Frontal | Für Hüttenwart ist klar
«Das Bietschhorn ist der König des Wallis»
Er ist Hüttenwart aus Leidenschaft. Yann Roulet aus dem Unterwallis bewirtet die Bietschhornhütte und erzählt über Herausforderungen im Hüttenalltag und den Traum von einer warmen Dusche auf über 2500 Metern.
Yann Roulet, Sie sind in der Region Monthey aufgewachsen. Wie kommt es, dass Sie in der Bietschhornhütte gelandet sind?
Ich hatte bereits seit einiger Zeit einen engen Bezug zum Oberwallis. Ich besuchte sowohl die dritte OS wie auch die Handelsmittelschule im Oberwallis, um meine Deutschkenntnisse zu verbessern. So führte dann eines zum anderen.
Dennoch gingen Sie nach der Handelsmittelschule zurück ins Unterwallis, um dort in der Tourismusbranche zu arbeiten. Wie fanden Sie den Bezug zu Berghütten?
Mich interessierten Hütten immer, sodass ich als Hüttenwart in einer Hütte oberhalb von Sitten einstieg. Das war eine spannende Zeit. Schliesslich zog es mich jedoch zurück ins Oberwallis, die Region gefällt mir wirklich äusserst gut. Als ich dann erfahren habe, dass ein Hüttenwart für die Bietschhornhütte gesucht wird, musste ich nicht zweimal überlegen.
Die Hütte, die Sie vorher bewirteten, war um einiges grösser. Ist das ein Problem?
Nein, im Gegenteil. In der Bietschhornhütte kann ich den persönlichen Kontakt mit den Gästen noch viel mehr pflegen. Das ist toll.
Was fasziniert Sie denn so sehr am Oberwallis?
Als ich ins Oberwallis kam, wollte ich primär die Sprache lernen. Heute gefällt mir das Oberwallis besser als das Unterwallis. Das Lötschental oder auch das Binn-, Turtmann- oder Baltschiedertal sind wilde Täler – das gefällt mir ausgezeichnet. Zudem passt mir auch die Mentalität der einheimischen Bevölkerung. Ich identifiziere mich stark damit.
Wir sitzen in der Bietschhornhütte, während es draussen stark bewölkt ist. Wie sieht für Sie ein Tag in der Berghütte bei schlechtem Wetter aus?
Da die Gäste und Besucher circa drei Stunden vom Tal bis zur Bietschhornhütte laufen müssen, kommen bei schlechtem Wetter wenig Leute in die Hütte. Zudem verzichten die Bergführer bei schlechten Wetterverhältnissen darauf, den Gipfel des Bietschhorns zu erklimmen. Dennoch wird uns nicht langweilig: In der Hütte gibt es immer etwas zu tun.
Erzählen Sie.
Die Hütte ist in die Jahre gekommen und es gibt immer etwas, das man reparieren kann. Wenn wir bei jeder anstehenden kleineren Reparatur eine Arbeitskraft herfliegen lassen, summieren sich die Kosten schnell. Deshalb ist es wichtig, dass ein Hüttenwart auch handwerklich begabt ist.
Also sind Sie eine Art Allrounder?
Auf jeden Fall. Ich bin Gastgeber, Businessman und Handwerker in einem. Zudem habe ich noch den Support von zwei Mitarbeiterinnen. Nach der ersten erfolgreichen Saison freuen wir uns nun auf den zweiten Sommer.
Was ist denn für Sie eine erfolgreiche Saison?
Für mich als Hüttenwart gibt es zwei Punkte, die über Erfolg und Misserfolg während einer Hüttensaison entscheiden: Das sind einerseits die Zahlen und andererseits die Zufriedenheit der Gäste. Ich bin sehr erfreut, dass ich viele Einheimische in der Hütte begrüssen durfte und viele zufriedene Gesichter sah, als sie den Rückweg antraten. Diese Tagesgäste braucht eine Berghütte. Zudem haben wir auch von den Bergführern ein gutes Feedback erhalten.
Demnach stimmen auch die Zahlen?
Die Zahlen könnten immer besser sein.
Inwiefern ist Kundenzufriedenheit messbar?
Die Gäste laufen drei Stunden vom Tal aufwärts zur Bietschhornhütte und haben den Anspruch, freundlich empfangen zu werden. Wenn wir sie dann noch mit regionalen und qualitativ sehr guten Produkten aus der Küche verwöhnen dürfen, haben wir bereits einiges richtig gemacht. Die Zufriedenheit der Gäste ist das Wichtigste für mich als Hüttenwart.
Wo liegt eigentlich die grösste Herausforderung im Hüttenalltag?
Da die Hütte sehr klein ist, müssen wir gerade an gut frequentierten Tagen schauen, dass alle aneinander vorbeifinden. Dazu braucht es eine klare Struktur und gute Organisation. Zudem stellen uns die Wasserverhältnisse hier oben vor Herausforderungen…
Das heisst?
