachhinein gesehen ein Fehler, ihn überhaupt zu verpflichten?
Wir haben bei der Anstellung von Pfarrer Kandath gewusst, dass aufgrund seiner Arbeit in anderen Pfarreien eine Zusammenarbeit nicht ganz einfach ist. Dennoch haben wir ihm eine Chance gegeben. Leider hat die Zusammenarbeit zwischen Behörde, Pfarrei und Pfarrer Kandath auch in Grächen nicht geklappt. Selbstverständlich kann man uns zum Vorwurf machen, wir hätten ihn erst gar nicht anstellen dürfen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Pfarrer Kandath eine Chance verdient hat. Leider hat er diese nicht genutzt. Darum wird er künftig auch nicht mehr im Bistum Sitten arbeiten.
Würden Sie in diesem Zusammenhang auch die Gläubigen ins Gebet nehmen, weil sie zu wenig Geduld aufbringen, um einen Geistlichen in ihre Kirchgemeinde zu integrieren?
Ich bin der Meinung, dass ein bisschen mehr Verständnis angebracht wäre. Wenn ein Priester aus dem Ausland in eine Pfarrei kommt, dann muss er sich nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell der neuen Situation anpassen, um die Erwartungen der Pfarrgemeinde zu erfüllen. Wenn dann etwas nicht sofort klappt, erntet nicht nur der Pfarrer, sondern auch das Bistum Kritik. Es braucht meiner Meinung nach mehr Verständnis und Unterstützung, damit sich der Pfarrer gut integrieren kann. Aber selbstverständlich wäre es zu einfach, allein die Kirchgemeinde dafür verantwortlich zu machen, wenn ein Miteinander nicht klappt.
Die Kirche gerät in letzter Zeit immer wieder in die Schlagzeilen. Fühlen Sie sich als hoher Würdenträger manchmal als Sündenbock der Gesellschaft?
Zwischendurch habe ich manchmal schon das Gefühl, dass die Bistumsleitung für alles verantwortlich gemacht wird, was nicht klappt. Aber darüber kann ich stehen. Ich bin mir bewusst, dass ich als Generalvikar Entscheidungen treffen muss, die nicht immer allen passen. Wenn es um Seelsorge geht, kommen auch Emotionen ins Spiel. Das macht die Sache nicht einfacher.
Wie zufrieden sind Sie denn als Generalvikar mit der Seelsorge im Oberwallis?
Ich bin sehr zufrieden. An vielen Orten klappt die Zusammenarbeit zwischen Priestern, Pfarrei und Gemeinde hervorragend. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich will aber die Seelsorge nicht allein auf die Pfarrer fokussieren. Wir haben auch viele Pastoralassistenten, Laientheologen, Katechetinnen und andere Personen, die für die Pfarreien im Einsatz stehen und gute Arbeit leisten. Ich bin der Meinung, dass nicht jede offene Stelle mit einem ausländischen Priester besetzt werden muss. Diese sind zwar sehr wertvoll und wichtig, aber wir müssen im Oberwallis wieder aktiver werden und alternative Formen prüfen.
Zum Beispiel?
Ich denke in erster Linie an Laientheologen und Katechetinnen, die noch stärker eingebunden werden können. Es gibt viele Aufgaben, die nicht nur ein Priester wahrnehmen kann. Auch die Freiwilligenarbeit muss gefördert werden. Wir müssen vor allem auch lernen, dass nicht nur die Eucharistie im Rahmen einer kirchlichen Feier zentral ist, sondern dass auch viele andere Formen wie Wortgottesdienste oder Bibelabende wichtig sind. Laientheologen nehmen heute in eigener Verantwortung wichtige Aufgaben in der Seelsorge wahr. Ihre Mitarbeit ist für die Priester unerlässlich. Vielleicht muss man alte Traditionen aufbrechen und neue Formen und Möglichkeiten zulassen. Die Gesellschaft hat sich verändert und viele Menschen bleiben dem Gottesdienst fern. Da ist die Frage erlaubt, ob es Sinn macht, dreimal in einer halb leeren Kirche die heilige Messe zu feiern, statt sich zu einer gemeinsamen Feier zusammenzufinden.
Der Priestermangel ist aber offenkundig…
Ich werde sehr oft auf den Priestermangel angesprochen. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir zu wenig Priester haben. Wir müssen lernen, mit den vorhandenen Möglichkeiten ein kirchliches Leben zu gestalten. Jeder getaufte und gefirmte Mensch kann sich aktiv in der Kirche beteiligen. Und dann haben wir eine lebendige Pfarrei. Wir haben im Oberwallis rund 40 Priester, die in den verschiedenen Pfarreien im Einsatz sind. Damit stehen wir im Vergleich mit der Bevölkerung in der Deutschschweiz sehr gut da.
Müssen die Pfarrgemeinden in Zukunft noch näher zusammenrücken?
Das passiert heute schon in vielen Regionen und klappt sehr gut. Trotzdem wird es noch einige Abstriche geben. An Fronleichnam zum Beispiel wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, in allen Pfarreien einen Gottesdienst mit Prozession zu feiern. Darum muss man mit dieser Tradition brechen und das Fronleichnamsfest gemeinsam in einer Pfarrei feiern. Hier sind Toleranz und Offenheit von der Bevölkerung gefordert.
Was kann die Kirche tun, um mehr junge Menschen in die Seelsorge einzubeziehen?
Wir Priester müssen bei uns selber anfangen und das Priestertum im Alltag glaubwürdig leben. Das ist ein Beruf, der sehr gut und erfüllend sein kann. Zudem muss die Kirche viel mehr auf Jugendliche zugehen und sie auf einen kirchlichen Beruf ansprechen.
Kommen wir auf die positiven Aspekte Ihrer Arbeit zu sprechen. Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit?
Ich habe bisher ganz unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen. Als Direktor im Bildungshaus St. Jodern war ich eher als Manager im Einsatz, ich war als Vikar und Pfarrer in der Pfarreiarbeit tätig und jetzt bin ich Generalvikar. Der Kontakt zu den Menschen macht mir am meisten Freude und gehört für mich zur Seelsorge. In der Bistumsleitung habe ich regelmässig Kontakt zu verschiedenen Menschen und versuche, auf jeden Menschen individuell einzugehen. Da gibt es viele wertvolle Begegnungen.
Auf welches Ereignis freuen Sie sich?
Wir sind momentan dabei, eine Initiative in Angriff zu nehmen, die sich mit der Entwicklung der Kirche im Oberwallis befasst. Wir wollen die Frage stellen, wie sich das kirchliche Leben weiterentwickeln soll. Ich gehe davon aus, dass wir in zehn Jahren noch weniger Priester haben werden. Aktives Engagement aller Gläubigen wird noch mehr gefragt sein. Unser Ziel muss es sein, die Menschen zu einer lebendigen Kirche zusammenzuführen. Da werden Veränderungen unerlässlich sein. Wir sind keine Volkskirche mehr, sondern eine Kirche, die immer mehr hin zu den Menschen geht. Wir stehen zwar erst am Anfang dieser Arbeit, aber auf diese Veränderung freue ich mich. Das ist für mich eine persönliche Herausforderung, die ich gerne mitgestalte.
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