Region | Bernhard Zen-Ruffinen und Silvan Lorenz, Zivilschutzkommandanten
«Am meisten Angst haben wir vor einem Chemieunfall»
Die Zivilschützer sind die stillen Helfer und greifen da an, wo Not am Mann ist. Die beiden Zivilschutzkommandanten Bernhard Zen-Ruffinen (55) und Silvan Lorenz (44) über ihr spannendes Arbeitsfeld und bekannte unbekannte Gefahren.
Bernhard Zen-Ruffinen, was für Arbeiten stehen beim Zivilschutz gerade an?
Bernhard Zen-Ruffinen: Wir werden in der nächsten Woche mit 54 Mann ins Val de Bagnes gehen, um Lawinenschäden zu beheben. Dazu werden wir noch die ABC-Ausbildung an den Messgeräten für radioaktive Strahlung vorantreiben. Wir sind zusammen mit der Zivilschutzorganisation Monthey in Zusammenarbeit mit der Chemiewehr CIMO und der Chemiewehr Lonza für einen Teilbereich verantwortlich. Dazu gibts eine KP-Ausbildung in Kippel und zusätzlich wird die Zivilschutzorganisation Solothurn in Eggerberg ihren Wiederholungskurs starten. Der WK-Betrieb, die Ausbildung und die geforderten Leistungen der Gemeinden müssen koordiniert werden.
Gehören die Aufräumarbeiten nach Lawinenschäden zu den Standardaufgaben des Zivilschutzes?
Silvan Lorenz: Das kommt drauf an. Die Krisenstäbe und die Gemeindebehörden stellen bei den Zivilschutzregionen den Antrag für die Unterstützung bei Aufräumarbeiten der Lawinenschäden. Bei einer Ortsschau wird dann entschieden, ob und in welchem Rahmen die Hilfe stattfindet. Nach einem strengen Winter wie dieses Jahr haben solche Einsätze Priorität.
Worauf legen Sie Wert bei Ihren Einsätzen?
Silvan Lorenz: Uns ist es wichtig, dass wir bei unseren Einsätzen das Gelernte aus verschiedenen Bereichen anwenden können. Vor allem, wenn es sich um einen Ernsteinsatz handelt. Wir haben in der Region Brig und Visp eine sogenannte Schnelleinsatztruppe, der jeweils 50 bis 60 Mann angehören. Im Ernstfall bekommen sie eine Alarmmeldung aufs Handy und müssen dann einrücken. Dabei kann es sich um Unterstützung bei einem Einsatz im Bereich der Personensuche, aber auch um ein Grossereignis, eine Katastrophe oder Notlage handeln.
Wie ist eigentlich der Austausch mit Zivildienstorganisationen aus der Deutschschweiz. Hilft man sich gegenseitig aus?
Bernhard Zen-Ruffinen: Es kommt immer wieder vor, dass eine Deutschschweizer Zivilschutzorganisation im Oberwallis Dienst leistet. Davon profitieren wir gegenseitig. Teilweise machen wir gemeinsam einen Wiederholungskurs, es gibt aber auch Organisationen wie zum Beispiel die ZSO Uster, die selbstständig im zugewiesenen Gebiet einen WK durchführt. Zurzeit ist vonseiten des Kantons kein Einsatz in der Deutschschweiz geplant. Ganz einfach darum, weil es hier bei uns genug Arbeit und Einsatzbedarf gibt. Im Gegensatz dazu ist das Wallis für die Deutschschweizer Zivilschutzorganisationen ein ideales Trainingsgelände, um Einsätze zu üben, vor allem im Pionierbereich.
Sie stehen nicht nur bei Aufräumarbeiten im Einsatz, sondern helfen auch bei grösseren Veranstaltungen. Welche Aufgabe ist reizvoller?
Silvan Lorenz: Solche Einsätze haben sicher einen gewissen Reiz und gehören zur Rubrik «Einsatz zugunsten der Gemeinschaft». Auch das gehört zu unserer Ausbildung. Wir waren beispielsweise am Eidgenössischen Schützenfest in Raron und am Eidgenössischen Jodlerfest in Brig-Glis. Das waren sehr strenge und zeitintensive Einsätze. Für uns ist das wie eine Übung, vor allem in organisatorischer Hinsicht.