Solange es genügend Schnee oberhalb der Hütte hat, können wir das Schmelzwasser brauchen. Doch sobald kein Schmelzwasser mehr abfliesst, müssen wir mit den Vorräten des Tanks leben. Dieser fasst 2000 Liter. Deshalb müssen wir mit den Wasservorräten in der zweiten Saisonhälfte sparsam sein. Geplant ist allerdings, dass dieser Tank mittelfristig ersetzt wird.
2000 Liter sind gar wenig.
Ja, wir rechnen mit 10 bis 12 Liter pro Gast, der in der Hütte übernachtet. Eine Dusche gibt es nicht. Eine gute Kalkulation ist notwendig. Ich hoffe, dass es mit der Installation einer neuen Tankanlage klappt. Diese würde dann 8000 Liter fassen.
Von der Bietschhornhütte bis aufs Bietschhorn läuft man sechs bis sieben Stunden. Die Gäste starten ihre Tour demnach früh. Wann stehen Sie an solchen Tagen auf?
Die Gäste, die den Gipfel des Bietschhorns erklimmen wollen, starten um 2 Uhr in der Früh. Ich stehe schon früher auf, um ihnen ein Frühstück bereitzustellen und allfällige Fragen beantworten kann. Gegen 3.30 Uhr starten dann die Gäste, die aufs Wilerhorn gehen werden. Erst gegen 7 Uhr kommen dann die restlichen Hüttengäste zum Morgenessen.
Heisst konkret: Während einer Schönwetterperiode leiden Sie an Schlafmangel.
Das stimmt (lacht). Ich schlafe in diesen Perioden zwei bis drei Stunden pro Nacht.
Demnach sind Sie wohl froh, wenn es zwischendurch wieder regnet?
Ich denke, unser Körper hat immer gewisse Reserven, auf die wir zurückgreifen können. Ich schlafe dann im Winter oder im Herbst wieder ein bisschen mehr. Zudem habe ich zwei Helferinnen, auf die ich zwischendurch zurückgreifen kann. Um die Gäste zu betreuen, welche um 2 Uhr zum Bietschhorn loslaufen, stehe ich jedoch immer selbst auf.
Ist die Arbeit als Hüttenwart für Sie der absolute Traumjob?
Ja, ganz klar. Ich bin nach zehn Jahren weiter voll motiviert, den Job auszuüben. Sobald meine Motivation nur um wenige Prozente zurückgeht, suche ich mir eine neue Herausforderung.
Was machen Sie eigentlich im Winter?
Das ist unterschiedlich. Die vergangenen Wintermonate durfte ich bei der Air Zermatt als Flughelfer arbeiten. Das hat mir enorm viel Spass bereitet.
Das Bietschhorn wird oft auch als König des Rhonetals bezeichnet. Welche Bedeutung hat der Berg für Sie?
Das Bietschhorn ist für mich der König des Wallis. Man sieht das Horn vom Lötschental, von Visperterminen, Bürchen und so weiter. Aber selbst von Martinach ist der Gipfel unverwechselbar schön. Zudem gilt es zu sagen, dass die Hütte ohne das Bietschhorn nicht stehen würde. 80 Prozent unserer Gäste wollen aufs Bietschhorn.
Finden Sie es schade, dass das Bietschhorn kein 4000er-Berg ist?
Ja und Nein. Einerseits würde uns das Bietschhorn als 4000er im Marketing neue Türen öffnen. Das wäre durchaus attraktiv. Doch die Hütte hat sehr viel Charme. Ich denke, das wäre anders, wenn der Gipfel auf über 4000 Meter liegen würde. Bestimmt wäre vieles moderner auf Kosten des Hüttencharmes.
Sie waren auch schon auf dem Bietschhorn. Wie war es?
Es ist fantastisch. Doch der Westgrad ist extrem lang und die Schwierigkeitsstufe ist sehr hoch. Wer die zwölf Stunden aufs Horn und zurück in Angriff nimmt, muss fit sein.
Wie viele Male laufen Sie pro Saison vom Tal hinauf zur Hütte?
Das ist unterschiedlich. Vor allem Anfang Saison laufe ich die Strecke mehrere Male hinauf und hinunter. Zwischendurch versorgt uns der Helikopter mit Lebensmitteln. Hinzu kommt, dass ich mich Anfang Saison auch ein bisschen um den Hüttenweg kümmere. Gerade zu Beginn einer Saison finde ich immer wieder Zeitfenster, um den Bergweg von allfälligen Winterschäden zu befreien.
Was vermissen Sie während einer Sommersaison in der Hütte am meisten?
(überlegt lange) Am ehesten eine warme Dusche. Doch das müssten nun die Gäste beantworten (lacht)
Simon Kalbermatten
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