Bahngeschichte | 40 Jahre nach dem tragischen Zugunglück beim Simplontunnel
Zug entgleiste kurz nach Mitternacht
In der Nacht auf den 23. Juli 1976 entgleiste beim Portal des Simplontunnels auf Walliser Seite ein «Riviera-Express»-Zug, der in Richtung Norden unterwegs war. Sechs Personen verloren beim Unglück ihr Leben, 34 weitere wurden verletzt. Ein Blick zurück.
Der Unglückszug aus dem italienischen Ventimiglia war mit 131 Personen in Richtung Deutschland unterwegs, als er um 0.50 Uhr aufgrund deutlich überhöhter Geschwindigkeit in der langen Linkskurve beim Tunnelausgang kurz vor Brig entgleiste. Die Lokomotive und mehrere Wagen der neunteiligen Komposition wurden durch die Wucht der Entgleisung innert Sekunden aus der Bahn geworfen und ineinander verkeilt, Geleise verbogen und herausgerissen und die schweren Fahrleitungen umgeknickt wie Streichhölzer. Ein Wagen wurde gar bis an den vorbeifliessenden Rotten geschoben – sein Ende ragte über den Fluss hinaus. «Im ersten fahlen Tageslicht sah die Unglückstelle vor beiden Portalen in einiger Entfernung aus, als hätten Kinder mutwillig mit einer Modelleisenbahn gespielt», beschrieb der «Walliser Bote» die Situation am darauffolgenden Tag.
Über 300 Helfer im Einsatz
Die traurige Bilanz des Unglücks: sechs Tote und über dreissig Verletzte. Neben dem in Naters wohnhaften 34-jährigen Lokführer verstarben am Unfallort weitere fünf Personen ausländischer Herkunft. Darunter eine 26-jährige Dänin mit ihren beiden fünf- und zweijährigen Töchtern. In der Berichterstattung nach der Entgleisung war von einem tragischen Zufall die Rede, welcher der reisenden Familie damals zum Verhängnis wurde. Die junge Frau und die beiden Kinder hatten während der Fahrt in ein leeres Zugabteil gewechselt, um dort ungestört die Nacht zu verbringen. Die übrigen Passagiere im vorherigen Abteil blieben unversehrt. Von den 34 Verletzten, die in den beiden Spitälern Brig und Visp untergebracht wurden, konnte ein Grossteil bereits einen Tag nach ihrer Einlieferung wieder entlassen werden.
Dass die Zugentgleisung nicht mehr Opfer forderte, war vor allem auch den aufgebotenen Rettern zu verdanken, die trotz Dunkelheit und Regen bereits nach 45 Minuten den letzten Verletzten aus den Trümmern bergen konnten. «Auf der Unglückstelle war es stockdunkel. Es fiel Regen. Kinder schrien. Wir brauchten zuerst vor allem Leitern, damit wir die Leute in den umgekippten Waggons befreien konnten», beschrieb der damalige Chefkommandant der Briger Feuerwehr, Leander Venetz, die Situation im «Walliser Boten». Insgesamt waren im Rahmen des damaligen Katastrophenplans über 300 Helfer vor Ort, die sich aus SBB-Mannschaften, den Feuerwehren Brig-Glis und Naters, den Samaritern der beiden Ortschaften, einer spezialisierten Lonza-Equipe, den Ambulanzen oberhalb der Kantonshauptstadt Sitten, der Gemeinde- sowie der Kantonspolizei und dienstfreiem Bahnpersonal zusammensetzten.
Zeitzeuge erinnert sich
Einer der Helfer am Unglücksort war auch der damalige Stadtpolizist Paul Burri. «Der Unfall ist lange her, weshalb ich mich bei den Details nicht auf die Äste hinauslassen möchte», betont der heute 69-Jährige im Gespräch. Viele Kollegen, die an der Rettung beteiligt waren, seien inzwischen verstorben. «Die verschachtelten Wagen vor sich zu sehen und die Verletzten und Toten aus dem Zug zu bergen, war aber für viele von uns etwas Neues», erinnert er sich zurück. «Da das Ereignis in der Nacht passierte, musste in einem ersten Schritt die nötige Beleuchtung organisiert werden.» Trotz der Schwere der Tragödie sei die Rettung dann jedoch sehr ruhig und vorbildlich abgelaufen. Als Stadtpolizist übernahm Burri damals auch eine Feuerwehr-Funktion. «Wir waren direkt in der Feuerwehr integriert. Wenn etwas passierte, sei es ein Brand oder ein Verkehrsunfall, waren wir häufig als erste vor Ort und leisteten auch Feuerwehrdienste. Es war Gang und Gäbe, dass man dabei mit der Polizeiuniform im Einsatz stand», so Burri.
Dem schweren Zugunglück anno 1976 ist ein anderer schwerer Unfall beim Simplontunnel vorausgegangen. Fast auf den Tag genau fünf Jahre zuvor war in der Mitte des Tunnels ein Frühzug entgleist, als er mit überhöhter Geschwindigkeit über eine Weiche fuhr. Der hinterste Wagen kippte zur Seite und schlug an der Tunnelwand auf. Fünf Personen verstarben, 29 wurden verletzt. Obwohl sich das Rollmaterial und die Sicherheitsmassnahmen seit den 70er-Jahren weitestgehend verändert und weiterentwickelt haben, können auch in der Gegenwart Unfälle nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Erst im Juni 2011 gerieten im Simplontunnel mehrere Wagen eines Güterzugs in Brand. Ursache war eine lose Plane, die mehrmals gegen die Oberleitung schlug. Personen wurden keine verletzt, es kam allerdings zu erheblichem Sachschaden. Die Löscharbeiten dauerten über zwölf Stunden lang an.
Kantonale Einsatzgruppe übt für Notfälle
Wie Philipp Hildbrand vom kantonalen Amt für Feuerwesen auf Anfrage erklärt, besteht seit 2014 schweizweit eine neue Gesetzgebung, welche Einsätze auf Schienen regle. «Für das Wallis wurde eine kantonale Einsatzgruppe geschaffen, welche die lokalen Feuerwehren bei einem Ereignis unterstützt», so Hildbrand. Die Truppe bestehe aus 150 ausgebildeten Angehörigen zwölf unterschiedlicher Feuerwehren im Wallis. Im Oberwallis seien die Feuerwehren Unnergoms, Brig, Visp, St. Niklaus, Raron und Gampel sowie die Chemiewehr der Werksfeuerwehr der Lonza beteiligt. «Diese Gruppe hat bereits reichlich Erfahrung gesammelt, da sie schon seit der Eröffnung des Basistunnels Lötschberg im Einsatz steht.» Jährlich werden auch Übungen auf Schmalspurbahnen durchgeführt, so im kommenden November in Grengiols. «Für 2017 wird zudem eine Tunnelübung im Simplon organisiert. Und für 2019 ist bereits eine Übung im Basistunnel geplant.»
pmo
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