Bernhard Zen-Ruffinen: Wir standen dieses Jahr bereits beim Grand-Prix-Finale in Grächen und bei der Patrouille des Glaciers im Einsatz. Diese Einsätze werden nicht nur vom Veranstalter, sondern auch von den Angehörigen des Zivilschutzes geschätzt. Auch die Zusammenarbeit mit dem Militär an der PdG klappte hervorragend.
Silvan Lorenz: Auch am Jodlerfest konnte man der Armee logistische Aufgaben wie die Verpflegung der Truppen abnehmen. Armee und Zivilschutz sind bei Ereignissen und Einsätzen zugunsten der Gemeinschaft näher zusammengerückt. Es geht ja um dieselben Ziele.
Wie gross ist denn die Anerkennung Ihrer Arbeit in der Bevölkerung?
Bernhard Zen-Ruffinen: Die Anerkennung ist da, weil in den letzten Jahren an Grossanlässen gute Arbeit geleistet wurde. Leider fehlen immer mehr freiwillige Helferinnen und Helfer, die sich bei öffentlichen Anlässen zur Verfügung stellen. Wenn man Grossanlässe auch in Zukunft durchführen will, dann braucht es den Bevölkerungsschutz.
Wie viele Leute stehen dem Zivilschutz im Oberwallis zur Verfügung?
Bernhard Zen-Ruffinen: Wir haben ein Korps von 850 Leuten, wovon in der Region Brig ein Bataillon von 350 Leute besteht und für die Region Visp 500 AdZS zur Verfügung stehen. Diese beiden Bataillone sind in mehrere Kompagnien unterteilt.
Silvan Lorenz: Die Schutzdienstpflicht beginnt mit 20 Jahren und endet mit 40. Zurzeit befasst sich der Bundesrat mit der Totalrevision des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes. Mit der Revision soll das Bevölkerungsschutzsystem modernisiert und gezielter auf die heutigen Gefahren und Risiken ausgerichtet werden.
Bernhard Zen-Ruffinen: Nach der Rekrutierung in Sumiswald kommen die jungen Angehörigen des Zivilschutzes in die Grundausbildung nach Grône. Nach abgeschlossener Ausbildung werden sie in die beiden Oberwalliser Zivilschutzorganisationen Brig und Visp eingeteilt.
Der Zivilschutz wird auch bei der Suche nach vermissten Personen aufgeboten. Kommen die Leute dabei auch manchmal an ihre physischen und psychischen Grenzen?
Bernhard Zen-Ruffinen: Wir bereiten die Leute sehr gut darauf vor und orientieren sie darüber, wie sie sich verhalten sollen. Normalerweise sind die Schutzdienstpflichtigen in Gruppen unterwegs. Nach der Suchaktion gibt es ein Debriefing, um den Puls der Leute zu spüren. Wenn jemand aus persönlichen Gründen nicht an einer Suchaktion teilnehmen will, wird dem Wunsch entsprochen.
Silvan Lorenz: Für uns ist es wichtig, dass wir die Schwächen und Stärken der Mannschaft kennen. Dann können wir unsere Leute auch entsprechend einsetzen und die Ressourcen optimal nutzen.
Wie funktioniert man in solchen Momenten, wenn man eine vermisste Person suchen muss?
Bernhard Zen-Ruffinen: Emotional wird es vor allem, wenn die Angehörigen vor Ort sind und sie betreut werden müssen. Das geht unter die Haut. Auch für die jungen Leute, die sich an der Suche beteiligen, ist es nicht immer einfach. Aber es sind wertvolle Erfahrungen für die Zukunft. Die Angehörigen sind sehr dankbar, wenn sie unterstützt werden. Das wiederum wirkt sich auf die Motivation der Suchtruppe aus.
Silvan Lorenz: Die ganze Führung bei der Vermisstensuche läuft über die Struktur der Polizei und wir stellen der Manpower und die Mittel für die Suche zur Verfügung. Diese Zusammenarbeit klappt sehr gut.
Aufgrund der Statistik muss man im Wallis jederzeit mit einem grösseren Erdbeben rechnen. Ist der Zivilschutz für diesen Super-GAU gerüstet?
Silvan Lorenz: Selbstverständlich setzen wir uns mit diesem Szenario auseinander. Wir hatten erst im letzten Jahr im Ausbildungszentrum in Grône einen Tag der offenen Tür zu diesem Thema. Ob wir uns im Ereignisfall selbst helfen können, ist ungewiss. Darum pflegen wir auch einen guten Kontakt zu den Deutschschweizer Organisationen. Wir haben auch alle Notunterkünfte im Kanton erfasst, um im Extremfall möglichst schnell reagieren und die Bevölkerung evakuieren zu können.
Bernhard Zen-Ruffinen: Auch die Planungsarbeiten mit den Gemeindeführungsstäben werden vorangetrieben. Dazu gehört das Hochwasserszenario genauso wie ein mögliches Erdbeben.
Welcher Einsatz ist Ihnen in Ihrer aktiven Berufslaufbahn am meisten in Erinnerung geblieben?
Silvan Lorenz: Es war nicht eine Katastrophe, sondern eine Epidemie. In einem Ferienlager auf dem Simplonpass sind 50 Schülerinnen/ Schüler und Betreuer am Norovirus erkrankt. Weil sie praktisch unter Quarantäne standen, haben wir sie über Tage hinweg betreut und gepflegt. Das war ein sehr spezieller Einsatz.
Bernhard Zen-Ruffinen: Bei mir ist es die Katastrophe in Gondo, der Waldbrand in Leuk und der Unwettereinsatz in Sarnen, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. Vor allem in Gondo war der Einsatz sehr emotional, weil es auch mehrere Tote gegeben hat.
Gibt es ein Szenario, vor dem Sie Angst haben?
Bernhard Zen-Ruffinen: Am meisten Angst habe ich vor einem Chemieunfall. Wenn ich die Gefahr sehe, dann kann ich sie besser einschätzen. Beispielsweise bei starkem Schneefall oder Hochwasser. Aber im Chemiebereich gibt es viele Unbekannte. Man sieht die Gefahr nicht, man riecht sie nicht und man kann sie auch nicht einschätzen. Das flösst mir gehörigen Respekt ein.
Silvan Lorenz: Das kann ich nur unterstreichen. Ich komme aus der Chemiebranche und kann mir solche Ereignisse vorstellen. Ich denke schon nur an den Camionunfall beim Grossen Kreisel in Glis vor Jahren. Das war nicht ganz einfach zu handhaben. Da gibt es kein Register, das man zu Hilfe holen kann. Man muss einfach rasch reagieren, um den Schaden in Grenzen zu halten und die Bevölkerung zu schützen.
Bernhard Zen-Ruffinen: Gott sei Dank haben wir mit der Lonza-Feuerwehr eine extrem gut geschulte Organisation in diesem Bereich. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir im Ernstfall einen fachkompetenten Partner zur Seite haben.
Was wünschen Sie sich für den Zivilschutz in Zukunft?
Bernhard Zen-Ruffinen: Ich würde mir wünschen, dass jeder Franken, der im Armeebereich ausgegeben wird, auch im Rettungsbereich eingesetzt wird. Das müsste das Ziel sein. Auch im Ausbildungsbereich sollte die Schraube angezogen werden. Das heisst, eine obligatorische Grundausbildung zwischen fünf und sieben Wochen müsste eingeführt werden.
Silvan Lorenz: In den letzten Jahren haben sich die Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz verändert: Terrorismus, Cyberattacken, Stromausfälle oder Pandemien sind aktueller geworden. Darum ist es auch für mich wichtig und ein Anliegen, den Zivilschutz für solche Ereignisse mit gezielten Ressourcen auszurüsten und dementsprechend vorzubereiten
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